Mamablog: Introvertiert, na und?Mehr Raum für stille Kinder
Die Bedürfnisse introvertierter Kinder kollidieren allzu oft mit den Anforderungen, die man an sie stellt: Schulpräsenz, Konkurrenzkämpfe und wilde Geburtstagspartys.

Als Kind fand ich grosse Familienfeiern ziemlich anstrengend. Denn so wundervoll meine Verwandtschaft auch war — sie war auch sehr laut. Stundenlang wurde lebhaft und durcheinander über Gott und die Welt diskutiert. Und während ich anfangs noch gut und gerne mitredete, kam ich gegen den steigenden Geräuschpegel irgendwann nicht mehr an. Ich klinkte mich aus, hörte zu und beobachtete.
Ich erinnere mich, dass ich in diesen Momenten entweder nach dem Alleinsein durstete oder einfach das Zuhören und Beobachten genoss. Als eine der wenigen in unserer Familie war ich introvertiert. Ich konnte stundenlang allein sein, ohne dass mir langweilig wurde oder ich mich einsam fühlte. Ich liebte es, meine Zeit mit Lesen und Geschichtenhören zu füllen und konnte pausenlos die Krabbeltiere im Garten beobachten.
Das Alleinsein als Akku-Ladestation
Jeder zweite bis dritte Mensch ist introvertiert. Und da wir Introvertierten recht gut darin sein sollen, zumindest zeitweise extrovertiert aufzutreten, sind wir nicht immer auf Anhieb zu erkennen. Oder hätten Sie gedacht, dass Bühnenstar Beyoncé introvertiert sein soll? Eben. (Lesen Sie hierzu auch den Mamablog-Beitrag Introvertierte werden unterschätzt)
Die Autorin Eva Lohmann, die in ihrem Buch «So schön still» ihr eigenes Introvertiertsein reflektiert, fasst den grundlegenden Unterschied zwischen «Innies» und «Outies» sehr einleuchtend zusammen: Wir Innies fühlen uns durch den sozialen Austausch mit anderen Menschen schneller erschöpft und laden unsere «soziale Batterie» im Alleinsein wieder auf. Outies dagegen kommen zu Kräften, wenn sie unter Menschen sind und finden das Alleinsein oft anstrengend. Wir Innies können deshalb oft schüchtern oder gar arrogant wirken. Dabei geniessen wir den sozialen Austausch einfach auf unsere eigene Art.
Eigene Unsicherheiten hinterfragen
Heute, als dreifache Mutter, weiss ich Momente des Alleinseins erst wirklich zu schätzen. Und heute weiss ich auch, dass es völlig okay ist, introvertiert zu sein. Kinder haben diese Sicherheit meist nicht. So hört das Kind, das sich gerade lieber zurückzieht als mit den anderen Kindern Fangis zu spielen, von uns Erwachsenen oft Sätze wie: «Warum spielst du nicht mit» oder «sei doch nicht so schüchtern».
Und vielleicht können wir Grossen ja vom Innie-Kind auch lernen, einfach mal still zu sein und innezuhalten.
Einerseits verständlich, denn niemand will, dass das Kind zum sozialen Aussenseiter wird. Es soll glücklich werden und sich später in der Welt gut zurechtfinden können. Aber vielleicht lädt es im Alleinsein ja gerade seine soziale Batterie wieder auf. Überwindet sich dann aber und schliesst sich nur uns zuliebe den anderen Kindern an. Begleitet von dem Gefühl, ansonsten irgendwie nicht «richtig» zu sein.
Natürlich sind solche Aufforderungen im Grunde gut gemeint. Garantiert habe ich selbst schon Dutzende Male ähnliche Sätze zu meinen Kindern gesagt. Sie sind Teil des grossen Repertoires an Aussagen, die wir unbewusst an unsere Kinder weitergeben, weil wir sie selbst vielleicht schon so oft gehört haben. Und von denen wir manchmal vergessen, wie sie sich anfühlten. Letztlich aber haben sie mehr mit unseren eigenen Ängsten und Bedürfnissen zu tun als mit denen des Kindes.
Einfach mal still sein
Eva Lohmann macht darauf aufmerksam, dass unsere Gesellschaft vor allem extrovertierte Kinder mag. Mutig und schlagfertig sollen sie sein. Wen wunderts: Eine gelungene Selbstdarstellung gilt schliesslich als entscheidend für eine erfolgreiche Zukunft. Laut Lohmann würden jedoch die ständige Präsenz in der Schulgemeinschaft, der zunehmende Fokus auf Gruppenarbeiten und die allgegenwärtige Wettbewerbskultur und sogar zu wilde Geburtstagspartys mit den Bedürfnissen introvertierter Kinder kollidieren. Wir Erwachsenen täten deshalb gut daran, ihnen den nötigen Raum zuzugestehen.
Seine eigenen Grenzen zu kennen und für sie einstehen zu können, ist eine wertvolle Fähigkeit, die wir Kindern bewahren sollten. Und vielleicht können wir Grossen ja vom Innie-Kind auch lernen, einfach mal still zu sein und innezuhalten. Oder einander wirklich zuzuhören. Schaden kann es sicher nicht.
Sind Sie extrovertiert oder introvertiert? Und wie ist es mit Ihren Kindern? Teilen Sie Ihre Erfahrungen und diskutieren Sie mit.
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