Seine Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt: Pedro Sánchez ist neuer spanischer Regierungschef. Er hat seinen grossen Widersacher, den bisherigen Premier Mariano Rajoy, mit dem er sich verbissene Kämpfe geliefert hatte, mittels Misstrauensvotum gestürzt. Rajoy hatte in den letzten Wochen offenbar die Gefahr unterschätzt, die ihm vonseiten des 46-jährigen Chefs der traditionsreichen spanischen Sozialisten (PSOE) drohte.
Sánchez hat die Gunst der Stunde entschlossen genutzt: Die von Rajoy geführte konservative Volkspartei (PP) stand unter öffentlichem Druck wie nie zuvor, nachdem vor zehn Tagen die Urteile im Gerichtsprozess um das korrupte Netzwerk «Gürtel» gefallen waren: Mehrere Regionalpolitiker der PP wurden wegen Bestechlichkeit und Geldwäsche zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Obendrein befand das Gericht, dass die PP-Führung von den Machenschaften in den eigenen Reihen gewusst haben muss; die Partei bekam eine Busse von 245'000 Euro auferlegt, eine beispiellose Schmach.
Es war die dritte Hiobsbotschaft für Rajoy und seine Partei innerhalb nur eines Monats: Erst musste seine Vertraute Cristina Cifuentes von ihrem Posten als Präsidentin der Region Marid zurücktreten – sie hatte sich mit einem falschen Magistertitel in Rechtswissenschaften geschmückt, ausserdem wurde bekannt, dass sie vor sieben Jahren bei einem Ladendiebstahl ertappt worden war. Dann wurde der frühere Transportminister Eduardo Zaplana wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche verhaftet. Mehrere Verfahren gegen weitere PP-Politiker laufen noch.
Für Sánchez war es eine unverhoffte Wendung der Dinge, denn bislang war er als Oppositionsführer blass und glücklos gewesen, seine politische Bilanz prägten vor allem Rückschläge. Dabei war er vor vier Jahren den spanischen Sozialisten fast aus dem Nichts als Hoffnungsträger erschienen. Die Partei lag damals am Boden, die letzte PSOE-Regierung unter José Luis Zapatero (2004–2011) wurde für die grosse Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht, Folge des Platzens einer gigantischen Immobilienblase im Jahr 2008.
Video: Das wars für Rajoy
Die gescheiterte Parteiführung nahm ihren Abschied, die Mitglieder sollten den neuen Parteichef erstmals per Urwahl bestimmen. Völlig unerwartet siegte der Madrider Hinterbänkler gegen die Kandidaten aus der altgedienten Funktionärsriege. In den Wochen vor der Abstimmung hatte er unermüdlich mit seinem alten Peugeot die Ortsverbände im ganzen Land abgeklappert.
Aufbruchstimmung erfasste die Partei. Bei seinem Amtsantritt war Sánchez gerade 42 Jahre alt, er ist 1,90 Meter gross, durchtrainierter Sportler und sieht aus, so schrieb es die Boulevardpresse, wie ein Hollywoodstar der Fünfzigerjahre. In den Beliebtheitsskalen lag «Pedro der Hübsche» (el guapo), wie er genannt wurde, schnell vor dem 17 Jahre älteren drögen Rajoy mit seinem grauen Bart.

Doch der Schwung, mit dem Sánchez sein Amt antrat, verebbte rasch. Er ist kein mitreissender Redner, auch ist ihm das Milieu der traditionellen PSOE-Wähler fremd geblieben, die Welt der Arbeiter, Kleinhändler und Handwerker. Sánchez war vor seiner Parteikarriere Universitätsdozent für Volkswirtschaft.
Zuvor hatte er mehrere Jahre im Apparat der Europäischen Union in Brüssel gearbeitet, er war Assistent einer spanischen Europa-Abgeordneten. Dann wechselte er zum Stab des UN-Beauftragten für Bosnien und Herzegowina. Er weist somit eine beträchtliche Auslandserfahrung auf, im Gegensatz zu den meisten anderen Spitzenpolitikern in Madrid spricht er gut Englisch.
Er nutzte lange den Sparkurs von Rajoy nicht
Doch konnte er den negativen Trend, der auch die meisten anderen sozialdemokratischen Parteien in der EU erfasst hat, nicht umdrehen. Seitdem er an die Parteispitze getreten war, hat die PSOE, die einst mit absoluter Mehrheit reagierte, bei fast allen nationalen und regionalen Wahlen kräftige Einbussen hinnehmen müssen.
Die PSOE konnte auch lange die allgemeine Unzufriedenheit mit dem unpopulären Rajoy, der dem Land einen harten Sparkurs zur Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen aufzwang, nicht nutzen. Denn sie geriet gleich unter doppelten Druck: von links nahm ihr die neue linksalternative Gruppierung Podemos (Wir schaffen das) Stimmen weg, von der Mitte her die liberale Bürgerpartei (Ciudadanos), die andere Aufsteigerpartei.
So wurde auch in der eigenen Partei immer lauter Kritik an Sánchez geübt. Im Oktober 2016 kam es zum offenen Aufstand eines grossen Teils der Parteidelegierten, weil er um keinen Preis von seinem Kurs abweichen wollte, der auf eine Blockade Rajoys hinauslief. Dabei war nach vorgezogenen Wahlen eine Koalition aus PP und PSOE die einzige Option für die Bildung einer stabilen Regierung.
Er muss auf Neuwahlen setzen
Viele prominente Sozialisten, an ihrer Spitze der Parteipatriarch Felipe González, drängten Sánchez zu einer grossen Koalition nach Berliner Vorbild. Sie führten an, dass die programmatischen Unterschiede nicht mehr unüberwindlich seien. In der Tat hat Rajoy die einst nationalkonservative PP modernisiert und ein kräftiges Stück zur politischen Mitte gerückt, er hat Nationalkatholiken und Franco-Anhänger in der Partei marginalisiert. Ausserdem vertraten auch viele PSOE-Abgeordneten die Ansicht, dass die Sparpolitik der letzten Jahre unvermeidlich gewesen sei.
Doch Sánchez lehnte ein Zusammengehen mit seinem Erzfeind Rajoy ab. Um seiner Abwahl als Parteichef zuvorzukommen, trat er zurück und hinterliess, wie die Madrider Presse befand, einen Trümmerhaufen: Die PSOE war in zwei Lager zerfallen. Damit schien auch das Ende der politischen Karriere des «hübschen Pedro» gekommen zu sein. Doch der steckte nicht auf. Erneut trat er bei der Urwahl an, obwohl sich die gesamte Parteiprominenz gegen ihn aussprach – und gewann erneut. Es war ein sensationelles Comeback.
Erstmals hatte er in der Kampagne Kämpferqualitäten bewiesen und so auch viele seiner bisherigen parteiinternen Kritiker von sich überzeugt. Doch im Parlament zu Madrid verfügt die PSOE gerade einmal über 85 der 350 Mandate. Sánchez wird kaum in der Lage sein, eine stabile Regierung zu bilden, sondern muss auf Neuwahlen setzen – mit ungewissem Ausgang.
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«Pedro der Hübsche» übernimmt
Seine Karriere schien am Ende, jetzt ist Pedro Sánchez der neue Regierungspräsident von Spanien.