Nach Djokovic knöpft er sich Federer vor
Wow! Nick Kyrgios, Bad Boy des Tennis, spielt derzeit grossartig. Dabei war er erst gerade noch an «einem dunklen Ort».

Und plötzlich präsentiert Nick Kyrgios wieder einmal seine andere Seite – jene, die die Tenniswelt so gerne öfter sehen würde und die ihn zum neuen Superstar seines Sports machen könnte: die eines hoch talentierten, spektakulären Emporkömmlings, der der Szene neues Leben einhaucht und alles mitbringt, um zum Teenager-Idol zu werden – der respektlos und mit verblüffender Leichtigkeit Topspieler eliminiert und danach freundlich und gewissenhaft alle Fragen beantwortet, ohne ausfällig oder beleidigend zu werden oder gelangweilt zu wirken.
Der Mittwoch in Indian Wells ist wieder einer dieser Tage für den explosiven 21-Jährigen, der so bekannt ist für seine Temperamentsausbrüche, provokativen Aussagen und lustlosen Auftritte wie für seine Winner und Hammeraufschläge – egal, ob es sich um erste oder zweite handelt. Bis er nach seinem zweiten Sieg über Novak Djokovic innert zweier Wochen (nach Acapulco) im Interviewraum erscheint, sind aber schon einige Stunden vergangen, weil er auch noch Doppel spielen musste (und dabei mit Zimonjic ausschied).
«Ich war an einem dunklen Ort»
Er sei mental in einer guten Position, hatte Kyrgios auf dem Court nach dem 6:4, 7:6 über den Weltranglistenzweiten erklärt, dessen Erfolgsstrecke in Indian Wells er nach 19 Siegen beendete. «Ich war an einem ziemlich dunklen Ort gegen Ende der vergangenen Saison», nimmt er nun das Thema wieder auf. «Ich war zwar die Nummer 13, aber ich machte mich selber fertig. Ich reiste an Orte und Turniere, an die ich gar nicht hinreisen wollte. Ich wollte nicht trainieren, wollte gar nichts machen. Mein Team war zwar motiviert, aber ich nicht.»
Video – immer wieder zeigte sich Kyrgios von seiner schlechten Seite:
Nach einem lamentablen Auftritt in Shanghai wurde er von der ATP-Tour sogar gesperrt, verpasste dadurch auch die Swiss Indoors und musste sich einer Therapie unterziehen, um im Januar in Australien wieder spielen zu dürfen. Doch das Jahr begann für ihn nicht gut. Gegen Andreas Seppi scheiterte er am Australian Open trotz 2:0-Satzführung und Matchball schon in Runde 2. Und natürlich wurde er darauf wieder von allen Seiten harsch kritisiert, vor allem von den australischen Medien. Daran hat er sich längst gewöhnt: «Ich bin eben der Typ, der einerseits eine grosse Fanbasis hat, andererseits mögen mich viele gar nicht. Damit kann ich umgehen.»
Der Davis-Cup und die Freundin
Trotzdem habe ihn das Australian Open in die nächste Krise gestürzt, gibt er zu. Eine Woche mit der Freundin, der Kroatin Ajla Tomljanovic, und eine Nomination von Captain Lleyton Hewitt für die Davis-Cup-Partie gegen Tschechien leiteten den Aufwärtstrend ein. «Der Davis-Cup war das Beste, was mir passieren konnte», sagt er. Der anhaltende Kontakt mit den Teamkollegen inspiriere ihn, die Freude am Training sei zurückgekommen.
«Es war, als ob ein Schalter umgelegt worden wäre. Nun geniesse ich das Tennis wieder, bleibe positiv und ziehe mich nicht mehr selber hinunter», sagt Kyrgios. Trotz seiner wuchtigen Rapper-Erscheinung ist der 1,94 m grosse Powerspieler aus Canberra sehr feinfühlig. «Es hilft mir, Leute um mich herum zu haben, die mich unterstützen. Das ist der Schlüssel.» Zu dieser Gruppe gehört seine Mutter, die ihn in Indian Wells begleitet. Stimulierend ist für ihn aber vor allem, dass seine Freundin nun wieder Turniere spielen kann und er sie dadurch regelmässiger sieht. Die 23-jährige Tomljanovic verpasste wegen einer Schulterverletzung fast die gesamte letzte Saison und ist nur noch auf Rang 664 klassiert.
Fan und Bezwinger von Federer
Kyrgios wehrt sich aber dagegen, permanent in die Rolle des Bösewichts und Tennisrüpels gedrängt zu werden. «Ich bin überhaupt kein schlechter Kerl, ehrlich. Ich hatte zwar einige Zwischenfälle auf dem Court, aber das kam mit der Hitze des Gefechts. Abseits der Courts habe ich nie etwas Ungesetzliches getan.» Er redet sich in Fahrt: «Ich bin nie betrunken Auto gefahren, habe niemanden erschossen, habe nichts gestohlen. Wenn man die Perspektive wahrt, bin ich wirklich keine schlechte Person.»
Auf Federer traf er erst einmal, 2015 in Madrid auf Sand – am Tag, an dem dessen Zwillingsbuben ihren ersten Geburtstag feierten. Dass der Australier trotz Rückstand nach abgewehrtem Matchball 6:7, 7:6, 7:6 gewann, bezeichnet er heute als «irgendwie surreal». Federer ist zwar nicht sein Idol, da bevorzugt er Jo-Wilfried Tsonga und Gaël Monfils, aber er sei ein grossartiges Vorbild und «der grösste Spieler aller Zeiten», so Kyrgios. Er war auch nicht überrascht, als er nach einem Langstreckenflug herausfand, dass Federer zum 5. Mal Australian-Open-Champion geworden war. «Ich hatte gehofft, dass er gewinnt. Und mich kann er gar nicht mehr überraschen. Das Alter ist für ihn nur eine Zahl. Solange er gesund bleibt, wird er stets zur Spitze gehören.»
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