Die quietschfidelen Hohepriester
Da waren Pegasus, Lo & Leduc und die legendären Fanta 4. Was am ersten Tag des Rock the Ring in Hinwil überzeugt hat – und was nicht. Are you ready to Schweinerock?

Um 19.30 Uhr scheint es noch ein ganz gewöhnlicher Openair-Abend zu werden. Da steht eine Band auf der Bühne, wie man sie Sommer für Sommer so häufig hört: Sie spielt eingängige Popsongs, macht nette Ansagen, versucht gute Stimmung zu machen, es gibt Applaus, so warm wie die herrschende Temperatur (es sind zu jenem Zeitpunkt noch 23 Grad), alles wirkt irgendwie harmonisch, ja fast zu harmonisch – und deshalb weiss man, dass man spätestens am Heiligabend vergessen haben wird, wie diese Band hiess, und holt deshalb lieber nochmals ein Bier, jetzt, wo es noch nicht so viele Leute hat.
Jedenfalls: Die Band heisst Pegasus, sie stammt aus Biel, sie gewann schon etliche Preise an den Swiss Music Awards, zudem wurden ihre Mitglieder 2010 und 2015 zu den «Bielern des Jahres» gewählt. Diese Erfolge und diese Popularität sind kein Zufall: Da ist Talent fürs hymnische Songwriting (was das kürzlich veröffentlichte fünfte Studioalbum «Beautiful Life» erneut unterstreicht), da ist die klare, wenn auch nicht allzu facettenreiche Stimme von Sänger Noah Veraguth, und da ist vor allem ganz viel Charme. Doch diese Mixtur ergibt eben keinen sinnesbetörenden Zaubertrank, sondern bloss einen lieblichen Pfirsich-Cocktail. Und wenn Veraguth am Schluss des Gigs so tut, als sei er heftig überrascht, dass er und seine Mannen gar noch eine Zugabe spielen dürfen – fast so, als ob seine Truppe sonst rege von den Bühne gebuht würde – wirkt das eher anbiedernd als genuin sympathisch.
Lo & Leduc beherrschen das Animierspiel
Deutlich näher an der idealen Freiluftkonzertformel agieren die Berner Kantonsbrüder Lo & Leduc, die nach der Umbaupause den nächsten Block spielen – und dem langen Abend mit ihrer auf Mundart interpretierten Groove'n'Smooth-Palette aus Hip-Hop-, Baile-Funk-, Latino- und Reggae-artigen Arrangements einen ersten spannenden Twist geben. Denn natürlich wissen auch Lorenz «Lo» Häberli, Luc «Leduc» Oggier und ihre fesselnd aufspielenden und mitsingenden Begleiterinnen und Begleiter um die Wichtigkeit des Techtelmechtels mit dem Publikum. Sie wissen aber auch, wie man dieses Animierspiel effektvoll umsetzt – beispielsweise indem Lo bei den Fans ein paar Schlagwörter einholt, aus denen das Freestyle-Talent Leduc scheinbar mir nichts, dir nichts ein paar verblüffend innige und sinnige Strophen reimt. Kurz und gut: Auch wenn die reale Aussentemperatur ein wenig nachgelassen hatte, ist die gefühlte Stimmungstemperatur nach dem Abgang dieser Powercombo merklich höher als zuvor.
Ja, und dann legen sie los, schweizerisch pünktlich um 23 Uhr, die längst zu Hohepriestern des deutschen Hip-Hop gewordenen Altmeister Smudo, Michi Beck, Thomas D. und And.Ypsilon alias die Fantastischen Vier, von Supportern und Medien stets auf die griffige Kurzformel Fanta 4 reduziert. Sie legen los, wie sie damals vor 28 Jahren in ihrem Stuttgarter Studio begonnen haben: Als Sprechgesangsquartett der alten Schule, das souverän und mit bereits stattlichem Tempo ein mehrminütiges, funkiges Medley performt. Und schon da ist er präsent, der oft kecke und noch öfters (selbst-)ironische Witz in den Ansagen, der sich locker durchs Programm zieht. Welches nach diesem Intro einerseits intensiver und andererseits musikalischer wird – weil sich jetzt die famose Live-Band dazu gesellt und die vier Helden in neue Höhen treibt.
Fanta 4 mit neuem Song
Es ist eine Art kommerzfreie Hitparade, die jetzt geboten wird, aber ebenso eine wild durcheinander gespielte Chronik der deutschen Rapmusik, zu der das Quartett beinahe 20 Jahre lang wirklich essenzielle Beiträge geliefert hat. Oder in Songs gesprochen: Auf die melodiös-melancholische Popnummer «Danke» folgt der Partykracher «Yeah Yeah Yeah» und das clubbig anmutende «Einfach sein».
Es gibt die unabdingbare Portion Selbstreferenz mit den Stücken «Smudo in Zukunft», «Typisch ich» (Michi Beck) und der raunende «Krieger», vom erschreckend fitten Thomas D. mit nackten Oberkörper und Medizinmann-Tanz inszeniert. Es wird pseudoromantisch mit «Tag am Meer» (wobei diese schlicht grandiose Nummer zum Ende hin mit überforciertem Jazzgeduddel verunstaltet wird, der einzige wirklich Faux-Pas des Gigs), es wird pseudomoralisch mit «Gebt uns ruhig die Schuld», und es wird pseudoapokalyptisch mit «Endzeitstimmung», dem einzig neuen Song seit dem letzten Studioalbum «Rekord» von 2014.
Je länger die Show dauert, umso physischer wird sie
Erstaunlich ist – immerhin feiern die Herren alle in diesem oder im nächsten Jahr den 50. – je länger die Show dauert, umso packender und physischer wird sie. Gerade Michi Beck, der seine Baseball-Mütze noch immer unendlich viel cooler trägt als die meisten heutigen Homies, powert drauflos, als wäre dies die Nacht der Nächte, schwärmt beim Song «Picknicker» vom «geilen Vibe des Publikums» und fragt mitten in die harte Nummer «Ernten was wir säen» hinein: «Are you ready to Schweinerock?». Und ja, die rund 8000 hier versammelten Seelen jeglichen Alters sind ready to Schweinerock, sie hüpfen und johlen und pogen, und wenn man sich ab und zu fragt, was eigentlich der Sinn ist an solchen nicht nur zeitlich strikt durchorchestrierten Openairs, dann geben solch magische Momente sowas wie eine Antwort darauf.
Als Zugabe gibts erst die Elektropop-Fanfare «25», und dann, kurz vor 0.30 Uhr, logo, wie seit Jahren immer und überall, den Treueschwur an die Fans namens «Troy». Gerade dieses Finale verrät: Da ist durchaus Routine im Programm – doch wenn diese so quietschfidel gepredigt wird wie gestern im Zürcher Oberland, nimmt man sie gerne in Kauf.
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Das «Rock The Ring»-Openair in Hinwil geht heute und morgen weiter. Programm: www.rockthering.ch
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