Naturlaut und Klangzauber
Originell der Rahmen, pompös der Aufmarsch der Prominenz, imposant die musikalische Darbietung: Am Mittwochabend wurde im KKL der fünfwöchige Reigen des Lucerne Festival im Sommer eröffnet. Zum Tönen gebrachte Natur in Variationen.
Kein illustrer Philosoph stand am Eingang des diesjährigen Lucerne Festival. Sondern Musik, freilich in ungewohnter Form. Draussen hatten fünfzehn Alphörner und die Luzerner Kantorei Platz genommen. Inspiriert von jener Anmerkung, die Gustav Mahler über den Anfang seiner Ersten Sinfonie gesetzt hatte: «wie ein Naturlaut». Das waren, bei den Alphörnern, urtümliche Töne, zu denen die jugendliche Sängerschar eine betörende Folie beisteuerte und in welche Bläser des Festival-Orchesters Motivfetzen aus ebendiesem Mahler-Werk streuten. Die Idee zu dieser Klangperformance stammte von Balthasar Streiff, dem Leiter des Ensembles «hornroh».
Den Marsch blasen
Unter den zahlreichen Zuschauern und Zuhörern vor dem KKL fanden sich nicht nur Neugierige aus Luzern, sondern auch die allmählich eintrudelnden Besucher des Eröffnungskonzertes. «Toute la Suisse», zumindest politisch oder wirtschaftlich, war vertreten. Ja, man mag das Bonmot prägen: Wer hier nicht dabei war, darf sich kaum prominent nennen.
Immerhin – ganz ohne (kurze) Reden ging es auch diesmal nicht. Der neue Präsident des Stiftungsrates, Hubert Achermann, begrüsste die Gäste, streifte die gesellschaftliche Situation («Krise als Chance») und meinte frohgemut: «Qualität gewinnt einen neuen Stellenwert.» Fünf Minuten Zeit hatte Bundespräsident Hans-Rudolf Merz für sein Grusswort erhalten. Das reichte für ein paar Aperçus über Natur und Kunst plus einen finanzpolitischen Seitenhieb mit musikalischer Anspielung – kleinen Ländern werde heute in der grossen Welt mit Vorliebe der Marsch geblasen . . .
Stillstand und Energie
«Langsam. Schleppend.» So verlangt Gustav Mahler den Einstieg in seinen sinfonischen Erstling. Claudio Abbado versteht das wörtlich. Hier scheint, in den Holzbläser-Quarten wie in den Vogelrufen, die Natur wie erstarrt. Da gerät Musik fast zum Stillstand, jenseits deren nur noch Schweigen vorstellbar ist. Trotz solch extrem gespreiztem Tempo ist es Maestro Abbado, dem überlegenen Klangarchitekten, gelungen, das sich allmählich herauslösende Wanderthema – «Ging heut' morgen übers Feld», ein Zitat aus den Liedern eines fahrenden Gesellen – als logische, ja zwingende Entwicklung herauszustellen.
Freilich konnte sich der Dirigent einmal mehr auf sein exklusives Lucerne Festival Orchestra verlassen, das bereits in seinem siebenten Jahr steht. Natürlich, die Zusammensetzung verändert sich unmerklich, die Bläsergruppe um Sabine Meyer etwa ist heuer nicht dabei. Aber immer noch mutet es zauberhaft an, wie dieses hundertköpfige Ensemble das Pianissimo-Spiel beherrscht. Fast unhörbar, dennoch klar konturiert – sinnliche Delikatesse in feinster Zubereitung.
Handkehrum die scharfe Akzentuierung des derb Ungestümen im rustikalen zweiten Satz wie des grell Vulgären im folgenden parodistischen Trauermarsch, wo die «extraterrestrische» Vision des Mittelteils als ungreifbarer Traum hingehaucht wurde. Im Finale, das manche Interpreten bloss zu purer Kraftentfaltung nutzen, liessen Abbado und seine Musiker gestaute Energien durchbrechen. Klar, die Apotheose am Schluss hat etwas Gewaltsames – hier erschien sie als trotziger Jubel.
Klavier-Aufsteigerin
Nicht ganz so hohe Wellen, wenn wir schon bei einem Naturbild bleiben wollen, warf die erste Konzerthälfte. Zwar war mit der 22-jährigen Yuja Wang die pianistische Aufsteigerin des Jahres zur Stelle. Wenn vom Dritten Klavierkonzert Sergej Prokofjews die Rede ist, wird auf dessen stählerne Wucht verwiesen. Natürlich verfügt die junge Pianistin über viel Kraft in Gelenken und Fingern; aber jenes Bruitistische, das in diesen Tönen steckt, geriet doch eher an den Rand. Vielleicht ging es der technisch überragenden Yuja Wang darum, aufzuzeigen, dass in Prokofjews Musik noch andere Dimensionen stecken – das Groteske, das Motorische, das Lyrische.
Gerade aus der filigranhaften Poesie des Mittelsatzes holte die Interpretin viel Zärtlichkeit heraus, und die brillanten Finale-Kaskaden liess sie pikant abschnurren. Dass Yuja Wangs Eigenart in den verspielten Bereichen liegt, mochte auch die Zugabe – eine Domenico-Scarlatti-Sonate – belegen.
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