Mehr Biedermänner als Brandstifter
Heute präsentiert die Interjurassische Versammlung ihren Bericht zur Zukunft des Berner Juras und des Kantons Jura. Die Menschen auf der Strasse sind zwar informiert, haben aber andere Prioritäten. Eine Reise durch eine Region, die nie ganz zur Ruhe kam.
Dass Roland Béguelin hier geboren wurde, weiss heute in Tramelan kaum noch jemand. Vielleicht will man es im abgelegenen Jurastädtchen aber auch gar nicht wissen. Hier gibt die Force démocratique den Ton an und der berühmte Sohn, der massgeblich zur Abspaltung der nördlichen Jurabezirke vom Kanton Bern beigetragen hat, passt nicht so recht ins Bild der Berntreuen-Hochburg. Im Hôtel de Ville fragen wir nach Béguelins Geburtshaus. «Keine Ahnung», sagt die Frau am Empfang. In den 20 Jahren, die sie nun hier arbeite, sei sie noch nie danach gefragt worden. Ein Anruf beim ehemaligen Lehrer, Dorfhistoriker und Mitbegründer der Force démocratique, Roland Stähli, bringt auch nur vermeintliche Klärung. Béguelin sei an der Rue Virgile Rossel 15 geboren. Kurz darauf meldet sich Stähli nochmals, es sei wohl doch eher die Nummer 9 gewesen, sicher sei er aber nicht.
Bei der Nummer 9 öffnet niemand, bei der 15 werden wir hingegen eingelassen. Seit über 25 Jahren wohnt hier eine deutschsprachige Täuferfamilie, deren Vorfahren einst von den reformierten Bernern in die katholischen Jurahöhen des Fürstbistums Basel vertrieben worden sind. Von den ehemaligen Hausbesitzern weiss die Mennonitin nichts. Über die aktuelle Diskussion zur Zukunft des Berner Juras ist sie hingegen informiert. Ihr Kommentar: «Man soll uns einfach leben lassen», dies sei schon immer die Devise der Täufer gewesen. Viele hier mögen ähnlich denken. «Das sind alte Geschichten, das ist Vergangenheit», sagt uns ein alter Mann im Dorfzentrum. Und beim Pausenkaffee im örtlichen Berufsbildungszentrum erregt man sich mehr über den Versand der Unterlagen zu den eidgenössischen Abstimmungen in Deutsch als über die Idee des Kantons Jura, sich die drei bernjurassischen Bezirke einzuverleiben.
Die Farbe der auf- und übermalten Bern- und Jurawappen, die wir auf der Fahrt nach Malleray sehen, blättert langsam ab. Neben der neuen Sägerei Houmard SA thront hingegen unerreichbar und frisch gestrichen auf einer hohen Säule ein Berner Wappen. Im Zentrum von Malleray, wo die Sägerei früher stand, zeugt nur noch eine Brache vom Brandanschlag der separatistischen Béliers. 1992 sollen sie den Betrieb des damaligen Präsidenten der Force démocratique angezündet haben. Der mutmassliche 21-jährige Täter hat sich ein Jahr später vor dem Rathaus in Bern versehentlich selber in die Luft gesprengt. An diese «schlimme Zeit» erinnert sich die Frau im Kiosk gegenüber noch gut. Sie habe ihren Mann, der bei der Feuerwehr gewesen sei, zwei Tage lang nicht gesehen. «Heute interessiert der Jurakonflikt die Jungen aber nicht mehr», sagt die Verkäuferin. Ganz ausgeschlossen sei es aber nicht, dass Heisssporne die Diskussion jetzt wieder anheizten. Erst Ende April hätten junge berntreue Sangliers das riesige Jurawappen an der Felswand über Moutier mit grauer Farbe übermalt.
