Liebeserklärungen an Thun
In Reto Camenischs kunstvollen Bildern einer unspektakulären Gegenwart spiegelt sich oft fast unbemerkt Thuns gloriose Vergangenheit. So prächtig die Fotografien, so beliebig die Texte: Der Band «Mein Thun – aus Liebe zur Heimat».
Das Thun der guten alten Zeiten, von dem der Dichter Heinrich von Kleist genauso verzaubert war wie der Komponist Johannes Brahms, hallt bis heute nach. Legendär sind die Geschichten aus längst vergangenen Zeiten, als russische Grossfürsten mit ihrer Entourage ganze Etagen der Thuner Luxushotels eine Saison in Anspruch nahmen, und zahlreich die Bildbände, mit denen die Stadt, ihre prächtige Lage und ihre gloriose Vergangenheit gefeiert werden.
Mit Fotografien abseits der von See und Bergkette eingerahmten Postkarten-Idylle hat der 50-jährige Thuner Fotograf Reto Camenisch seiner Heimatstadt immer wieder die Liebe erklärt. Mit schwarz-weissen Bildern aus einer auf den ersten Blick unspektakulären Gegenwart, in denen sich schier unbemerkt oft auch die Vergangenheit spiegelt. So zeigt er im Bildband «Mein Thun – aus Liebe zur Heimat» das Schloss Schadau im Schneegestöber. Wie eine märchenhafte Fata Morgana erscheint der Prachtbau, als wäre er noch immer der Sitz des Grafen von Rougemont, der einst für seine Gäste das Ballett der Pariser Oper nach Thun holte.
Ungewohnte Perspektiven
Eine ganze Reihe Thuner Wahrzeichen dokumentiert Camenisch: Indem er aber die gewohnte Perspektive nur leicht verschiebt, gelingt es ihm, sie alle neu zu charakterisieren. So zoomt er die Villa Julia auf dem Aare-Inselchen nicht näher heran. Er betont vielmehr die Distanz und macht damit spürbar, wie unnahbar die Villa ist, die jeder kennt, in deren Inneres aber kaum jemand einen Blick hat werfen können.
Oder er rückt den Pavillon auf dem Jakobshübeli, wo die Sicht auf die Stadt am schönsten ist, so ins Bild, dass auch die Weite des Jakobswegs mitschwingt, der an Thun vorbei nach Santiago de Compostela führt. Und mit ein paar wenigen, irritierend unspektakulären Aufnahmen gelingt es ihm auch, die wechselvolle Geschichte des Selve-Areals der letzten 13 Jahre zu dokumentieren.
Dieses Gespür für verborgene Eigenheiten prägt auch Camenischs Porträt der Bewohnerinnen und Bewohner: Viel Raum zur Selbstinszenierung lässt er sowohl den Stadtoriginalen als auch den Prominenten oder den unscheinbaren Bürgern. Erstaunlich vielschichtig wird so das Bild der Kleinstadt, das Camenisch mit achtzig Fotografien zeichnet.
Ein paar Trouvaillen
Nicht mithalten mit Camenischs kunstvollen Fotografien kann leider ein Teil der Texte des Bildbands. Ob von der Vizestadtpräsidentin oder der Olympiasiegerin – die Liebeserklärungen aus persönlichen Eindrücken und bekannten Allgemeinplätzen kommen häufig über harmlose Aufsätzlein nicht hinaus. Willkürlich wirkt zudem die spezifische Themenauswahl, die von der Wirtschaft über den Campingplatz und die Allmendflora bis zum Hochwasserproblem reicht, während die O-Ton-Begleittexte zu den einzelnen Porträts durch ihre Uneinheitlichkeit irritieren.
In der Beliebigkeit der von Daniel Gaberell zusammengestellten Beiträge drohen die Trouvaillen unterzugehen, wenn Heinrich Gartentor sich zum Beispiel Napoleon Bonaparte, der die Militärschule in Thun besuchte, vornimmt und nachweist, dass man sich mit dem Stadtplan von Paris in Thun ganz gut zurechtfindet. Oder wenn Matto Kämpf viel prächtiges Seemannsgarn aus den Erinnerungen an ein Klublokal pensionierter Seeleute spinnt. Doch nach Texten, welche die lakonisch poetische Stimmung der Fotografien aufnehmen, wie sie dem Journalisten Andreas Dietrich zu Reto Camenischs «Bürgerbilder» (1993) gelungen sind, sucht man vergeblich.
Mein Thun – aus Liebe zur Heimat. Hrsg. Daniel Gaberell. Verlag Herausgeber.ch, Bern 2008. 160 S., Fr. 48.–.
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