Ohrfeigen für Nadyas Gynäkologen
Es begann Ende Januar als positive Nachricht – ein multiples freudiges Ereignis: Nadya Suleman brachte in Kalifornien Achtlinge zur Welt, die alle überlebten, und die Weltpresse feierte die «Octo-Mum» als Heldin des Alltags. Acht Kinder auf einmal? Das klingt wie eine Illustration dieses Themas, über das man eigentlich nicht schreiben sollte: Wer sich mit der Überbevölkerung befasst, betritt heikles Territorium; Bevölkerungspolitik, verbunden mit «Selektion» und Euthanasie, hat der Menschheit einige ihrer düstersten Perioden beschert.Ein paar nüchterne Zahlen also zum Auftakt: Vor 500 Jahren lebten auf unserem Planeten um die 500 Millionen Menschen. Anfang des 19. Jahrhunderts war es eine Milliarde; sie verdreifachte sich bis 1960; die damaligen drei Milliarden haben sich bis 1999 nochmals verdoppelt. 2012 werden wir sieben Milliarden sein, 2025 acht und 2050 neun Milliarden. Ob die Welt dann noch genug Ressourcen hergeben wird – Nahrung, Wasser, Energie –, ist eine Frage, die wohl nicht nur von Pessimisten mit Nein beantwortet wird.Wo die höchsten und wo die tiefsten Wachstumsraten anfallen, ist statistisch exakt nachgewiesen und erstaunt nicht: Die höchsten Raten verzeichnet man dort, wo der männliche Fertilitäts-Fetischismus noch intakt ist, also in Afrika, besonders in westafrikanischen Binnenstaaten, auf der arabischen Halbinsel, in Afghanistan und, geringer schon, in Lateinamerika. Die tiefsten Raten findet man in Westeuropa, Kanada, Russland und China.Viele Kinder zu haben, kann unter anderem eine Frage der religiösen Identität sein. Man beobachtet den grössten Kinderreichtum auch bei uns in religiös konservativen Kreisen, seien dies nun traditionalistische Katholiken, Evangelikale, orthodoxe Muslime oder ultraorthodoxe Juden. Viele Religionen akzeptieren Sexualität nur im Zusammenhang mit der Zeugung; eine grosse Kinderschar dient aber auch der Abgrenzung der eigenen religiösen Gemeinschaft gegen die Bedrohungen der andern. Gerade im Nahen Osten, der konfliktgeladenen Schnittstelle zwischen Islam, Christentum und Judentum, wird zudem ein demografischer Krieg geführt: In Libanon etwa sind die Schiiten daran, dank grösserer Fruchtbarkeit die Christen zahlenmässig auszubooten. In Israel holen die Muslime gegenüber den Juden auf, während innerhalb des Judentums eine Verschiebung von den Laizisten zu den Orthodoxen stattfindet. Neben der religiösen gibt es eine weitere Erklärung für die erheblichen Unterschiede: Frauen mit Zugang zu Schulbildung und Aufklärung haben signifikant weniger Kinder als Ungebildete und Unaufgeklärte. Kinder werden dann nicht mehr als «gottgegeben» empfunden und hingenommen, sondern aufgrund von mehr oder weniger rationalen Entscheidungen gezeugt. Hier kommt die altmodische Maxime von der «Verantwortung» ins Spiel. Kinder stellen hohe Anforderungen an die materielle, psychische, soziale Konstitution ihrer Eltern; die Kinderzahl sollte dieser Konstitution Rechnung tragen. Das ist die individuelle Komponente. Die kollektive lautet so: Auch wenn man sich aufgrund seiner materiellen und sozialen Lage viele Kinder leisten könnte, ist Selbstbeschränkung im Interesse der Allgemeinheit angezeigt. Natürlich soll hier nicht der – früher oft mit brutalen Mitteln durchgesetzten – Ein-Kind-Politik der Volksrepublik China das Wort geredet werden. Eine Demokratie schliesst diese Politik a priori aus. Appelle an die Vernunft müssen genügen. Dies ist auch der Grund, weshalb die Geschichte von Nadya Sulemans Achtlingen, die so schön begann, alsbald ins Albtraumhafte abdriftete: Frau Suleman hatte schon sechs Kinder im Alter zwischen sieben und zwei Jahren und soll jetzt also für vierzehn aufkommen. Sie ist Single, arbeitslos und bankrott. Für die Verwirklichung ihres Traums von der Grossfamilie muss demnach selbstverständlich der Staat aufkommen, was konkret heisst: die Steuerzahler. Alle vierzehn Kinder sind durch künstliche Befruchtung gezeugt worden; die Fertilitätsbehandlung für die Achtlinge, ihre Geburt und die notwendige Stationierung in der Neonatologie werden etwa 1,3 Millionen Dollar kosten, die ebenfalls die Steuerzahler begleichen müssen.Und der Gynäkologe, der Nadya Suleman die «Behandlung» verabfolgt hat? Er hat nur erfolgreich die Techniken angewendet, die heute möglich sind; jede weiter gehende Verantwortung weist er von sich. Wieso verspürt man den Drang, ihn zu ohrfeigen? Äussern Sie Ihre Meinung zu diesem Artikel im Internet:bundblog.derbund.ch>
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