Roman Polanskis Tanz mit den Richtern
Vor 30 Jahren missbrauchte der polnische Regisseur in Jack Nicholsons Whirlpool eine 13-Jährige. Die Dokumentation «Roman Polanski: Wanted and Desired» rollt den Fall neu auf.
Im Filmklassiker «Chinatown» scheitert ein Privatdetektiv an Machtmissbrauch und moralischer Verkommenheit der Behörden. Die Hauptrolle übernahm Jack Nicholson, der bei Paramount Pictures seinen Freund Roman Polanski als Regisseur vorschlug. 1977, drei Jahre später, erwies Nicholson dem Polen einen weiteren Freundschaftsdienst – mit desaströsen Folgen: Er überliess ihm seine Villa am Mulholland Drive, wo Polanski für die französische Vogue eine Fotostory schiessen wollte. Als Model posierte die 13-jährige Samantha Geimer, die er in Nicholsons Whirlpool abzulichten plante. Vorher versorgte er sich und das Mädchen mit Drinks und Drogen. Der Rest ist Kinogeschichte: Vergewaltigung, Prozess, Geständnis, Flucht, Exil.
Mediengeiler Richter
Die Fakten sind so bekannt wie unverrückbar, und doch hat die Filmemacherin Marina Zenowich den Fall Polanski neu aufgerollt. Ihre Dokumentation «Roman Polanski: Wanted and Desired» stellt denn auch nicht die Schuldfrage, sondern richtet den Fokus auf die nebulösen Geschehnisse zwischen Polanskis Verhaftung und seiner Flucht. Was man wusste: Nach seiner Verhaftung wurde Polanski gegen eine Kaution von 2500 Dollar freigelassen. Fünf Monate später, im August 1977, bekannte er sich der Unzucht mit einer Minderjährigen schuldig. Im Winter 1978 flog er vor Prozessbeginn nach Europa.
Wie Zenowichs Dokumentation nun zeigt, flüchtete Polanski in jener Februarnacht nicht vor der Justiz, sondern vor deren Vertreter: Richter Laurence J. Ritterband. Dieser hatte bereits Elvis Presleys Scheidung und Marlon Brandos Sorgerecht-Prozess medienwirksam inszeniert. Überdies galt er als selbstgefällig und korrupt. Im Film bekommt das Bild von Richter Rittenband weitere Risse; auch der damalige Staatsanwalt Roger Gunson gibt gegenüber Zenowich überraschend an, dass Polanski keine Gerechtigkeit widerfahren sei und dass er seine Flucht verstünde: Rittenband, ein Frauenheld und Antisemit, sei der jüdische Regisseur ein Dorn im Auge gewesen.
Das Opfer ist heute eine pausbäckige Hausfrau
Engagiert zeigt Zenowich in der Folge, wie aus dem Täter Polanski ein Justizopfer wird. Rittenband ignoriert psychiatrische Gutachten, verkündet vorbereitete Statements und weist Polanski schliesslich für 90 Tage zur psychiatrischen Beobachtung ein. Nach 42 Tagen kommt der Regisseur frei, was in Medien und Bevölkerung Empörung auslöst. Rittenband, der sich mit Staatsanwalt und Verteidigung bereits auf eine Bewährungsstrafe geeinigt hat, krebst zurück und beruft eine neue Verhandlungsrunde ein. Polanski, von den Ränkespielen des wankelmütigen Richters verunsichert, ergreift die Flucht.
Zenowichs Dokumentation besteht hauptsächlich aus Talking-Heads, Archivmaterial und poetischen Bildern aus Polanski-Filmen, die das Geschehen im Gerichtssaal metaphorisch untermalen. Unter den zahlreich interviewten Zeitzeugen faszinieren Opfer Samantha Geimer, Verteidiger Douglas Dalton und Staatsanwalt Roger Gunson. Während die Rechtsexperten mit haarsträubenden Prozess-Details überraschen, sorgt Geimer, heute eine pausbäckige Hausfrau, für unfreiwillige Komik: Sie kann beim besten Willen nicht verstehen, warum man ihrer Mutter vorwirft, sie damals als 13-Jährige allein mit betrunkenen Filmstars in einen Whirpool gesteckt zu haben.
Polanski schweigt
Im stimmungsvollen, wenn auch herkömmlich montierten Porträt des Filmgenies fehlt allerdings jemand: Polanski selbst. Der heute 75-Jährige weigerte sich, für die Dokumentation Stellung zu beziehen. Angeblich, weil er nicht «wie eine Prima Donna» behandelt werden möchte. Also erfahren wir durch den Off-Kommentar, dass Polanski heute wieder in den USA leben dürfte. Ein Richter gewährte ihm 1997 Straffreiheit – unter einer Bedingung: Die endgültige Verhandlung müsse am Fernsehen übertragen werden. Polanski lehnte ohne einen Grund zu nennen ab. Vielleicht fühlte er sich an «Chinatown» erinnert.
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