Laute Worte – aber die Berner Fahrenden freuts
Fahrende Sinti aus Bern lagern im Zürchbiet in der Hofstatt eines Bauern, der kämpferisch und kräftig poltert. Aber nicht gegen sie.

Auf dem Standplatz Buech am Stadtrand von Bern ist derzeit echt wenig los. Viele jener, die dort überwintern, sind nämlich derzeit auf der Reise, so auch der Clan um den in Bern verankerten Sinto Fino Winter. Gelandet ist er mit gut einem halben Dutzend Gespannen in der Hofstatt des Bäretswiler Bauern Markus Glaus. Doch unter den lauschigen Obstbäumen wirds auch mal laut, denn Glaus poltert – allerdings nicht gegen Fahrende, sondern gegen die Behörde. Denn: Die Gemeinde Bäretswil macht Druck auf die Landwirte, Fahrenden weniger lang und weniger oft auf ihrem Land Gastrecht zu gewähren. Noch zweimal je zwei Wochen gilt laut dem kommunalen Polizeireglement als zulässig. Genau die gleiche Tendenz verfolgen zunehmend auch bernische Gemeinden. Sie schränken die Aufenthaltsdauer ein, erlassen «Campingverbote» und nehmen die Landwirte finanziell in die Pflicht.
«Angriff auf den Nebenverdienst»
Solches ist Markus Glaus ein Gräuel. Der stämmige Bauer stellte über die letzten zwölf Jahre hinweg sein Land bis zu viermal vier Wochen pro Jahr Fahrenden zur Verfügung. Jede Einschränkung empfinde er als Eingriff in seine Eigentumsrechte – und sogar ein Angriff auf einen ihm wichtig gewordene Nebenverdienst. Die Fahrenden bezahlten anständig. Ein Handschlag sei etwas wert. Einen Vertrag habe er noch nie aufgesetzt, sagt Glaus: «Meine Erfahrungen sind gut.»
«Je öfter Fahrende kommen, desto positiver sehen das im Dorf alle.»
Fino Winter und sein Clan hausieren im Zürichbiet, bieten sich für Maler- und Maurerarbeiten an, schleifen Scheren und zwei der Jüngsten machen Gehversuche als Fotografen, einem zwar modernen aber keineswegs standortgebundenen Job. Winter ist die Autorität unter den Schweizer Sinti, präsidiert er doch deren Dachorganisaton, «Sinti Schweiz». Für ihn ist Glaus' Haltung ein Lichtblick in schwieriger Zeit. Am Beispiel Bäretswil zeige sich, so Winter, wie der alltägliche Kontakt zwischen Bauern und Fahrenden aussehen könnte. Ablesbar sei hier zudem, wie sehr Spontanhalte die schweizweit angespannte Situation zu entschärfen vermögen.
«Runterladen und studieren»
So sieht es auch Bauer Glaus. Das zweite Motiv seines Ärgers ist nämlich, dass er nicht nachvollziehen kann, warum Landwirte nicht ermuntert werden, mehr statt weniger Spontanhalte zuzulassen: «Wenn jeder Bauer auch nur einmal pro Jahr einigen Gespannen einen Halt gewähren würde, gäbs landesweit gar keine Probleme im Zusammenhang mit den Fahrenden mehr.» Den Vorwurf macht er nicht nur den Gemeinden, die versuchten, die Latte stets höher zu legen.
Er findet auch, sein eigener Stand sei schlecht informiert: «Viele Bauern stehen recht alleine da, sobald es um Spontanhalte geht.» Kaum einer kenne die Musterverträge, die die Bauernverbände bereithielten. Er rät: «Subito runterladen und studieren.» Sein streitlustiger Zusatz: Wer Spontanhalte gewähre, helfe das Verhältnis zwischen Mehrheit und «Besonderheit» zu normalisieren. Markus Glaus: «Je öfter Fahrende kommen, desto positiver sehen das im Dorf alle.»
«Beide Seiten profitieren»
Sinto Fino Winter hat mit Glaus das Vorzeigebeispiel erster Güte gefunden: «Er hat begriffen, wie wichtig uns Spontanhalte sind und wie beide Seiten davon profitieren können.» Besagter Bauer kassiere nicht nur ein, sondern schaffe auch die nötige Klarheit. Eine faire Platzordnung sei das eine, eine in seiner Scheune bereitgestellte Toilette und Dusche das andere: «Das ist gerade für die Sinti wichtig, denn aufgrund unserer Reinheitsgebote haben wir in unseren Wagen keine Toiletten.»
Wie bedeutend ist sie denn, die dörfliche Episode zwischen dem Sinto aus Bern und dem Bauern aus dem Zürcher Hinterland? Simon Röthlisberger, der Geschäftsführer der staatlich getragenen Stiftung Zukunft Fahrende Schweiz sagt auf Anfrage, Spontanhalte hätten für Fahrende jeder Couleur «einen extrem hohen Stellenwert», denn diese «gehören untrennbar zur fahrenden Lebensweise». Spontanhalte seien kein Ersatz für offizielle Halteplätze. Aber der Mangel an Halteplätzen verstärke die Bedeutung der Spontanhalte. Die «feststellbare Tendenz», dass die Gemeinden mit Restriktionen hinter das zurückgingen, was raumplanungsrechtlich erlaubt sei, erachte er als «beunruhigend». Die Raumplanungsrechtler des Bundes, so Röthlisberger, erachteten es als tragbar, kleineren Verbänden von Gespannen zweimal pro Jahr einen Halt von bis zu einem Monat zu gewähren, – aber nicht pro Landwirt, «sondern pro Landstück».
Die Nutzung von Boden ausserhalb der Bauzone sei zwar ein heisses Eisen. Aber die Bauern bewegten sich mit den gewährten Spontanhalten «weit ausserhalb des problematischen Bereichs». In gesamtgesellschaftlicher Hinsicht problematisch seien eher die Einschränkungen der spontanen Haltemöglichkeiten, sagt Röthlisberger. Dies habe die Stiftung auch beim Gespräch mit der Delegation der Minderheitenexperten des Europarats moniert, die Anfang März die Lage der Fahrenden in der Schweiz geprüft habe.
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