Auch anderswo in Moutier, dem «Cœur du Jura», waren die Flachmaler an der Arbeit. «Jura libre» und «Fuck Berne» heisst es auf der Empfangstafel beim Ortseingang. Aber auch die Büros des Mouvement autonomiste jurassien, im Keller des legendären Hôtel de la Gare, wo einst Berner Grenadiere gegen die Separatisten vorgegangen sind, sind nicht verschont geblieben. Ansonsten sei es sehr ruhig in Moutier, sagt der Abwart der Sociét'halle, wo heute unter der Schirmherrschaft von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf der Bericht zu einer möglichen Vereinigung des Berner Juras mit dem Kanton Jura vorgestellt wird. Heute müsse man in viel grösseren Dimensionen denken und mindestens auch noch den Kanton Neuenburg in die Überlegungen einbeziehen, sagt der Abwart beim Fensterputzen.
«Heute sitzen Berntreue und Separatisten am gleichen Tisch», erzählt der Wirt der «Rôtisserie du Centre». Früher sei dies undenkbar gewesen, der Jurakonflikt habe damals sogar Familien entzweit. Heute interessiere aber auch in Moutier, der Stadt des autonomistischen Stadtpräsidenten Maxime Zuber, die Wirtschaftslage viel stärker als der alte Zwist zwischen Nord- und Südjura. «Die Leute wollen in Harmonie leben», sagt der Beizer.
Durch die Klus der Birs verlassen wir den Kanton Bern, fahren an den neusten Tiefbauten der Transjurane-Autobahn, eines Symbols der guten Zusammenarbeit zwischen den Kantonen Bern und Jura, vorbei und biegen nach Vellerat ab. «Cette commune veut la reunification», heisst es am Ortseingang. Zu erkennen ist auf der Ortstafel auch noch der einstige Zusatz «Commune libre». Vellerat war bei der Gründung des Kantons Jura gegen den Willen der Bevölkerung beim Kanton Bern verblieben und hatte sich daraufhin zur freien Gemeinde erklärt. Erst nach einer erneuten eidgenössischen Volksabstimmung 1996 durfte die 80-Einwohner-Gemeinde zum Jura wechseln.
Der Landwirt, den wir im Dorf treffen, hat mit der Geschichte abgeschlossen. Vom anstehenden Bericht zur Zukunft der Region weiss er nichts. «Steuern bezahlt man überall, ob im Kanton Jura oder Bern», sagt er, «und entscheiden tun sowieso die Oberen.» Ganz verdaut ist die turbulente Geschichte aber doch noch nicht. Wenn er mit seinem Traktor am alljährlichen Fest des jurassischen Volkes in Delsberg keinen Umzugswagen ziehe, werde er sofort als «kleiner Berner» verschrieen, sagt der Landwirt. Und auch im Restaurant an der Place Roland Béguelin ist man zurückhaltend: «Als Beizer mit Gästen aus beiden Kantonen muss man neutral sein», sagt der Wirt.
Also fahren wir nach Delsberg, wo die Meinungen eigentlich gemacht sein sollten. Hier wurde die Volksinitiative «Un seul Jura» lanciert und hier hat das jurassische Kantonsparlament dieses einseitige Angebot an den Kanton Bern für eine «Wiedervereinigung» für gültig erklärt. «Heutzutage ist es lächerlich, über Kantonsgrenzen zu streiten», sagt eine junge Mutter. Sie habe in Freiburg studiert, in Bern gearbeitet und wohne jetzt in Delsberg, das sei die heutige Realität. Der Kanton solle seine Energie besser dazu verwenden, je nach Bedarf Allianzen mit Basel, Neuenburg oder Bern zu schmieden. Auch für zwei Gymnasiastinnen ist die «Réunification» kein Thema: «Was für ein Bericht? Keine Ahnung!»
Zum Schluss unserer Reise finden wir doch noch einen Befürworter eines neuen grossen Kantons Jura: «Das bringt beiden Seiten Vorteile», sagt der ältere Herr. Er relativiert aber sogleich: «Die Jurassier wollen schon, die Berner aber nicht.» Hoffnungen, dass die Bernjurassier ihre Meinung änderten, habe er nicht, auch wenn man als «cadeau» Moutier zur neuen Hauptstadt machen würde. «Die Initiative für eine Wiedervereinigung müsste eigentlich vom Berner Jura ausgehen», sagt der Mann und geht davon.
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