Pfeifen wie ein Vogel
Andrew Birds Pop-Songs sind betörende und abenteuerliche Versuchungen, denen seit Jahren der grosse Durchbruch prophezeit wird. Auch Birds neuster Wurf «Noble Beast» besticht durch ungewöhnliche und unwiderstehliche Lieder.
Diskret schleicht sich ein sehnsüchtiges Streicherloop hinter der nachlässig gezupften akustischen Gitarre an; kaum ist die Stimmung etabliert, setzt die Melodie ein – tremolierend gepfiffen von Andrew Bird. Ein leichter Rhythmus schaukelt das Lied vorwärts, bis im Refrain ein einzelner, verzerrter Gitarrenton erklingt – und sich bald im Nichts auflöst. «Oh No», der Opener von «Noble Beast», ist eines dieser Lieder, wie nur Andrew Bird sie schreibt. Er komponiert, wie die Impressionisten malten; er setzt mit vielen, sehr unterschiedlichen, oft ungewöhnlichen Instrumenten Tupfer, die frei auf den Notenlinien herumzuhüpfen scheinen und sich, hat man den Eindruck, erst im Hörer zu einem Song zusammenfügen.
Noch eigenwilliger ist das zweite Lied «Masterswarm»: Der Einstieg ist folkig, Andrew Bird deutet mit Falsettstimme eine Bluesmelodie an. In dieses Intro bricht ein entspannt schwingender Latin-Rhythmus aus Händeklatschen, Tamburin, einzelnen Bassnoten und Streicherpizzicati ein, den eine selbstvergessen flirrende Violine umschmachtet – und auch dieser Song hebt mit weichen Flügelschlägen ab, als Andrew Bird zu pfeifen beginnt.
Abenteuerliche Versuchungen
Dem breiten Publikum nach wie vor weitgehend unbekannt, gehört der in Chicago lebende Andrew Bird zu den Musikern, denen seit Jahren der Durchbruch vorausgesagt wird. Doch weder mit «The Mysterious Production of Eggs» (2005) noch mit «Armchair Apocrypha» (2007) stellte sich der grosse Erfolg ein, trotz Auftritten in den Late-Night-Shows von David Letterman und Conan O'Brien. Vielleicht hört man seinem fünften Soloalbum «Noble Beast» (Bella Union/Irascible) das Warten auf den Durchbruch an – «Noble Beast» bewegt sich auf dem Terrain, das Bird auf seinen zwei letzten Platten abgesteckt hat, und wirkt etwas verhaltener und weniger risikofreudig. Wobei: Auch auf «Noble Beast» sind die meisten Songs abenteuerliche Versuchungen, schliesslich ist Bird einer der begabtesten und eigenständigsten Songschreiber im weiten Feld zwischen Pop, Folk, Jazz, Kammermusik, Tin Pan Alley und (allerdings sehr dezenten) World-Einflüssen.
Andrew Bird gilt als ein Wunderkind. Mit vier Jahren lernte er, Violine zu spielen – nach der Suzuki-Methode, bei der man die Klassiker nicht nach der Partitur, sondern nach dem Gehör spielt. Diese Freiheit bewahrte sich Bird, als er sich nach und nach weitere Instrumente – Gitarre, Viola, Cello, Xylofon, Glockenspiel, singende Sägen und einiges mehr – aneignete. Der heute 35-jährige Bird ist also klassisch ausgebildet, begann seine professionelle Karriere mit Jazz und wandte sich dann dem Pop zu, dessen letzten 50 Jahre er ebenfalls verinnerlicht zu haben scheint.
Kryptische Texte
Diese vielfältigen Erfahrungen fliessen auch in die Songs von «Noble Beast» ein. Ob folkig, popig (das geradlinige, an einen Sixties-Beat angelehnte «Fitz And The Dizzy Spells» ruft geradezu nach Airplay) oder eher experimentell (wie das grossartige «Not a Robot, But a Ghost») – mit zwei oder drei Ausnahmen sind die Songs offen und neugierig, sie sind subtil und vielschichtig, kammermusikalisch instrumentiert und kristallin produziert. Birds Gesang deutet die Melodien eher an, als sie uns aufzudrängen, und seine klangmalerisch-kryptischen Texte («Proto-Sanskrit Minoans to porto-centric Lisboans / Greek Cypriots and Hobishots / Who hang around the ports a lot» singt er etwa in «Tenuousness») trägt er mit einem gewissen distanzierten Understatement vor. Im Mittelpunkt seiner Songs stehen immer die Violine und das Pfeifen – Bird ist, nomen est omen, einer der besten Pfeifer, den die Pop-Musik je gehört hat.
Es passiert viel in Birds Liedern, viel Ungewöhnliches und Überraschendes auch, doch sind sie immer voll Luft und Raum – und voll verführerischer Eleganz. Das ist grosse Pop-Musik, eigenwillig, aber erstaunlich eingängig, und eigentlich, sollte man meinen, dürfte niemand ihrer Schönheit widerstehen können. Ob «Noble Beast» Andrew Bird den Durchbruch bringen wird? Zumindest in den USA sieht es nicht schlecht aus: «Noble Beast» stieg gleich auf Platz 12 der Billboard-Charts ein.
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