Lützerath nach den ProtestenLetztes Gebäude abgerissen
Der Kampf um Lützerath scheint beendet: Nach der Räumung ziehen sowohl die Politik als auch die Anwohner der umliegenden Dörfer Bilanz.

Am Donnerstag teilte der Energieriese RWE mit, dass das letzte Haus in Lützerath – das umkämpfte Dorf, das nahezu komplett RWE gehört und wo der Konzern Braunkohle abbauen will – abgerissen wurde.

Dem Abriss voraus gingen am vergangenen Wochenende heftige Proteste gegen die geplante Abbaggerung zugunsten des Braunkohletagebaus. Nach Angaben der Polizei nahmen insgesamt 15’000 Menschen an den Protesten teil. Der Umweltverband BUND, einer der Veranstalter, sprach von 35’000 Demonstrierenden, die Initiative Alle Dörfer Bleiben sogar von 50’000.

Die letzten Besetzer hatten das Gelände am Montag verlassen, am Donnerstag zog der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, Bilanz: Bis zu 3700 Beamte waren im Einsatz. Rund 480 Straftaten wurden erfasst – und auch gegen fünf Polizisten werde ermittelt.

Polizei erfasst rund 500 Straftaten
Für Reul, ist das Einsatzkonzept «voll aufgegangen». Schon vor Beginn der Räumung habe die Polizei rund 30 Straftaten erfasst. Diese waren zuvor nicht öffentlich gemacht worden, «weil wir die Situation vor der Räumung nicht anheizen wollten», sagte Reul.

Mit Beginn der Räumung seien «knapp 400 Straftaten» hinzugekommen. Bei der Demonstration vom Samstag kamen demnach mehr als 50 Straftaten hinzu. Bei den erfassten Straftaten ging es laut Reul unter anderem um Widerstände, tätliche Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte, Landfriedensbrüche oder Körperverletzungen.

Auch gegen fünf Polizisten werde ermittelt – unter anderem wegen Körperverletzung im Amt und wegen sexueller Belästigung. Die Zahl sei voraussichtlich noch nicht abschliessend. Wenn einzelne Polizeibeamte Fehler gemacht hätten, würden diese zur Rechenschaft gezogen, betonte Reul.
Der Minister trat zudem Behauptungen entgegen, die Polizei hätte bei ihrem Einsatz «überzogen» reagiert und einzelne Teilnehmer der Demonstration lebensgefährlich verletzt. Lebensgefährliche Verletzungen habe es nicht gegeben, sagte Reul. Nach bisherigen Erkenntnissen habe es bei der Demonstration insgesamt 14 Transporte in Spitäler gegeben.

In fünf Fällen seien Polizisten in Spitäler gebracht worden, bei den anderen Transporten handelte es sich um Demonstranten. Als Verletzungen seien hauptsächlich Hand- und Fussverletzungen festgestellt worden. Die schwerste Verletzung sei eine Gehirnerschütterung gewesen.
Laut Reul wurden insgesamt mehr als hundert Polizisten verletzt. «Allerdings wurden viele nicht in Auseinandersetzungen verletzt», stellte Reul in der «Bild»-Zeitung klar. «Einige Verletzungen rühren schlicht von den örtlichen Gegebenheiten.» Insgesamt zog Reul eine positive Bilanz des Polizeieinsatzes. Dass der Räumungseinsatz am sechsten Tag beendet war, habe auch daran gelegen, dass viele Besetzer Lützerath «freiwillig» geräumt hätten, betonte er.
Brief der Anwohner
Auch die Anwohner der umliegenden Dörfer haben die Ereignisse der letzten Tage zusammengefasst. Nach Angaben der «Rheinischen Post» haben sie einen Brief an den zuständigen Polizeipräsidenten, den Landrat und den Bürgermeister von Erkelenz geschrieben. Man habe schlichtweg Angst gehabt, lautet der Tenor des Schreibens.

Die Aktivisten hätten sich in ihren Dörfern Keyenberg, Kuckum, Berverath und Ober- und Unterwestrich niedergelassen, als sie für den Protest in Lützerath anreisten. Die Leute seien in zwei Nächten vermummt durch ihre Dörfer gezogen, hätten Scheiben eingeschlagen, Wände beschmiert und Feuerwerk gezündet – und das Ganze in einer Selbstverständlichkeit, heisst es in der «RP».

«Für uns fühlt es sich an, wie in Hitchcocks ‹Die Vögel›», so der Erklärungsversuch einer Anwohnerin, die laut der Zeitung als «Sprachrohr» der Menschen in den Dörfern auftritt. «Da rennen nachts 100 bis 200 schwarz Vermummte durchs Dorf, rufen Parolen und werfen Böller. Die haben im Grunde die ganzen Dörfer zugeschissen, an den Häusern und auf den Feldern massive Schäden hinterlassen.»
Aus dem Dorf wird nun eine Tagbau-Erweiterung
In Lützerath steht praktisch nichts mehr: Man werde aber noch wochenlang mit dem Rückbau der Keller, der Strassen, der Kanäle und der Leitungen zu tun haben, betonte ein RWE-Sprecher. Der Abriss für eine Erweiterung des Tagesbaus Garzweiler ist Teil einer Vereinbarung zwischen dem Bund, dem Land Nordrhein-Westfalen und RWE zum Ausstieg aus der Braunkohleförderung in Nordrhein-Westfalen bis zum Jahr 2030.

AFP/SDA/nag
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