
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser: Hin und wieder wird der Wunsch ans Kulturressort herangetragen, dass Rezensionen, sei es über Theater, Musik, Film oder Literatur, bitteschön objektiv zu schreiben seien. Also nicht bloss als persönliche Urteile, obzwar auf einer gründlichen Analyse fussend und nachvollziehbar begründet. Darum hier exklusiv: die objektive Kritik! Als Objekt dient uns ein kurzes Gedicht von F. W. Bernstein, seines Zeichens Urheber des Zweizeilers «Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche», was uns irgendwie passend erschien:
Räum die Reime weg! / Nein! / Reim kann bleim. / Weg mit dem Bedeutungs- schmutz! /Ich zähl die Wörterchen und putz / die Lichter des Gedichts. / Sonst wird das nichts.
Hier also die gewünschte Kritik: «Das Gedicht stammt von F. W. Bernstein, einem deutschen Lyriker und Karikaturisten, und steht im Band ‹Frische Gedichte› (Kunstmann-Verlag). Die Lesedauer beträgt je nach Lesegeschwindigkeit um die 12 Sekunden, der Umfang 26 Wörter. Bernstein (mit bürgerlichem Namen Fritz Weigle) verwendet darin insgesamt drei Ausrufezeichen, was dem Gedicht einen Anflug von Mündlichkeit verleiht. Auch ist darin ein sprachlicher Fehler zu finden: ‹bleim› statt ‹bleiben›. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es um Reime geht. Das hat Bernstein verständlich zum Ausdruck gebracht.»
Zufrieden? Prima. Wenn Sie wollen, hätten wir zum Vergleich noch eine andere Variante. Einfach, damit Sie den Unterschied sehen: «F. W. Bernstein – so ein grandioser deutscher Lyriker und genialer Karikaturist! Im längst fälligen Band ‹Frische Gedichte›, löblicherweise herausgegeben vom Kunstmann-Verlag, ist dieses kleine Bijou zu finden: viel Substanz in wenigen Worten. Bernstein – Freunde kennen ihn als Fritz Weigle – glänzt zudem mit einer stilsicheren Verwendung des Ausrufezeichens! Und setzt sich elegant über sprachliche Konventionen hinweg – ‹bleim› statt ‹bleiben›. Selbstreferenzialität at its best! Bernstein erweist sich einmal mehr als Meister im leichtfüssigen Umgang mit dem schweren Erbe des deutschen Gedichts.»
Sie ahnen: Die zweite Rezension war völlig subjektiv. Die Kritikerin, die noch etwas müde vom Wochenende war und darum zu faul, eine ausgewogene Kritik zu formulieren, freute sich über das Büchlein, das sie gratis vom Verlag bekommen hatte und das ihr den Weg in die Buchhandlung ersparte, weil sie es noch am selben Tag als Geschenk für eine Freundin brauchen konnte, die sie zum Essen eingeladen hatte. Zudem hatte sie gehört, dass es schick sei, diese deutschen Humoristiker rund um Robert Gernhardt gut zu finden (auch wenn sie nie ganz begriffen hatte, was an diesem Spruch mit den Elchen dran sein soll).
Müde? Faul? Unehrlich? So hat die Kulturkritik natürlich keine Zukunft. Und darum wird in der Innovationsabteilung des «Kleinen Bund» derzeit die Herstellung objektiver Kritiken mittels Maschinen getestet. Erste Versuche mit «Hans», einem der wenigen deutschsprachigen Chatbots (pandorabots.com), waren vielversprechend. Was sagt er zu F. W. Bernsteins Gedicht?«Hans»: Es gibt nicht viele Leute, die sich auf diese Weise auszudruecken vermoegen.«Kleiner Bund»: Richtig. Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche.«Hans»: Danke fuer die Information.
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Objektive Kritiken (und kritische Elche)
«Wahrheit»-Kolumnistin Regula Fuchs über die Bemühungen des «Kleinen Bund» die Kulturkritik durch Einsatz von Maschinen zu verbessern.