«Ich habe oft erlebt, dass ein Spieler dem anderen eine Ohrfeige gab»
Reibereien gehören für Thorsten Fink zum Fussball. Als Trainer fühlt er sich bei den Grasshoppers bestens aufgehoben.

Thorsten Fink freut sich auf heute Samstag, auf den Abstecher nach Basel, auf die Begegnung mit dem Club, bei dem er bislang seine «erfolgreichste Zeit als Trainer» erlebte. Aber jetzt ist er bei GC, und er fährt mit seiner Mannschaft nicht in den St.-Jakob-Park, um einen netten Gast abzugeben, «nein, wir möchten den FCB bezwingen».
Dass beim FCB heute mit der alten GC-Grösse Marcel Koller ein neuer Trainer an der Linie steht, das ist gar nicht sein Thema. Fink ist auch nicht beunruhigt nach dem Start mit zwei 0:2-Niederlagen bei YB und gegen den FCZ, er sagt: «Der eine Gegner war der Meister, der andere der Cupsieger. Das sollte man nicht vergessen.»
Der frühere Profi des FC Bayern, inzwischen 50 Jahre alt, erklärt das Projekt GC und wieso das ihm Spass macht, wieso ihm Pep Guardiola imponiert – und was er von Ottmar Hitzfeld gelernt hat.
Wer ist derzeit der beste Trainer weltweit?
Wahrscheinlich Didier Deschamps, weil er mit Frankreich Weltmeister ist. Es heisst ja so schön: The trend is your friend. Ich bin selber ein absoluter Fan vom Fussball, den Pep Guardiola spielen lässt. Es gibt keinen besseren Trainer als ihn, wenn es um die Offensive geht. Undich finde auch Mircea Lucescu hervorragend.
Lucescu?
Den mag ich. Ich habe beobachtet, welche Arbeit er bei Schachtar Donezk geleistet hat. Er entwickelte junge Talente, die Spielweise seiner Mannschaft gefiel mir damals sehr gut. Und er hielt sich jahrelang im Amt bei einem ukrainischen Verein. Das muss einer zuerst einmal schaffen.
Sind Sie neidisch, wenn Sie sehen, welche finanziellen Mittel Guardiola bei Manchester City zur Verfügung hat?
Nein, gar nicht. Ich muss für mich schauen: Was ist an Spielern da? Was können wir uns erlauben? Wir können nicht spielen wie Barcelona. Aber ich bin sehr zufrieden mit meinem Kader. Es geht darum, dass wir damit das geeignete System hinkriegen. Beim FC Basel spielte ich in einem 4-4-2, weil ich mit Alex Frei und Marco Streller zwei Topstürmer hatte, die mir viele Tore garantierten. Da konnte ich keinen draussen lassen. Also musste ich schauen, wie ich das beste Team um sie herum aufbaue.
Und wie ist das bei GC?
Hier habe ich drei Top-Mittelfeldspieler mit Holzhauser, Sigurjonsson und Bajrami, normalerweise kann ich keinen auf die Bank setzen. Es geht nicht um Systeme, weil sich das im Spiel immer wieder ändern kann, sondern um die Ausrichtung.
Das heisst?
Wir wollen Ballbesitz-, nicht Konterfussball spielen, uns nicht hinten hineinstellen – aber nicht nur in der ersten Mannschaft, auch in der Jugend soll das so sein. Und das ist nicht blöd dahergeredet, sondern wirklich so: Bei GC setzen wir das um. Neulich hatte ich einen Jungen aus der U-21 im Training, und als eine taktische Übung anstand, musste ich ihm nicht lange erklären, worum es ging, er sagte: «Kenne ich.» So muss das sein.
«Ich bin ein absoluter Fan vom Fussball, den Pep Guardiola spielen lässt.»
Wieso ziehen Sie den Ballbesitz dem Konterspiel vor?
