
Distanz ist nicht die Stärke vieler Sportkommentatorinnen und -kommentatoren. Bei Nationalmannschaftsspielen fiebern rund um den Globus TV-Journalistinnen und Radio-Journalisten live hinter dem Mikrofon mit «ihrem» Team mit.
In den vergangenen Jahren hat sich der Sportjournalismus, zumindest in westlichen Ländern, aber auch etwas emanzipiert. Die politischen Hintergründe von Grossveranstaltungen oder die ökonomischen Verflechtungen, insbesondere im Fussball, werden auch in der Schweiz vermehrt kritisch ausgeleuchtet.
SRF bildet da keine Ausnahme. Doch findet nach wie vor sowohl dessen Deutschschweizer Sportredaktion als auch dessen Ombudsstelle, dass die politischen und wirtschaftlichen Aspekte höchstens ins erweiterte Rahmenprogramm gehören.
Am deutlichsten wird diese Haltung in einer Stellungnahme der Ombudsleute zum Kommentar von Sascha Ruefer während der WM-Eröffnungsfeier und dem Auftaktmatch in Katar. «Kritik an der Vergabe darf vor und nach dem Spiel geäussert werden. Nicht aber während des Spiels», schrieben Esther Girsberger (einst «Tages-Anzeiger»-Chefredaktorin) und Kurt Schöbi. «Da muss sich der Sportkommentator auf die Ereignisse im Stadion und in allererster Linie auf den sportlichen Verlauf beschränken.» Weil Ruefer dies nicht tat und die Austragung in Katar während der heiligen 90 Minuten kritisierte, gab es einen Rüffel der Ombudsstelle.
Kommentatorinnen und Kommentatoren sollen die zum Teil massiven Auswirkungen von Politik und Wirtschaft auf Sportereignisse insbesondere dann thematisieren, wenn sie das grösste Publikum haben.
Die SRF-Sportredaktion hatte sich noch – erfolglos – dagegen gewehrt, indem sie schrieb: «Es gehört zur journalistischen Pflicht des Livekommentators, mit der kritischen Distanz auch über die Fussball-WM zu berichten, wenn der Schiedsrichter ein Spiel angepfiffen hat.»
Beim ersten politisch heiklen Spiel der Schweizer Nationalmannschaft nach der Endrunde taten die SRF-Kommentatoren um Ruefer wie von der Ombudsstelle geheissen. Bei der Übertragung von Belarus - Schweiz sprachen sie nicht an, dass das weissrussische Team geschwächt ist, weil mehrere starke Spieler wegen der Repression durch das Lukaschenko-Regime nicht mittun wollen oder nicht mehr mittun dürfen.
Die SRF-Sportredaktion rechtfertigt das Schweigen damit, dass sich diese – auch von mehreren Schweizer Zeitungen – berichteten Tatsachen nicht hätten überprüfen lassen (was allerdings nicht allzu schwierig gewesen wäre). Weiter finden die Verantwortlichen: «SRF Sport macht sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.»
Das verlangt auch niemand. Politische Wertungen von Ruefer und Co. interessieren niemanden. Auch sollen Liveübertragungen nicht zu Politsendungen verkommen. Aber Kommentatorinnen und Kommentatoren sollen die zum Teil massiven Auswirkungen von Politik und Wirtschaft auf Sportereignisse insbesondere dann thematisieren, wenn sie das grösste Publikum haben. Wenn Belarus wegen Menschenrechtsverletzungen mit einer halben B-Mannschaft antritt, ist es geradezu ihre journalistische Pflicht.
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Falscher Maulkorb – Lasst Ruefer reden!
Die SRG-Aufsicht findet, Politik habe in Fussball-Kommentaren nichts verloren. Damit liegt sie falsch.