Vor Chelsea - LiverpoolKlopp schimpft, Tuchel jammert – und Guardiola gewinnt
Wer heute den Spitzenkampf verliert, scheidet im Titelkampf aus. Beide deutschen Trainer beklagten sich zuletzt heftig – wegen Corona wird nun einer fehlen.

Sofern die Premier League das Spitzenspiel zwischen Chelsea und Liverpool von heute Abend nicht noch kurzfristig absagt, haben beide Clubs in gewisser Weise schon verloren, bevor die Partie überhaupt angepfiffen wird. Denn in den letzten Tagen haben sowohl Chelseas Trainer Thomas Tuchel als auch sein Liverpooler Kollege Jürgen Klopp fast keine Gelegenheit ausgelassen, um ihr Missfallen über die Ansetzung des Spiels auszudrücken. Am liebsten wäre es den Clubs wohl gewesen, wenn das mit Spannung erwartete Aufeinandertreffen der Titelaspiranten frühzeitig verlegt worden wäre.
Die beiden deutschen Landsleute fühlen sich im Titelrennen benachteiligt. An Silvester berichtete Klopp, dass sich drei seiner Stammspieler mit Corona infiziert hätten – und gestern gab Liverpool bekannt, dass es nun neben drei weiteren Mitgliedern aus dem Betreuerteam auch Klopp selbst erwischt habe. Der 54-Jährige weise «milde Symptome» auf, teilte der Club mit, und werde von seinem Assistenten Pepijn Lijnders vertreten.
Dabei dürfte sich das Mitleid auf der Insel in Grenzen halten: Sowohl Klopps als auch Tuchels vehementer Tadel hatte zuletzt den Anschein erweckt, als würden sie nicht nur den sorglosen Umgang der Premier League mit dem Virus missbilligen, sondern es sich zur schlechten Angewohnheit machen, bei Widrigkeiten sofort die Hand zu heben.
Als wahre Ursache für die laute Empörung in beiden Lagern wird auf der Insel nämlich vorwiegend die aktuelle Tabellenkonstellation herangezogen. Vor einem Monat deutete sich noch ein Titeldreikampf an, den Chelsea knapp vor Meister Manchester City und Liverpool anführte. Doch dank einer bemerkenswerten Siegesserie setzte sich Manchester komfortabel ab – gekrönt durch das hart erkämpfte 2:1 am gestrigen Neujahrstag bei Arsenal. Trotz Rückstand drehte das Team von Guardiola die Partie. Durch den elften Ligaerfolg in Serie besitzt City einen sehr komfortablen Vorsprung, sodass sich der Verlierer des Verfolgerduells wohl aus dem Titelrennen verabschieden dürfte.
Klopp höhnt, aber die Niederlage war selbst verschuldet
In diesem Kontext aus Sorge (über den Rückstand auf City) und Anspannung (wegen der Personallage) ist es wohl zu sehen, dass sich Tuchel und Klopp gerade unentwegt beschweren. In der Weihnachtswoche gab es zwar binnen sieben Tagen mit 103 positiven Corona-Tests rund um die Profiteams einen Höchstwert, aber die 20 Erstligaclubs selbst stimmten trotz einzelner Proteste (Zitat Klopp: «Ich flehe, etwas zu verändern. Bitte tun Sie es zum Wohle der Spieler!») gegen eine Aussetzung des Spielbetriebs.
Obwohl Klopp die enge Taktung für nicht zumutbar hielt und Liverpool nach einer Spielabsage durch Leeds in der Vorwoche nur eine Partie zu bestreiten hatte, verloren die Reds zuletzt beim ähnlich geschwächten Leicester, das innert 48 Stunden gleich doppelt ranmusste. «Eine witzige Story» sei das, sagte Klopp höhnisch – und musste damit eingestehen, dass für die Niederlage sein Team weit mehr verantwortlich war als die Liga.
Zumal Klopp vor Weihnachten noch betonte, dass er in einer Spielpause «keinen wirklichen Vorteil» sehen würde, weil die Lage danach «immer noch dieselbe» sein werde. Nachdem inzwischen zahlreiche Liverpool-Profis erkrankt sind, scheint er diese Sichtweise angepasst zu haben. Die Corona-Tests seien «wie eine Lotterie am Morgen», findet Klopp, weil die Ergebnisse unvorhersehbar sind.
«Die Entscheidungen treffen Funktionäre am grünen Tisch in Büros, aber das ist nicht der richtige Weg.»
Ähnlich widersprüchlich geht Tuchel vor. Die Premier League «zwinge» Chelsea, die ganze Zeit zu spielen, selbst wenn viele Profis an Corona erkrankt seien, echauffierte sich Tuchel. Die Entscheidungen träfen «Funktionäre am grünen Tisch in Büros», aber das sei «nicht der richtige Weg». Er habe das Gefühl, sein Team wie «die immer gleiche Zitrone» auszupressen. Neben den längerfristig fehlenden Aussenverteidigern Chilwell (Knie) und James (Oberschenkel) sind die Abwehrspieler Thiago Silva und Chalobah sowie die Zentrumsstrategen N’Golo Kante, Kovacic und Jorginho angeschlagen. Dazu infizierten sich bei Chelsea unter anderem die Stürmer Werner, Havertz und Lukaku mit dem Virus und sind nur eingeschränkt spielfähig.
Tuchel lässt stattdessen gute Spieler auf der Bank schmoren
Obgleich dieses personellen Engpasses leistete sich Tuchel den Luxus, qualitätsstarke Ersatzkräfte wie Ziyech, Saúl Ñíguez oder Barkley zuletzt nicht einmal einzuwechseln. Ein Mitwirken dieser Spieler sah Tuchel offenbar als Schwächung seiner Mannschaft an, was dem Teamgefühl nicht zuträglich sein dürfte. Vielmehr beklagte Tuchel eine fehlende Winterpause und die Ablehnung eines erhöhten Wechselkontingents von drei auf fünf Spieler.

Bei letzterem Anliegen unterstützen ihn prominente Kollegen wie Klopp, allerdings fürchten hierbei die Hinterbänkler der Liga einen Nachteil, weil sie über weniger schlagkräftige Kader verfügen. Dabei schwärmte der 48-Jährige kürzlich, in einer sportlich besseren Phase für Chelsea, dass er es liebe, bei den «einzigartigen» Festtagspartien «mittendrin» zu sein. Und auf die Frage, ob der Wettbewerb aufgrund unterschiedlich stark von Corona-Fällen geplagten Clubs verzerrt werde, erkundigte sich Tuchel zunächst nach dem Resultat des Rivalen City. Als ihm dessen Sieg übermittelt wurde, murmelte Tuchel, dies sei «vorhersehbar» gewesen. Aus seiner Sicht: leider.
Bei den erlittenen Punktverlusten waren Chelsea und Liverpool jeweils hochüberlegen, liessen aber zu viele hochkarätige Torchancen aus. Angesichts dieser unpässlichen Spielverläufe ist es nachzuvollziehen, dass sich beide Clubs nach einer Pause sehnen – aber im Sinne des Wettbewerbs wäre das nicht.
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