Im Alter beleidigt und geschlagen
Rund 15 Prozent der Fälle von häuslicher Gewalt betreffen ältere Menschen, insbesondere Seniorinnen. Ein Grund: Die Frau hat sich emanzipiert, der Mann versteht es nicht.

Annemarie* wird täglich von ihrem Mann beleidigt und geschlagen. Nicht selten kommt es vor, dass er ihre Möbel oder persönlichen Wertsachen durch die Luft schleudert und in Rage zerstört. Die 75-Jährige wendet sich zunächst an ihr näheres Umfeld. Allerdings fällt es Freunden und Familienmitgliedern schwer, Annemarie zu glauben, geniesst ihr Mann doch den besten Ruf. Sie weiss nicht weiter. Soll sie zur Polizei gehen und ihren Mann anzeigen? Das würde alles verändern. Fünfzig Jahre Ehe – aus und vorbei. Ihr langjähriges Zuhause müsste sie verlassen und sie wäre auf sich allein gestellt. Bruno Meili, ehemaliger Geschäftsleiter von Pro Senectute Kanton Zürich, kennt diese Ängste. Seit seiner Pensionierung arbeitet er als ehrenamtliche Beratungsperson in der unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter (UBA) und kümmert sich um Fälle wie Annemarie im Kanton Bern. Es sind Frauen, die sich davor scheuen die Justiz anzurufen, weil es ihnen aufgrund der langjährigen Ehe schwerfällt, ihre Angreifer anzuzeigen. Gemäss Jahresstatistik 2015 zur häuslichen Gewalt im Kanton Bern, die gestern erschienen ist, sind knapp 15 Prozent der Gewaltopfer über 50 Jahre alt. Meili sagt, die tatsächliche Opferzahl könnte deutlich höher liegen, denn in der Statistik sind lediglich gemeldete Fälle aufgelistet.