Textile KünstlerinSie bedruckte auch schon Leichentücher
Mit ihren Tapisserien hatte Salomé Bäumlin lange einen schweren Stand. Jetzt sind sie am Berner Galerienwochenende zu sehen.

Noch liegen die «Teppiche» dort wo man sie gemeinhin erwartet: am Boden. Doch bei den abstrakten aus marokkanischer Schafwolle geknüpften und gewobenen Kompositionen handelt es sich um Kunst, die mehrheitlich an die Wand gehört. Die Ausstellung «Mach mal Pause» von Salomé Bäumlin befindet sich bei unserem Besuch noch im Aufbau. Pünktlich zum Galerienwochenende wird die Schau eröffnet.
Die Galerie da Mihi hat Bäumlins Werk seit 2013 in regelmässigen Abständen gezeigt. Galeristin Barbara Marbot versteht die Arbeiten als «soziale Skulpturen». Tatsächlich entstehen die mit Naturfarben gefärbten Objekte, die oftmals an Landkarten aus der Vogelperspektive denken lassen, im Kollektiv. Bäumlin lässt ihre Entwürfe von Frauen in Marokko weben, wobei ihr nachhaltige und faire Produktionsweisen ein grosses Anliegen sind. Mittlerweile hat sie Marokko zu ihrem zweiten Wohnsitz gemacht. 200 Kilometer südlich von Marrakesch entstehen Design und Kunst in Zusammenarbeit mit mehrheitlich analphabetischen Mitstreiterinnen.

Sich in der Kunstszene zu behaupten, sei nicht einfach gewesen, so Bäumlin. «Textile Kunst hat immer noch einen schweren Stand», sagt die 42-Jährige. Aktuell erlebt das Gewobene und Gestrickte zwar einen Boom – an der diesjährigen Biennale in Venedig gab es etwa überdurchschnittlich viel Textiles zu sehen. Doch lange Zeit wurden Tapisserien abschätzig als «Frauenkunst» oder «Handwerk» bezeichnet.
Installation aus Leichentüchern
Als junge Studentin an der Berner Hochschule der Künste musste Bäumlin lernen, zu ihrem Werk zu stehen. «Die Feedbacks waren manchmal so harsch, dass ich am Ende ein Bild malte, um mich von den Urteilen und der Zensur zu befreien.» Auf dem Gemälde «Das Komitee» hielt sie kurzerhand ihre Kritikerinnen und Kritiker fest.

Ursprünglich hat Bäumlin eine Ausbildung zur Bühnenbildnerin absolviert. Sie merkte rasch, dass sie nicht im Dienst einer Sache stehen wollte. «Ich hatte keine Lust auf die Hierarchien, wie es sie gemeinhin an Stadttheatern gibt.» Das räumliche Denken der Bühnenbildnerin beeinflusst ihre Arbeit als freie Künstlerin jedoch bis heute. Die Tapisserien, die sie bei da Mihi zeigt, inszeniert sie als Gesamtinstallation, in die Besucherinnen und Besucher eintauchen können.
«Ich möchte nicht, dass für meine Arbeiten Schafe leiden und Wasser vergiftet wird.»
Eine raumgreifende Inszenierung schuf Bäumlin auch für ihre Abschlussarbeit an der Hochschule der Künste. Sie liess Leichentücher bedrucken und gestaltete damit verschiedene Farbräume. Auch interaktiv war die in der Kunsthalle Bern gezeigte Arbeit. So liess Bäumlin Besuchende an Tischen platziert ihre eigenen Siebdrucke entwerfen und über Tod und Leben sinnieren. «Ich habe einen persönlichen Bezug zum Tod, da ich schon in jungen Jahren mir nahestehende Personen verloren habe.»
Der Einfluss von Zen
2011 bekam Bäumlin von der Stadt Bern das Kairo-Stipendium verliehen. «Das gab mir einen Schub.» Für ein halbes Jahr zog die alleinerziehende Mutter einer mittlerweile 14-jährigen Tochter nach Ägypten. Erste Tapisserien entstanden. Doch die Produktionsverhältnisse gefielen Bäumlin nicht. «Ich wusste nicht, wer die Arbeit verrichtet hat und woher die Farben kamen.» Eine Frage wurde für sie immer dringlicher: Was soll man überhaupt noch produzieren in einer Welt, in der es bereits zu viel Müll gibt? «Ich möchte nicht, dass für meine Arbeiten Schafe leiden und Wasser vergiftet wird.»
Sie absolvierte schliesslich einen Master in «Product Design Management» in Luzern und entdeckte im Rahmen ihrer Schlussarbeit die Philosophie des Zen-Buddhismus für sich. Sie realisierte, dass die sieben Grundwerte von Zen – darunter Begriffe wie Natürlichkeit und Reduktion– auf ihre Arbeit angewandt letztlich zu Nachhaltigkeit führen.
Auch «Asymmetrie» und «Mysterium» sind Werte dieser Lehre, die man in Bäumlins Kunst wiederfindet. Nur das Asymmetrische sei lebendig, verrät sie – weshalb die geometrischen Figuren in ihren Kreationen oft leicht verzerrt sind. Das Mysterium wiederum wohnt wohl jeglicher Kunst inne, die sich einer eindeutigen Interpretation entzieht. Nebst dem Zen setzte sich Bäumlin auch mit Karl Marx, Richard Senetts «Bedeutung des Handwerks», der Arts-and-Crafts-Bewegung und dem Bauhaus intensiv auseinander.
Brüste und Vagina
Während der Pandemie war das Reisen nach Marokko nicht mehr möglich. Bäumlin hat die Zeit zum Zeichnen genutzt. Die mit Buntstiften und Tusche entstandenen Werke präsentiert sie nun bei da Mihi im Kabinett. Es sind bunte Leuchtpunkte, die sich gegenüber schwarzen Rastern behaupten, als würde das Helle letztlich über das Düstere triumphieren. Im letzten Raum sind die neusten Tapisserien zu sehen.
«Cards of Life» lässt auf den ersten Blick an ein Totem denken, an ein kleines, abstrahiertes Tiergesicht. Tatsächlich sind es die weiblichen Geschlechtsmerkmale – Brüste und eine Vagina –, die diese Tapisserie ausmachen. Ein surreales Objekt aus einer matriarchalischen Gesellschaft? Eine gewobene Utopie? «Wir sind noch nicht dort, wo wir sein sollten», sagt Bäumlin zum Thema Feminismus. Als sie mit ihrer Tochter schwanger gewesen sei, habe man ihr zu verstehen gegeben, dass Mutterschaft und Kunst nicht zusammengingen. Bäumlin selbst ist mit vier Geschwistern gross geworden. Als sie ihrem Vater, einem Professor, in der 1. Klasse ihr Zeugnis mit durchwegs guten Noten zeigte, meinte dieser: «Du wirst Juristin oder Ärztin.» Letztes Jahr sei er gestorben. Auf ihre Kunst war er zuletzt stolz.
Galerie da Mihi, Gerechtigkeitsgasse 40, Bern. 13. Januar, 17 bis 20 Uhr (Vernissage). Bis am 18.2.
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