Militärische Konfrontationen «auf Niveau des Kalten Kriegs»
Simulierte Bomberangriffe, ein entführter Geheimdienstagent und ein Beinahezusammenstoss: Die Zwischenfälle zwischen Russland und dem Westen werden häufiger und immer gravierender.
«Die Welt ist an der Schwelle zu einem neuen Kalten Krieg. Manche sagen, er hat schon begonnen.» Diese Worte wählte der frühere sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow bei den Feiern zum 25. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin, um das angespannte Verhältnis zwischen Russland und dem Westen zu beschrieben.
Ablesen lässt sich die Verschlechterung der Beziehungen auch an der Zahl militärischer Konfrontationen. Wie eine neue Zusammenstellung des Londoner Thinktanks European Leadership Network zeigt, hat die Zahl bedenklicher Vorfälle in der Luft, am Boden und auf dem Wasser in den letzten Monaten markant zugenommen.
40 heikle Vorfälle
Die Organisation klassifiziert 40 Vorfälle der letzten 8 Monate als gefährlich oder zumindest heikel, darunter den Beinahezusammenstoss eines russischen Spionageflugzeugs mit einer Passagiermaschine über der Nordsee im März (siehe Bildstrecke).
Dass die Luftwaffen und weitere Teile der Streitkräfte nicht befreundeter Staaten die Fähigkeiten der Gegenseite testen, ist an sich nichts Ungewöhnliches. So ist das Ausspionieren anderer Länder mittels Überwachungsflugzeugen üblich, ebenso das Patrouillieren von Kampfjets und Bombern in der Nähe fremder Länder. Als Reaktion darauf lässt die Luftwaffe des betroffenen Staats in der Regel Abfangjäger aufsteigen, worauf die in offensiver Mission befindlichen Maschinen in der Regel unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Aggressive Mittel
Zwischen diesen üblichen Katz-und-Maus-Spielen und einer gewaltsamen Auseinandersetzung existiert aber noch eine Reihe von Manövern, die als besonders aggressiv gelten. Dazu gehört das Aufschalten gegnerischer Maschinen oder Einrichtungen auf das Zielradar, Annäherungen auf wenige Meter, das Überfliegen fremder Kriegsschiffe, das Simulieren von Angriffen sowie das Eindringen in den gegnerischen Luftraum.
All diese Mittel hat die russische Luftwaffe in den letzten Monaten allerdings teilweise wiederholt angewendet. «Wir erachten die 40 erfassten Vorfälle als eine sehr ernste Entwicklung, nicht unbedingt weil sie auf ein russisches Bedürfnis hinweisen würden, einen Krieg zu beginnen, aber weil sie zeigen, welch waghalsiges Spiel gespielt wird, welches das Risiko einer unbeabsichtigten Eskalation in sich trägt», schreiben die Studienautoren Thomas Frear, Lukasz Kulesa und Ian Kearns.
3 hochriskante Konfrontationen
Der Befund der Studienautoren veranlasste die britische Tageszeitung «The Guardian» zu konstatieren, die militärischen Konfrontationen befänden sich wieder «auf Niveau des Kalten Kriegs».
Von den 40 aufgeführten Vorfällen bewerten die Studienautoren 3 als hochriskante Vorfälle, welche eine hohe Wahrscheinlichkeit der Schädigung von Beteiligten oder einer direkten militärischen Konfrontation mit sich gebracht hätten. Dazu gehören der mutmassliche russische U-Boot-Einsatz in schwedischen Gewässern, der Beinahezusammenstoss einer russischen Spionagemaschine mit einer Passagiermaschine sowie die Entführung eines estnischen Agenten.
Appelle an Russland – und an den Westen
Weitere 11 Vorfälle stufen die Studienautoren als ernst und ungewöhnlich stark provozierend ein. Von Russland fordert der Thinktank, die Kosten und Risiken seiner militärischen Aktivitäten dringend zu überprüfen.
Der frühere russische Staatschef Michail Gorbatschow hingegen sah bei seiner Rede in Berlin hingegen den Westen in der Pflicht. Er warf dem Westen und insbesondere den USA vor, ihre Versprechen nach der Wende 1989 nicht gehalten zu haben.
Stattdessen habe man sich zum Sieger im Kalten Krieg erklärt und Vorteile aus Russlands Schwäche gezogen: «Die Ereignisse der vergangenen Monate sind die Konsequenzen aus einer kurzsichtigen Politik, aus dem Versuch, vollendete Tatsachen zu schaffen und die Interessen des Partners zu ignorieren.»
SDA/mw
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