Kühe und Schwarzfahrer
Im Rahmen des 175-Jahr-Jubiläums lud die Universität Bern am Samstag die Bevölkerung zum Fakultätstag. Gegen 10'000 Personen haben an über 80 Veranstaltungen das Schaffen der Forschenden erkundet.
Mit weit geöffneten Augen liegt die Kuh auf dem Tisch. Die Füsse und ihr Kopf sind mit Bändern und Seilen fixiert. Hie und da zuckt sie mit den Ohren. Sie ist die Einzige im Saal, die sich nicht bewegt – zwangsläufig. Es herrscht Betrieb im Operationssaal der Wiederkäuerklinik im Tierspital. Jung und Alt sind gekommen, um die Operation hautnah mitzuverfolgen: Sie gehen ein und aus, fotografieren, diskutieren und staunen.
Professor Adrian Steiner, Leiter der Wiederkäuerklinik der Uni Bern, hantiert mit medizinischen Geräten; er kommentiert laufend, was er gerade tut. Die Kuh leidet an einer Verengung der Zitzen, der sogenannten Zitzenstenose. Das sei ein Routineeingriff, sagt Renate Boss, Tierärztin an der Wiederkäuerklinik, pro Woche würden zwei bis drei solcher Eingriffe durchgeführt. Die Veranstaltung stösst auf Interesse: Im Hörsaal nebenan wird die Operation direkt übertragen – dort gibt es keine freien Plätze mehr: Einige Zuschauer sitzen auf dem Boden – darunter auch Erwachsene.
Am Fakultätstag der Uni Bern tummeln sich die Menschen auch ausserhalb des Areals der Vetsuisse-Fakultät: An vielen Orten stehen Festzelte, gegen Mittag wird es hie und da nach Bratwurst riechen. Wer nicht nur den Hunger, sondern auch den Wissensdurst stillen möchte, der kann sich um 12 Uhr mittags beim Institut für Bibelwissenschaften einfinden. Dort, so verspricht es das Programm, werden zu den Fladenbroten und Linsengerichten auch gleich noch dazu passende Bibelzitate serviert.
Alle acht Fakultäten bieten Veranstaltungen an. Das Programm ist so vielseitig wie die Besucher: Angesagt sind etwa ein Wirtschaftsquiz oder ein Schauspiel in drei Akten zum Thema Vaterschaft. Interessierte können ihre Intelligenz messen, ein E-Bike Probe fahren oder sich die Wahrheit über das Lügen erzählen lassen.
Ganz und gar nicht verstaubt mutet der Tag der offenen Tür an – viele Veranstaltungen sind auch für Kinder geeignet. Überall trifft der Besucher auf hilfsbereite Menschen, die an Abzweigungen stehen, freundlich den Weg weisen und auch sonst allerlei Fragen beantworten. Dies ist der allgemeinen Orientierung durchaus förderlich: Damit wird verhindert, dass Besucher verloren durch Gänge und Korridore irren, wie das Studenten im ersten Semester nur allzu oft tun. In dem 175 Jahre alten Gebäude der Universität herrscht fast schon Jahrmarktstimmung: Für einmal dominieren nicht mehr oder weniger jugendliche Studenten das Bild, sondern Kinder, Betagte und ganze Familien. Eine bunt gemischte Schar bevölkert Hörsäle, Korridore und Vortragsräume. Draussen scheint die Sonne; im Hof der Unitobler am Lerchenweg hat das Institut für Sportwissenschaften Geräte aufgebaut: Mutige können sich mit Helm und Klettergstältli abseilen lassen. Nebenan ertönt Salsa-Musik. Eine Gruppe Tänzer gibt eine kurze Vorstellung zum Besten. Die Leute applaudieren.
Wer es ruhiger mag, ist bei den Veranstaltungen der Institute für englische Sprachen und Literaturen sowie für Germanistik richtig: Im abgedunkelten Raum kann sich der Besucher Auszüge aus dem «Nibelungenlied» und dem «Beowulf» vorlesen lassen – und das durchgehend von 10 Uhr bis 18 Uhr. Damit auch literarisch weniger Bewanderte den Faden nicht verlieren, erläutert der Vorleser das Gelesene hie und da.
Interessant ist auch das Referat zum Thema Schwarzfahren: Vorgestellt werden die Resultate einer Studie über die Menschen, die Bern Mobil betrügen. Die Atmosphäre im Hörsaal erinnert zwar stark an den ordinären Uni-Alltag, wer sich aber davon nicht abschrecken lässt und dem Ort nicht sogleich wieder den Rücken kehrt, erfährt Erstaunliches über jene, die in den Bussen jeweils endlos nach dem Billett suchen. Als die Referentin erzählt, dass Schwarzfahren ein Oberschichtsdelikt ist, lachen die Hörer. Etwa 2,5 Prozent der Nutzer des öffentlichen Verkehrs kaufen keine Billette. Bern Mobil versucht die Fehlbaren mit täglichen Kontrollen aufzuspüren. Gut ein Sechstel der verteilten Bussen wird nicht bezahlt und muss gerichtlich eingetrieben werden. Erstaunlich ist auch: Nicht die Höhe des Einkommens hat einen Einfluss darauf, ob jemand für die Fahrt mit dem Tram bezahlt oder nicht, vielmehr spielen Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle. Schweizer Staatsbürger fahren erheblich häufiger schwarz als Ausländer – vielleicht weil sie sich daheim fühlen?
Die Besucher können am Fakultätstag der Universität Bern Kurioses, Fremdes und Kompliziertes entdecken – an diesem sonnigen Samstag erinnert wenig an den Alltagstrott, vor dem sicher auch Forscherinnen und Forscher nicht ganz gefeit sind.
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