Noch 13 Veteranen kamen
Die Aktivdienstgeneration stirbt allmählich aus. Ein Grund, 70 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs an einer Veteranentagung vorbeizuschauen – bei den Artilleriebeobachtern und Säumern der Geb Art Beob Kp 11, im «Bellevue» Spiez.
Diesmal sind es, im gewohnten Säli des Restaurants Bellevue in Spiez, noch dreizehn Kameraden. Marcel Lüthy, 85-jährig, hat schon in der Einladung geschrieben, dass die diesjährige Aktivdienst-Veteranentagung der Geb Art Beob Kp 11 «möglicherweise eine der letzten» sei, denn auch im vergangenen Jahr habe «Gevatter Tod wieder einige Kameraden heimgeholt». Von einst 199 lebten noch 47, 13 seien da, sagt Lüthy. Und jene mit Jahrgang 1924 fühlen sich im vertrauten Kreise ausgesprochen jung. «Es ist schön», sagt einer, «als 85-Jähriger wieder einmal bei den Jüngsten zu sein.»
Vor dem Mittagessen ehrt Lüthy die Verstorbenen und verliest die Entschuldigungen. Einer habe «bei einigen Streifungen viel Kraft verloren». Ein anderer habe «mit dem Gehör und mit dem Gehen» Mühe. Einer könne «umständehalber» nicht dabei sein. Einer sei «verhindert», spendiere aber «einen Unkostenbeitrag von 50 Franken». Einer könne kaum noch von zu Hause weg, weil er «fast dauernd Sauerstoff braucht». Doch auch er grüsse alle Dienstkameraden herzlich und wünsche «viel Vergnügen».
Die alten Männer scheinen tatsächlich viel Vergnügen an ihrer Zusammenkunft zu haben, obschon viele von ihnen nicht mehr so «gschprächig» sind wie früher. Und obschon «wir manchmal Mühe haben, uns überhaupt noch zu kennen», wie der 85-jährige Kurt Sommer sagt. Er rückt die Weingläser etwas zur Seite, um im dicken Erinnerungsbuch der Kompanie zu blättern. Dann wendet er sich an den Tischnachbarn und meint: «Weisch no?»
Er wolle zwar «nicht nur von früher reden», sagt er – erläutert dann aber doch stolz den militärischen Auftrag, den seine Einheit als «Wächterin von Simplon, Grimsel und Griespass» damals zu erfüllen hatte: «Es ging um Zielvermessung und Standortbestimmung. Und um Schallmessung. Mit einem Mikrofonsystem konnten wir, auch ohne Radar, die Standorte der deutschen oder französischen Artillerie bestimmen.» Er sei damals als Artilleriebeobachter ausgehoben worden, weil er als Ingenieur ideale Voraussetzungen für den Dienst in dieser rein technischen Einheit gehabt habe. Sie seien zwar bewaffnet gewesen, doch geschossen hätten sie «eigentlich nie».
Hans Gugger, ebenfalls 85-jährig, Ingenieur-Geometer, rühmt die «vielfältig zusammengewürfelte Gesellschaft» der Artilleriebeobachter: «Bei uns in der Gebirgsbrigade 11 gab es vom Professor bis zum Landwirt alles. Wir hatten einen grossartigen Zusammenhalt. Und ich bedaure, dass dieser Integrationsfaktor mit der heutigen Armeereform verloren geht.»
Damals, am 6. November 1944, um 17 Uhr sei er aus der Rekrutenschule entlassen worden, am nächsten Tag um 10 Uhr sei er in den Aktivdienst eingerückt – für vier Monate, wie sich zeigen sollte. Am Bahnhof sei er von einem Gefreiten abgeholt worden – vom später bekannten Mathematik-Professor Beno Eckmann, der letztes Jahr, als 91-Jähriger, noch mit der Einstein-Medaille ausgezeichnet worden sei. «Das ist doch grossartig», findet Gugger.
Gottfried Lengacher, Jahrgang 1921, Bauer und während 44 Jahren Störenmetzger in Gstaad, pflichtet ihm bei. Er war Säumer, brachte den Kameraden der Geb Art Beob Kp 11 «an insgesamt 997 Aktivdiensttagen» mit seinem Maultier, dem «Mulige» oder «Mülu», «jeweils das benötigte Material, all diesen ,Gerümpel‘, auf die Beobachtungsposten.» Und das, wie Kamerad Arthur Stauffer, Jahrgang 1922, schmunzelnd bemerkt, «oft samt etwas Bäzi, unserem Säumertee».
Lengacher schwärmt: «Für mich war die Aktivdienstzeit eine schöne Zeit – auch wenn es als Matratze oft nur abgehackte Alpenrosenstauden gab.» Sie hätten es untereinander gut gehabt, nun geniesse er es, «diese alte Kameradschaft wieder aufleben zu lassen und in Erinnerungen zu schwelgen».
Zum Zmittag gibt es Gschnätzlets, Rösti und Gemüse – wie an jeder bisherigen Veteranentagung. Dieses Menü bewähre sich, stellt Lüthy fest – «auch für jene, die mit dem Beissen allmählich Mühe haben».
Politisiert wird auch nach dem Essen kaum, denn: «Wir wollen in diesem Kreis noch Freude haben am Leben», sagt Säumer Lengacher, «und uns nicht über die heutige Politik ärgern.» Doch im Ernst: Er habe nichts zu klagen. Seit dem Krieg habe es seine Generation gut gehabt. Es sei stets «obsi» gegangen – erst in letzter Zeit beginne es wieder «es bitzi z krisele».
«Bis ca. um 15.30/16 Uhr bleiben wir zum gemütlichen Gespräch beisammen», hat Lüthi in der Einladung geschrieben. Nun achtet er darauf, dass keiner vergisst, sich mit seiner Unterschrift im Kompaniebuch zu verewigen. Es soll später in der Militärbibliothek einen Platz erhalten, sagt er. Wobei «später» vielleicht schon bald ist: 1970 zum Beispiel waren von 197 eingeladenen Kameraden 120 anwesend. Diesmal, eben, sind es nur noch 13.
Und nächstes Jahr wird Lüthy im «Bellevue» wohl ein noch kleineres Säli reservieren müssen.
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