Interview über Benin-Bronzen«Nigeria will nicht, dass die Schweizer Museen geleert werden»
Kuratorin Michaela Oberhofer erläutert den Bericht der «Benin Initiative Schweiz», die gemeinsam mit Museumsleuten aus Nigeria die Schweizer Bestände erforscht hat.

Frau Oberhofer, warum verhandeln Schweizer Museen mit Nigeria über die Rückgabe von Objekten, welche die Briten 1897 bei ihrem Feldzug gegen Benin-City im grossen Stil geraubt haben?
Die Benin Initiative Schweiz hat in einem einjährigen Forschungsprojekt abgeklärt, welche Objekte aus Benin, die sich in Schweizer Museumsbesitz befinden, zurückgegeben werden sollten. Die Forschungen fanden gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Nigeria statt.
Die Benin Initiative Schweiz hat Historiker und Museumsleute aus der Schweiz und aus Nigeria an ein Symposium ins Museum Rietberg eingeladen. Was war der Anlass dafür?
Wir, das sind acht Schweizer Museen, die in ihren Sammlungen sogenannte Benin-Bronzen haben, untersuchten die Provenienzen dieser Objekte gemeinsam. Die Forschung fand nicht nur aus unserer Schweizer Perspektive statt, sondern hat von Anfang an auch die nigerianische Seite mit einbezogen. Wir haben deshalb nicht nur eine Schweizer Anthropologin angestellt, sondern auch eine Historikerin aus Nigeria.
Was ist besonders an dieser Vorgehensweise etwa im Vergleich zu Deutschland? Im Dezember war ja Kulturstaatsministerin Claudia Roth in Benin-City, um 20 Benin-Bronzen aus deutschen Museen zurückzugeben.
Während in Deutschland und England nach dem Raubzug von 1897 sehr viele Objekte auf direktem Weg in die Museen gekommen waren, ist es in der Schweiz eine relativ kleine Zahl. Es gibt zehn Stücke, die 1898 nach Basel kamen, aber viele andere Objekte in Schweizer Museen gelangten erst im Laufe des 20. Jahrhunderts über den Kunsthandel in die Schweiz. Typischerweise kam es dabei zu zahlreichen Besitzerwechseln, etwa von einem Galeristen zu einem Sammler zu einem Auktionator zu einem Sammler und dann ins Museum. Im Unterschied zu anderen Ländern mussten wir die Grundlagenforschung in Sachen Herkunftsgeschichte der Objekte erst machen, um zu erfahren, welche Objekte eigentlich eine Verbindung zu 1897 haben und welche nicht.
Warum legen die Schweizer so viel Wert auf die Forschungskooperation mit Nigeria?
Wir können mithilfe nigerianischer Forscher viel mehr über die Geschichte, die Bedeutung und die Funktion eines Objekts erfahren, als wenn wir das nur in unseren Archiven machen oder mit der konservatorischen Beschreibung der Objekte.

Mit wem arbeiten die Schweizer Museen in Nigeria zusammen?
Wir haben im März 2022 einen Workshop in Benin-City gemacht, wo wir über alle Objekte in Schweizer Museen gesprochen haben, also auch über solche, die nach der Plünderung von Benin hergestellt und auch danach gehandelt wurden. An diesem Workshop nahmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Mitglieder des Palastes teil, in dem der aktuelle König Ewuare II residiert, der Nachfolger der historischen Oba von Benin ist. Ebenso nahmen Expertinnen und Experten der nationalen Museumskommission von Nigeria teil, die ebenfalls Ansprüche auf die Kulturgüter aus Benin erheben.
Ergab das eine fruchtbare Diskussion?
Ja. Es kam dabei zum Ausdruck, dass die Plünderung und Zerstörung von Benin-City ein traumatisches Erlebnis war, das bis heute in der nigerianischen Gesellschaft nachwirkt. Aber die Geschichte Benins reduziert sich nicht nur auf dieses Ereignis. Es gibt eine jahrhundertealte kunstgeschichtliche Tradition in Benin, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreicht, und es gibt auch nach 1897 eine künstlerische Produktion in der Stadt, die den Weg ins Ausland fand. Es gibt in Benin noch heute zunftähnliche Gesellschaften, sogenannte Gilden, die sich auf die Herstellung von Metallobjekten spezialisiert haben und durch die Ereignisse von 1897 mehr künstlerische Freiheiten erhielten. Während sie vorher fast ausschliesslich im Dienste des Oba und des Palastes waren, konnten sie danach für einen grösseren Kunstmarkt arbeiten.
Es gibt Stimmen, welche die Rückgabe von Objekten an Nigeria kritisieren, weil der historische Staat Benin im Sklavenhandel engagiert war.
Dürfen die Nigerianer ihre Kunstwerke etwa nicht zurückfordern, weil ihrer Vorfahren Sklavenhandel betrieben? Historisch gesehen hat es in Afrika schon immer eine Binnensklaverei gegeben. Diese hatte aber eine ganz andere Dimension als der transatlantische Sklavenhandel. Ich finde es schwierig, das eine Unrecht gegen das andere Unrecht auszuspielen. Trotzdem haben die Europäer wenig moralische Autorität, wenn es um die Kritik am Sklavenhandel geht. Zudem ist der Raubzug der Engländer gegen Benin-City ein koloniales Ereignis, das an Brutalität kaum zu überbieten ist. Zusätzlich wurden 1897 Tausende von Objekten geplündert und kurz danach in London auf den Markt gebracht.
Was sagen Sie den Nachkommen von Stämmen, die von den Obas von Benin versklavt wurden und sich jetzt gegen die Rückgabe von Beninbronzen wehren (z.B. die New Yorker «Restitution Study Group»)?
Die öffentliche Debatte zur Provenienzforschung, speziell auch zu Objekten aus dem ehemaligen Königtum Benin, ist äusserst vielschichtig, dies schliesst auch die Geschichte der Sklaverei ein. Die Stimmen der Nachfahren von versklavten Personen sind Teil des Aushandlungsprozesses zur Geschichte der Objekte.
Die ganze Debatte läuft ja vor dem Hintergrund von Restitutionswünschen seitens Nigerias ab. Wie sieht das jetzt in Bezug auf die Schweiz aus?
Was die Objekte betrifft, die nicht direkt mit der Plünderung zu tun haben, wird es auch keine Rückgabeforderung geben. Wir diskutieren mit unseren nigerianischen Partnern, ob es bei einzelnen Objekten wie in Deutschland eine Übertragung des Eigentums (engl. transfer of ownership) geben wird und wie dies aussehen könnte. Von der nigerianischen Seite wissen wir, dass ein Transfer of Ownership zwar wichtig wäre, aber dass man auch nicht will, dass die Schweizer Museen jetzt geleert werden. Der nigerianische Museologe und Anthropologe Abba Isa Tijani, der Generaldirektor der National Commission of Monuments ist, sagt: «We don’t want to create a vacuum.» Ihm geht es auch um die Zirkulation von Objekten, um Dauerleihgaben oder um gemeinsame Projekte in der Forschung und bei der Restaurierung von Objekten.
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