Wer ist Meister geworden in Deutschland? Bayern. Mit wie viel Ballbesitz? Vermutlich 70 Prozent. Wer ist Meister geworden in England? Manchester City. Ballbesitz? Wahrscheinlich mehr als 70 Prozent. Diese Liste liesse sich fortführen. Wer am wenigsten Ballbesitz hat, kämpft gegen den Abstieg. Wobei ich nicht sage, dass Konterfussball nicht gut ist. Atlético Madrid zum Beispiel beherrscht beides.
Wer hat Ihnen an der WM imponiert?
Als Deutscher war ich natürlich für unsere Mannschaft. Am Ende gehörten meine Sympathien den Kroaten. Weil sie Fussball mit Herz zeigten. Visionen, Ziele, Leidenschaft – das sind die Voraussetzungen für den Erfolg.
Lassen sich Auftritte wie von den Kroaten als Motivationsmittel bei GC einbauen?
Klar. Sie kamen so weit, weil der Zusammenhalt stimmte und die Leidenschaft gross war. Das ist ein gutes Beispiel für alle. Bei den Deutschen spürte ich, dass der Hunger fehlte. Irgendwie ist das aber auch menschlich. Wenn ich hohe Ziele einmal erreicht habe und danach oben bleiben sollte, ist das sehr schwierig.
Wie unterscheidet sich die Arbeit für einen Trainer in der Bundesliga zu jener in der Super League?
In Deutschland stehst du viel mehr im Fokus und unter Druck. In Hamburg hatten wir manchmal über 2000 Zuschauer im Training, wenn Schulferien waren. Das war jedes Mal Showtraining. Ich durfte nicht einmal die Hände in die Hosentaschen stecken, auch wenn es saukalt war.
Wieso nicht?
Weil dann Briefe kamen von Leuten, die sich beschwerten: Wie kann der Trainer da stehen mit den Händen in den Hosentaschen? Oder es gibt Lippenleser, die herausfanden, was ich sagte. Solche Dinge halt. Als Trainer in Deutschland bist du ziemlich gläsern.
Dann ist das für Sie bei GC geradezu idyllisch.
Es ist ruhiger zu arbeiten, ja.
Das hat den Vorteil, dass man sich bei einem Training härter kritisieren kann, ohne dass es gleich an die Öffentlichkeit kommt.
Ja. Wie oft habe ich es erlebt, dass ein Spieler dem anderen eine Ohrfeige gab, aber davon erfuhr niemand, weil kein Zuschauer, kein Journalist da war.
«Ich kann von einem Spieler bei GC nicht das Gleiche verlangen wie in der Bundesliga.»
Jetzt können Sie es ja sagen: Wann war das bei GC letztmals der Fall?
Das gab es nicht, seit ich hier bin. Einmal war da eine Rangelei, mehr nicht. Emotionen gehören doch zum Fussball. Wenn wir uns alle immer in den Armen liegen, funktioniert es auch nicht. Reibereien müssen dabei sein. Sie gehören doch dazu. Wir wollen einfach das familiäre Denken, wie wir das bei Bayern hatten.
Beim grossen FC Bayern?
Ja. Uli Hoeness, Karl-Heinz Rummenigge, auch Franz Beckenbauer, die waren sehr nahe an der Mannschaft. Sie sassen mit uns im Bus, spielten mit uns Karten. Es kam auch vor, dass wir uns gegenseitig anschnauzten. Aber am anderen Tag war das wieder vergessen. Ich habe Hoeness auch einmal angeschnauzt.
Ja?
Ich fühlte mich ungerecht behandelt. Ich zeigte konstant gute Leistungen, verdiente aber am wenigsten von allen, und einmal sagte er mir: «Du musst mehr bringen!» Da wehrte ich mich. Ich fand, er solle auf die Führungsspieler losgehen, die einen viel grösseren Lohn erhalten und mehr in der Verantwortung stehen als ich. Eigentlich darf ich Hoeness nicht kritisieren, wer getraut sich das schon? Aber deshalb achte ihn auch so sehr: Er steckt das weg und vergisst es schnell wieder. Er war bei mir überhaupt nicht nachtragend.
