Kernobst ohne Kernaussage
die Kampagne der Schweizer Wirtschaft aus, mit der sie die wichtigste Abstimmung des Jahres gewinnen will. Doch jetzt verspricht Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer
Ein längst bekanntes, immergrünes Apfelbäumchen steht derart immergrün im Januarschnee, als wäre es eine artifiziell konservierte Staude aus den Siebzigerjahren: Das Sujet ist so zeitlos unverbindlich, dass selbst jene, die den Apfelbaum landauf, landab auf die Plakatwände pflanzen und dafür Millionen investieren, sich ihrer Sache nicht sicher sind. Bei Economiesuisse wird längst schon debattiert, ob das frugale Motiv dazu taugt, die argumentativen Antworten auf die heisseste politische Frage des Jahres zu liefern. Unternehmer und Economiesuisse-Vize Johann Schneider-Ammann liess sich mit der Bemerkung zitieren, das Plakat löse womöglich keine Emotionen aus. Bauernverbandspräsident Hansjörg Walter und sein freisinniger Nationalratskollege doppeln nach und geben zu Protokoll, dass dieser Auftritt kaum geeignet sei, die Ängste der Bevölkerung zu zerstreuen.Zwar geht es bei der Abstimmung über die Weiterführung und Ausweitung der Personenfreizügigkeit nicht um Meriten in Sachen Gestaltungskunst. Aber immerhin gehts um die weitreichende Weichenstellung, ob die Schweiz den bilateralen Weg unbeirrt weiterbeschreiten soll oder ob sie ihre Beziehung zur EU mit unklarem Ausgang infrage stellen will. Und da bewegen Obstbäume in Linolschnitttechnik vermutlich nicht viel, sondern nichts.So sieht es auch Bernhard Abegglen. Abegglen, der Creative Partner des Berner Kommunikationsunternehmens Contexta, ortet «hausbackene Banalität». Was Economiesuisse mache, «ist verlorene Liebesmühe». Die Kampagne wecke keine Emotionen, liefere keine Argumente. Sie bestätige höchstens den bisherigen Befürwortern ihre bereits bezogene Position. Sie sei fern moderner Bildsprache «und verzichtet darauf, sich von der Ausdrucksform der Neinsager loszusagen». Abegglen mutmasst, dass so Jüngere kaum abgeholt werden können: «Die Plakate hätten in dieser Form auch vor 40 Jahren erscheinen können.»Was tun die Gegner? Die SVP bemüht sich in ihrer eigenen Wahrnehmung um relative Mässigung und lässt Saatkrähen am schweizerischen Reichtum picken. Den groben Job auszuloten, wo die Schmerzgrenze des Erträglichen liegt, delegiert sie stillschweigend ihrer Juniorpartei. Die Junge SVP setzt denn auch unter anderem auf die plakative Verunglimpfung: Die Personenfreizügigkeit mit Bulgarien und Rumänien wird bildlich wie textlich gleichgesetzt mit der freien Zuwanderung Krimineller. Aus der Freizügigkeit wird ein Freibeuterzug. Das ist zwar faktenfern, zielt aber auf die Gefühlsebene.Was die Güte der Kampagne der Gegner anbelangt, ist das fachliche Urteil von Contexta-Mann Abegglen nicht minder hart: Alle drei zur Diskussion gestellten Plakate seien letztlich «misslungen», «uninspiriert», «eindimensional» . Weder das diskrete Gehölz von Economiesuisse noch die durchschaubare plakative Gleichsetzung von Bulgaren und Rumänen mit Kriminellen seien Beispiele ernsthafter politischer Kommunikation. Abegglen: «Ich ärgere mich immer wieder über Politwerbung, weil ich mich nicht angegangen fühle.» Politische Werbung gebärde sich in einer Sprache, «mit der man im realen Leben nie ein Produkt verkaufen könnte». Gibts nach so viel Haue seitens des Fachmanns noch Worte des Trostes? Stecken die Kampagnenmacher der Economiesuisse, denen die Krähen schier wie in Hitchcocks «Vögel» um den Kopf schwirren, nicht à priori in einer undankbaren Situation? Stimmt, sagt Abegglen. Ein Nein wirke für sich, als Befürworter einer komplexen Vorlage sei es viel anspruchsvoller zu argumentieren.«Argumentieren», sagt Abegglen. Und damit landet der Kritiker am gleichen Punkt wie die Urheber der Apfelbaumwerbung, die inzwischen einräumen, die Kampagne sei womöglich nicht geeignet, Argumente zu transportieren. Angesichts der Bedeutung der Abstimmung vom 8. Februar stellte Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer deshalb gestern das Ende der «dezenten» Phase in Aussicht und versprach die Zündung einer feurigeren Stufe: Tonalität und Bildsprache der Wirtschaft würden in Kürze «akzentuierter, schärfer, aggressiver». Sein kryptischer Nachtrag: «Wir werden auch Instrumente wählen, die man in der Schweiz noch gar nicht kennt.»Und schliesslich kündigt Bührer noch ein Engagement an, das womöglich in etlichen Chefetagen für sehr kalte Füsse sorgen wird: «Die Wirtschaftsführer müssen – obwohl es draussen frostig ist – den direkten Kontakt mit den Leuten suchen.»Marc Lettau>
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