Glauben und Queer«Man kann heute nicht widerspruchsfrei gläubig sein»
Wie passt eine lesbische Frau in eine Institution, die jahrhundertelang von patriarchalen Strukturen beherrscht wurde? Diesen Fragen geht der Film «Queer Glauben» auf den Grund.

Stefanie Arnold hatte zwei Coming-outs in ihrem Leben. Und das eine fiel ihr deutlich leichter als das andere. Sie sagt: «Mein lesbisches Outing war für mich einfacher, als mich als Lesbe als gläubig zu outen.»
Stefanie Arnold ist im Kanton Uri römisch-katholisch aufgewachsen und wohnt heute in Bern. Sie ist Feministin, war in der Reitschule und in der Kulturszene aktiv und eine Zeit lang etwa auch Geschäftsführerin des Vereins Bern für den Film. Sie hat Theologie und Religionswissenschaften studiert. Zuerst noch in der römisch-katholischen Kirche heimisch, ist sie heute Mitglied der christkatholischen Kirche, der dritten und kleinsten Landeskirche, einer der liberalsten Kirchen der Schweiz. Es gibt momentan zehn Priesterinnen in der christkatholischen Kirche, die landesweit rund 12’000 Mitglieder hat.
Reise durch die Schweiz
Im Film «Queer Glauben» der Berner Regisseurin Madeleine Corbat erzählt Stefanie Arnold von ihrem ungewöhnlichen Lebensweg. Er zeigt, wie sie sich mit der Weihe zur Diakonin auf den Weg in den kirchlichen Dienst macht. Ein Vikariatsjahr soll ihr Gewissheit geben.
Doch passt sie als lesbische Frau, die in einer eingetragenen Partnerschaft lebt, in eine Institution, die jahrhundertelang von patriarchalen Strukturen beherrscht wurde? Wie geht es queeren Menschen innerhalb der Kirche? Diesen Fragen geht der Film auf den Grund und begleitet Arnold auf einer Reise durch die Schweiz. Sie besucht jene Persönlichkeiten und Kirchenvertreterinnen, die sich innerhalb einer kirchlichen Gemeinschaft für queere Menschen einsetzen, wie zum Beispiel Wendelin Bucheli, den Pfarrer von Bürglen, der ein lesbisches Paar gesegnet hatte und vom Churer Bischof zur Demission aufgefordert wurde.
Gleichzeitig porträtiert der Film andere queere Menschen wie zum Beispiel den trans Mann Ari Lee aus Biel, der als Pastor einer täuferisch ausgerichteten Freikirche nach seinem Coming-out abgesetzt wurde und nun nach einem Platz in der Kirche sucht.
«Ich wusste, ich bin lesbisch, ich bin links und ich bin feministisch, und deshalb kann ich sicher nicht gläubig sein.»
Im Film führt Stefanie Arnold Gespräche über die Rolle der Kirche, erzählt aber auch von ihrem eigenen Weg und ihren inneren Widersprüchen. Oftmals sei es ja so, sagt sie, dass man in einem konservativen gläubigen Milieu nicht homosexuell sein dürfe. «Bei mir war es gerade umgekehrt. In meinem Milieu war man schlicht nicht religiös.»
In der links-feministischen Szene, in der sie sich bewegte, gab es viel mehr Vorurteile gegenüber Menschen, die sich kirchlich engagieren, als gegenüber homosexuellen Menschen. Und das sei auch in ihr lange Zeit ein fast unlösbarer Widerspruch gewesen. «Ich wusste, ich bin lesbisch, ich bin links und ich bin feministisch, und deshalb kann ich sicher nicht gläubig sein. Gleichzeitig hatte ich aber diese religiöse Sehnsucht in mir.»
Das Erweckungserlebnis
Zwei Momente gab es in Stefanie Arnolds Leben, die alles veränderten. Zum einen ein intensives inneres Erlebnis nach einem Todesfall in ihrem nahen Umfeld, der ihr sehr zu schaffen machte. Zum andern war es die Liebe zu ihrer heutigen Partnerin, die sie in ihrem Glauben festigte. «Paradoxerweise war es gerade diese Liebeserfahrung, die es mir plötzlich verunmöglichte, nicht an Gott zu glauben», sagt sie. Viele meinten ja, und auch sie dachte lange so, Glauben sei ein System, schwarz oder weiss. «Aber das ist es nicht. Auch Glauben ist fluide. Glauben hat mit dem ganzen Menschsein, mit dem Erleben zu tun. Mit all seinen Zweifeln und Sehnsüchten.»
Stark am Film «Queer Glauben» ist, dass er nicht mit dem Finger auf eine einzige Kirche zeigt, sondern Glaubenswege in verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften aufzeigt. Von Freikirchen über die reformierte bis zur christkatholischen Kirche, wo Stefanie Arnold ihr Zuhause gefunden hat. Und der Film zeigt auch anschaulich, was Stefanie Arnold für sich verstanden hat: «Ich glaube nicht, dass man heute widerspruchslos gläubig sein kann. Das Ringen gehört einfach dazu.»
Kino Rex, Bern, Do, 4. Mai, 18.30, und So, 7.5., 11 Uhr, jeweils in Anwesenheit von Regisseurin Madeleine Corbat und Stefanie Arnold. Und So, 7.5., 10 Uhr in der «Sternstunde Religion» auf SRF 1.
Unterstützung und Begleitung für queere Menschen in kirchlichen, besonders freikirchlichen Gemeinschaften bietet der Verein Zwischenraum: www.zwischenraum-schweiz.ch; www.zwischenraum.net.
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