Ticken Sie ähnlich?
Wenn mich einer schlecht behandelt, wird er das von mir auch. Manchmal muss man über den Dingen stehen, aber wenn einer Unruhe reinbringen will, bin ich auch anders. Dann verteidige ich mich und den Verein.
Darf sich ein Spieler nicht wehren, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt?
Doch, dann sprechen wir uns aus. Aber intern, nicht öffentlich.
Und wenn er es öffentlich tut …
… bekommt er von mir etwas zu hören. Aber man muss schon auch unterscheiden: Ich kann bei GC von einem Spieler nicht das Gleiche verlangen wie von einem, der in der Bundesliga drei Millionen Franken pro Jahr verdient. Mit den Löhnen, die bei GC bezahlt werden, hat kaum einer für die Zeit nach seiner Karriere ausgesorgt. Ich habe hier mehr Arbeit als in der Bundesliga.
Wie ist das zu verstehen?
Wir kriegen nie den perfekten Spieler, weil das Geld dafür nicht da ist. Aber wir bemühen uns darum, ihn zu perfektionieren. Das erfordert grossen Aufwand. Nehmen wir Shani Tarashaj.Er hat überragende Anlagen. Aber wenn er keine körperlichen Defizite hätte, würden wir ihn doch gar nicht kriegen.
Wie viel Spass macht es, in der Schweiz zu arbeiten?
Es geht um die Entwicklung junger Spieler, das macht mir Spass. Ich habe keine Angst, Junge einzusetzen. Was ist in der Bundesliga anders als hier? Ich verdiene dort mehr als in der Schweiz, ja. Aber ich will mich wohlfühlen in meiner Haut, zufrieden sein. Das Projekt bei GC gefällt mir.
Sie sind jetzt 50. Wie hat sich der Fussball in den vielen Jahren, die Sie in diesem Geschäft schon verbracht haben, verändert?
Er ist schneller geworden, die Athletik ist total anders. Kylian Mbappé könnte mit seiner Geschwindigkeit schon fast beim 100-m-Lauf der Weltbesten mitmachen. Oder Cristiano Ronaldo. Mir erzählte jemand, dass niemand zu ihm nach Hause will.
Wieso nicht?
Weil er ständig trainieren will, so besessen ist er. Früher waren die Profis anders. Ich ging in den Kraftraum und achtete darauf, weniger zu machen als die anderen. Ich glaubte, dass ich mit mehr Muskeln langsamer werde. Was natürlich falsch ist. Mit dem Wissen von heute hätte ich damals anders trainiert. Wir kannten halt vieles nicht, auch nicht das Bewusstsein für die ideale Ernährung. Ich habe mir jede Pizza und Nudeln reingehauen.
Auch Currywurst?
Alles, ich komme aus Dortmund, da ist die Currywurst ganz weit vorne. Die Asi-Platte.
Asi-Platte?
Asozialen-Platte, Currywurst mit Pommes rot-weiss, also mit Ketchup und Mayonnaise. (lacht)
Wie hat sich der Umgang zwischen Trainer und Spieler verändert?
Heute wissen die Spieler viel mehr über Fussball, den Körper, die Ernährung, über Faktoren, die Einfluss auf ihre Leistung haben, auch dank detaillierter Videoanalysen. Als Trainer muss ich einen klaren Plan haben. Und ich muss Überzeugung ausstrahlen. Das hat nicht jeder.
Sie demonstrieren einen bemerkenswerten Optimismus, selbst nach Niederlagen wie im Derby. Woher kommt das?
Vielleicht habe ich das von meinen Eltern mitbekommen. Es gibt halt einfach Pessimisten und Optimisten. Bei mir ist das Glas schon immer halb voll gewesen. Und ich weiss halt, wie man erfolgreich sein kann.
Nämlich wie?
