Neues Gutachten hält Vorlage gegen Reitschule für gültig
In strittigen Fällen solle über eine Vorlage abgestimmt werden, heisst es im Gutachten, das von der Jungen SVP in Auftrag gegeben wurde.

Das Rechtsgutachten von Etienne Grisel, Honorarprofessor der Universität Lausanne kommt zum Schluss, dass die Initiative gegen die Reitschule von SVP-Nationalrat Erich Hess gültig und dem Volk vorzulegen sei. Der Regierungsrat beantragte dem Grossen Rat, die Vorlage für ungültig zu erklären, gestützt auf ein Gutachten von Professor Giovanni Biaggini von der Universität Zürich. Die von Biaggini angeführten Punkte versucht Grisel zu widerlegen:
• Für Grisel steht die Initiative nicht im Widerspruch zum Gesetz über den Finanz- und Lastenausgleich (Filag). Mit der Initiative will die Junge SVP der Stadt Bern jährlich Gelder in Höhe von 55 Millionen Franken streichen, solange die Reitschule mit der heutigen Nutzung besteht. Es sei möglich, die allgemeinen Bestimmungen auch auf andere Gemeinden zu beziehen. Es handle sich um eine Frage der Interpretation, es sei nicht explizit verboten, den Anhang später zu ergänzen.
• Die Kürzung wegen der Reitschule ist für Grisel kein Fremdkörper im Filag. Das Gutachten erwähnt als Beispiel die Kürzung der Abgeltungen, die Gemeinden treffen kann, welche sich Fusionsgesprächen oder einer Fusion verweigern. Deren Gültigkeit sei nicht strittig – analog sei darum auch die Kürzung wegen der Reitschule gültig. Allerdings ist im angeführten Filag-Artikel 35 eine «Kann»-Formulierung enthalten, zudem bemisst sich der Umfang nach der Höhe des vermuteten Minderaufwands und darf diesen nicht übersteigen. Beides wäre bei der Initiative allerdings nicht der Fall.
• Grisel hält fest, dass die Initiative nicht gegen das Gleichheitsgebot verstosse, die Gleichbehandlung beziehe sich auf Personen und nicht auf Gemeinden. Es gebe zahlreiche Bereiche, in denen Gemeinden nicht gleich behandelt würden, im Filag selber würden ja urbane Zentren wie Bern, Biel oder Thun gesondert betrachtet.
• Zum Prinzip der Verhältnismässigkeit sagt er, dieses könne nur angerufen werden, wenn fundamentale Rechte wie etwa die Gemeindeautonomie tangiert seien. Für Grisel ist die Frage der Verhältnismässigkeit politisch und nicht juristisch zu entscheiden. Zudem werde die Autonomie von Gemeinden jeweils durch die kantonale Gesetzgebung definiert. Dass die Autonomie der Stadt im Bereich der Kulturförderung durch die Initiative eingeschränkt würde, ist für den Rechtsprofessor zulässig, denn die Kultur sei auch eine Aufgabe des Kantons und nicht nur der Gemeinden.
• Das Gutachten geht auch auf die Frage des Einzelfalls ein. Als Gegenstand von Initiativen seien auch einzelne konkrete Objekte möglich. So sei die Initiative für eine Abschaltung des AKW Mühleberg vom Grossen Rat für gültig erklärt und dem Volk vorgelegt worden.
• Zur Frage des rechtlichen Gehörs für die Stadt Bern merkt Grisel an, dieses könne im Rahmen einer späteren Verfügung gewährt werden. Träten die neuen Gesetzesbestimmungen in Kraft, so müsste der Regierungsrat für die Kürzung der Abgeltungen eine Verfügung erlassen – diese wäre anfechtbar. Allerdings ist es fraglich, ob die Initiative dem Regierungsrat überhaupt einen Handlungsspielraum liesse, ob und in welchem Ausmass er die vorgesehene Kürzung auch beschliesst.
«In dubio pro populo»
Grundsätzlich vertritt Grisel die Auffassung, dass nach dem Prinzip «in dubio pro populo» zu verfahren sei – das heisst, in strittigen Fällen solle ein Begehren immer dem Stimmvolk vorgelegt werden. Nur dann könne man von diesem Prinzip abweichen, falls eine Initiative «offensichtlich und unzweifelhaft» ungültig sei.
Auch im Gutachten von Biaggini wird auf diese Maxime eingegangen. «In dubio pro populo» beziehe sich, so Biaggini, jedoch auf die Auslegung des Wortlauts der Initiative, un nicht auf die Interpretation des übergeordneten Rechts.
Für den Grossen Rat wird der Entscheid über die Initiative in jedem Fall sehr knifflig. Biaggini hielt fest, in einer solch schwierigen Situation könne die Antwort nicht mit letzter Sicherheit gegeben werde. Es bestehe für den Grossen Rat «ein gewisser Beurteilungsspielraum».
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