Corona-MassentestsKanton Bern stoppt die Eigeninitiative von Schulen
Trotz Protesten von Eltern und Lehrpersonen lehnt der Kanton Massentests strikte ab. Einer Gemeinde verwehrte er die Massentests sogar, obwohl sie diese selber bezahlen wollte.

Der Kanton Bern muss seine umstrittene Corona-Strategie nicht ändern. Der Bundesrat verlangt kein regelmässiges Testen an Schulen, und auch das Kantonsparlament will keine Rückkehr zu den Massentests. Mit 95 Nein- zu 40 Ja-Stimmen lehnte es einen entsprechenden SP-Vorstoss ab, die Gegenstimmen kamen vorwiegend aus dem bürgerlichen Lager.
Trotzdem forderten die Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Elternorganisationen genau das und versammelten sich am Freitag auf dem Berner Rathausplatz. «Wir brauchen präventive Massnahmen. Deshalb müssen unbedingt wieder repetitive Tests eingeführt werden», sagt Edith Leibundgut von der Arbeitsgruppe «Kinder schützen – jetzt!». Ansonsten würden Kinder in Schulen, Kindergärten und Kitas durchseucht.
Nicht nur unter den Eltern herrscht eine angespannte Stimmung, auch verschiedene Schulleitungen und Lehrpersonen teilen den Missmut über die kantonale Teststrategie. So heisst es aus Münsingen: «Es sind viel zu wenige Testteams unterwegs, als dass bei einem Fall zeitnah getestet werden könnte», sagt Daniel Wildhaber, Schulleiter im Schulhaus Schlossmatt. Am Donnerstag hielt der Berner Grossrat (SP) im Kantonsparlament ein Plädoyer für flächendeckende und obligatorische Massentests. Vergeblich.
Obligatorische Tests wären möglich
Als Hauptgrund gegen regelmässige Massentests führte der Kanton bislang die niedrige Rücklaufquote der freiwilligen Tests ins Feld; sie betrug über den ganzen Kanton betrachtet gerade einmal 50 Prozent, in gewissen Schulen in ländlichen Regionen sogar nur rund 10 Prozent. «Massentests bieten nur eine psychologische Pseudo-Sicherheit für die Eltern. Sie erlauben aber nicht, die Epidemie besser zu meistern», fasste Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) im Grossen Rat die Haltung der Kantonsregierung zusammen. Zudem stünden Kantone, die repetitiv testen bezüglich Corona-Inzidenz in der Gesamtbevölkerung nicht besser da.
«Selbst in den impfkritischeren Regionen haben sich an keiner Schule mehr als zwei Prozent von den obligatorischen Massentests abgemeldet.»
Was der Kanton nicht sagt: Entgegen früheren Aussagen hätte er Staatsrechtlern zufolge durchaus die Möglichkeit, gestützt auf das Epidemiengesetz des Bundes die Massentests an Schulen für obligatorisch zu erklären. Getan hat dies im vergangenen Februar der Kanton Zug – mit einer sogenannten Opt-out-Klausel. Heisst: Wer nicht an dem Spucktest teilnehmen will, muss von sich aus bei der Schulleitung vorstellig werden. Er kann dann aber auch nicht von den vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) abgesegneten Quarantäneerleichterungen profitieren und muss die 10-Tage-Frist absitzen.
Ein schlagkräftiges Argument, wie sich zeigte. «Selbst in den impfkritischeren Regionen des Kantons haben sich an keiner Schule mehr als zwei Prozent von den Tests abgemeldet», sagt der Zuger Bildungsdirektor Stephan Schleiss (SVP).
Von einem Obligatorium will man beim Kanton Bern indes nichts wissen. «Wir erachten ein Obligatorium als nicht zielführend», sagt Gundekar Giebel, Sprecher der Gesundheitsdirektion (GSI). Damit werde in die Entscheidungsfreiheit der Schulkinder und Eltern eingegriffen – und etwa die Hälfte von ihnen sei gegen regelmässige Massentests. Zudem sei dafür die Verhältnismässigkeit nicht gegeben.
Statt einer Kehrtwende beim Testen versucht der Kanton nun, beim Ausbruchstesten schneller zu werden. Dies etwa dadurch, dass er die mobilen Teams, welche nach einem Ausbruch an den Schulen die Tests durchführen, von heute 20 auf 35 aufstocken will. Optimierungen bei der Software sollen den Teams zudem ein schnelleres Bearbeiten eines Ausbruchs ermöglichen.
Kanton toleriert keine Abweichlergemeinden
Doch was, wenn Schulen auf eigene Faust wieder Massentests durchführen möchten? In einem Interview mit dieser Zeitung plädierte die Berner Epidemiologin Nicola Low jüngst für ein solches Vorgehen.
Eine Möglichkeit dafür bestünde bereits – zumindest theoretisch. Schulen könnten auf das Angebot «Together We Test» zurückgreifen, das von der Hirslanden-Gruppe betrieben wird und Firmen und Schulen Massentests ermöglicht. Für Schulen wäre das Angebot kostenlos; bezahlt würden die Testkosten grossmehrheitlich vom Bund.
Doch dabei gibt es zwei Probleme: Erstens bräuchten die Schulleitungen dafür das Okay der Gemeinde. Das Schulamt der Stadt Bern beispielsweise erteilte den testwilligen Schulen eine Abfuhr, weil es bei der Teststrategie «keine Alleingänge möchte».
Aber selbst wenn eine Gemeinde einverstanden ist und die Schule das Angebot der Hirslanden-Gruppe nutzen möchte: Der Kanton gestattet es nicht. Das zeigt ein Beispiel aus der Gemeinde Wohlen. Dort arbeitet Corinne Zulliger als Hausärztin, und sie weiss: «Wohlen versuchte gemeinsam mit uns Haus- und Schulärzten, der Pandemie entgegenzuwirken, und wollte nach den Herbstferien die freiwilligen Massentests wieder einführen.» Rund 800 Schulkinder wären davon betroffen gewesen.
Die Gemeinde habe sogar angeboten, die Kosten der Massentests selbst zu übernehmen, sagt Zulliger. Doch der Kanton erteilte der Gemeinde eine Abfuhr. «Selbst bei freiwilligen Angeboten wie dem von ‹Together We Test› entscheidet am Schluss der Kanton. Das ist ein Affront und dient nicht dem Schutz der Kinder», findet die Wohlener Ärztin.
«Es geht bei dem Entscheid nur um den administrativen Aufwand und nicht um die epidemiologisch richtige Lösung.»
In einem Schreiben an die Gemeinde begründet der Kanton sein Nein damit, dass es nicht im Sinne der Sache wäre, wenn er fortan Rechnungen von einzelnen Schulen abwickeln müsste. Und: Ein kommunal organisiertes repetitives Testen könne zudem seiner Strategie des Ausbruchstestens in die Quere kommen. «Es geht bei dem Entscheid also nur um den administrativen Aufwand und nicht um die epidemiologisch richtige Lösung», kritisiert Corinne Zulliger.
Auf die Anfrage dieser Zeitung, warum und auf welcher Rechtsgrundlage der Kanton einzelnen Gemeinden die Teilnahme an «Together We Test» untersagt, wollte sich dieser nicht äussern – dies, weil es im Kanton Bern ja keine Schule gebe, die das Angebot der Hirslanden-Gruppe überhaupt nutze.
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