Am besten sind die Mannschaften mit dem stärksten Zusammenhalt und die mit den frechsten Spielern. Du musst Effenbergs im Team haben, die Persönlichkeiten und extrem unerschrocken sind, die auch polarisieren. Mit denen gewinnst du Titel. Aber zwischendurch habe auch ich meine Zweifel.
Sie können aber Ihre Mannschaft so starkreden, dass man meinen könnte, es gebe keinen Schwachpunkt. Sagen Sie immer alles aus Überzeugung? Oder flunkern Sie manchmal?
Ich versuche, so ehrlich wie möglich zu sein, und getraue mich, auch in Interviews eine Meinung zu vertreten, mit der ich anecke. Aber es gibt Momente, in denen ich nicht die Wahrheit sagen kann, das passiert im Fussball. Mein Ziel ist es, so nahe wie möglich an der Wahrheit zu bleiben.
«Ich habe mir jede Pizza und Nudeln reingehauen, auch Currywurst, die Asi-Platte.»
Schön formuliert.
(lacht)
Was haben Sie von Ottmar Hitzfeld gelernt?
Den Umgang mit Menschen, er hat ein wahnsinnig gutes Gespür, eine enorme Selbstkontrolle und eine Eigenschaft, die ich nicht habe: Geduld. Diesbezüglich ist er – im positiven Sinn gemeint – eine Maschine. Er hätte nie in der Presse einen Spieler kritisiert. Ihm konnte nie etwas entlockt werden, das für Aufregung gesorgt hätte. Er ist sehr intelligent und hat gute Nerven.
Und er ist wirklich nie laut geworden?
Nie. Ich glaube, er hätte das auch gar nicht gekonnt. Mit Ottmar Hitzfeld hatte ich sehr oft Kontakt, als ich Trainer in Basel war. Von ihm profitierte ich viel.
Wann nerven Sie sich?
Ich bin ruhiger und gelassener geworden. Ich weiss, was ich kann, und weiss, wenn ich etwas nicht gut gemacht habe. Es kommt vor, dass ich mich nerve, und dann muss es raus, weil ich ein emotionaler Mensch bin. Aber ich darf trotzdem nicht alles sagen. Ein Schiedsrichter kann drei Elfmeter für uns nicht geben, und ich muss mir eine Kritik verkneifen, weil ich sonst bestraft werde.
Regen Sie sich gelegentlich auch über Spieler auf?
Natürlich. Wenn einer meine Anweisungen nicht befolgt, sondern das Gegenteil macht, nervt mich das. Ich kritisiere scharf, wenn es angebracht ist, vor allem, wenn Verhaltensregeln missachtet werden. Aber ich tue das nie öffentlich.
Und wenn einer siebenmal in Folge das Falsche macht?
Erkläre ich es ihm so lange, bis er es verstanden hat. Die Schraube löst sich nach einer gewissen Zeit automatisch, darum muss ich sie immer wieder anziehen. Der kürzeste Witz beim Golfen geht so: «Jetzt hab ichs.» Das ist beim Fussball dasselbe: Wenn wir ein Freundschaftsspiel gegen Bayern 3:0 gewinnen, denkt mancher: «Jetzt hab ichs.» Aber das nächste Spiel verlieren wir. Garantiert. Es läuft nichts von allein.
Ist das nicht langweilig für Sie als Trainer?
Es ist mein Job. Und das macht mir Spass.
Und manchmal, wissen wir, regen Sie sich über Journalisten auf.
Hundertprozentig.
In Österreich haben Sie einmal einen Fernsehmoderator vor laufender Kamera attackiert.
Ich nehme für mich in Anspruch, Fussballexperte zu sein. Mir braucht kein Journalist zu erzählen, wie dieses Spiel funktioniert, wenn er selber nie Profi gewesen ist. Ich habe damals aus den Emotionen heraus gehandelt. Ich stelle niemanden bewusst bloss, sondern möchte nur gerecht behandelt werden. Das ist alles.
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