Jacob Stickelberger veröffentlicht einen Roman
Man kennt ihn als Berner Troubadour. Nun hat Jacob Stickelberger einen Roman veröffentlicht. «Mein fast grosser Grossvater» handelt von seiner Familiengeschichte.

«Altwerden ist ein Seich», sagt Jacob Stickelberger. Er seufzt und ächzt die Treppe hinunter, lässt sich schliesslich auf einen Plastikstuhl im Garten fallen. Dann lacht er herzlich. Es ist ein Lausbubenlachen, das den 77-Jährigen um Jahre jünger macht.
Jacob Stickelberger ist neben Ruedi Krebs der einzige noch lebende Berner Troubadour der legendären Gruppe um Mani Matter. Seit kurzem aber tritt er nicht mehr auf, spielt kaum noch Gitarre. «Die Hände machen nicht mehr mit, der Kopf auch nicht, ich vergesse die Liedtexte», sagt er.
Untätig ist er aber nicht: Heute veröffentlicht Stickelberger erstmals einen Roman. «Mein fast grosser Grossvater» ist eine Familiengeschichte, ein amüsanter und entlarvender Einblick ins Grossbürgertum, aus dem Stickelberger stammt. Der Rummel, den eine Buchpublikation mit sich bringt, ist dem pensionierten Rechtsanwalt fast ein bisschen peinlich. «Ich bin gar kein Schriftsteller», sagt er.
Sturz in den Orchestergraben
Schliesslich war das anders gedacht: Er schrieb das Buch, weil sein Cousin darauf beharrt hatte. «Monatlich tauchte er bei mir auf und forderte mich auf weiterzuschreiben.» Stickelberger gab nach, stürzte sich in die Vergangenheit.
Schliesslich war die Familienchronik fertig, Stickelberger druckte sie in derselben Druckerei, die der Zytglogge-Verlag nutzt. Dadurch wurde der Verlag darauf aufmerksam, fragte Stickelberger für die Publikation an. Er liess sich überreden. Normalerweise ist es andersrum: Autoren rennen den Verlagen nach.
«Ich hatte einfach gute Verwandte», sagt Stickelberger. Und meint damit: Menschen, über die es viel zu erzählen gibt. Das ist vor allem der Grossvater väterlicherseits, Emanuel Stickelberger, nach dem das Buch benannt ist. Er stammte aus dem Basler «Daig», war standesbewusst, ein Patriarch alter Schule.
Aber auch ein Dichterfürst und in der Wahrnehmung des kleinen Enkels Ghebi (baslerisch für Köbi) vor allem Opapa, der «grosse Freund», der bei Spaziergängen jedem Bauern oder Fischer nach einem kurzen Schwatz einen Stumpen schenkte. Dieser Ghebi erlebte nur die Sonnenseiten des Grossvaters, der auch jähzornig und böse sein konnte.
So verbot er die Hochzeit seines zweiten Sohnes, angeblich, weil ihm der Nachname der Braut nicht gefiel. Und schliesslich gibt es über diesen Grossvater haufenweise Anekdoten. Zum Beispiel diejenige, wie er im Theater Basel literarisch geehrt wurde und beim mehrmaligen Verbeugen in den Orchestergraben fiel.
Oder diejenige, wie er beim abgedankten deutschen Kaiser Wilhelm II. eine Audienz bekam und eine Zigarette rauchte, obwohl er Zigaretten hasste wie die Pest. «Diese Geschichte, die wieder einmal nur bestätigt: Die Hierarchie verdirbt die Menschheit», schreibt Autor Jacob Stickelberger dazu.
Die Liebe kam dazwischen
«Die Berner werden sich da sicher fragen: Wo bleiben die Berner?», sagt Jacob Stickelberger jetzt in seinem Garten in Zollikon am Zürichsee. Hier lebt er seit vielen Jahren, er besitzt zwei Häuser nebeneinander, «nicht geerbt, mit redlicher Arbeit verdient», wie er sagt. In einem wohnt er, im anderen hat er nach wie vor seine Kanzlei, obwohl er nicht mehr als Anwalt tätig ist, eine Hauswartin, «meine rechte Hand», unterstützt ihn.
Überhaupt ist ihm seit dem Tod seiner Frau Marie-Louise letztes Jahr vieles zur Last geworden. «Sie war unglaublich schön, hatte etwas Engelhaftes. Ihr Tod hat mich sehr getroffen.»
Wegen der Zürcher Journalistin blieb Stickelberger Anfang der 1970er-Jahre schliesslich in Zürich, obwohl er nach einem Anwaltspraktikum eigentlich nach Bern zurückkehren wollte. Mani Matter hatte ihm einen Job bei der Stadtberner Verwaltung verschafft, er sollte im Büro neben seinem Freund und Bühnenpartner arbeiten.
«Der Vertrag war schon unterschrieben», sagt Stickelberger. Doch dann kam die Liebe dazwischen, kurz darauf starb Mani Matter. Eine Rückkehr nach Bern war jetzt nicht mehr denkbar. Auch wenn Stickelberger, oft mit Troubadour Fritz Widmer zusammen, weiter Chansons machte. Zusammen führten sie «Kriminalgschicht», die sie mit Mani Matter begonnen hatten, zu Ende. Und noch heute kriegt er fast täglich Post von jungen Liederschreibern, die seine Meinung zu ihren Werken hören wollen.
Er bernert
Mit Bern fühlte sich Jacob Stickelberger sowieso immer verbunden – obwohl er eigentlich gar kein Berner ist. Sein Vater ist Basler, Stickelberger ist in verschiedenen Kantonen der Schweiz aufgewachsen. «Meine Mutter war Bernerin», sagt der Troubadour, «und man ist immer, was die Mutter war.
Deshalb heisst es doch auch Muttersprache.» Schalk blitzt in seinen Augen auf, er erscheint jetzt wieder jünger, tatsächlich bernert er nicht nur in den Liedern, sondern auch im Gespräch. Seine Mutter war die Tochter des Münsterpfarrers Albert Schädelin, sie war die Schwester von Klaus Schädelin, dem Autor von «Mein Name ist Eugen». Und seine Mutter war selber eine begnadete Briefeschreiberin, eine Kämpferin für alle sozial Benachteiligten.
«Ich habe gute Verwandte», sagt Jacob Stickelberger noch einmal. Es wäre genügend Stoff für einen weiteren Roman. Wenn das Altwerden nicht dazwischenkommt.