
Schauplatz: Basel. Zehntausende pilgern in die Stadt. Drei Tage lang trifft man überall bunt verkleidete Menschen an. Wovon ist die Rede? Die Beschreibung passt auf zwei grosse Veranstaltungen in Basel: Eine, die Basler Fasnacht, bewahrt eine wichtige Tradition. Die andere, die Fantasy Basel, trägt die Stadt in die Zukunft.
Auf die Fasnacht ist man – berechtigterweise – stolz. Der Fantasy Basel steht man noch skeptisch gegenüber. Was für eine Chance die Veranstaltung für diese Stadt darstellt, scheint noch nicht bei allen angekommen zu sein.
«Nicht mein Ding»
Während die Basler Kulturszene bröckelt, Kino, Musicaltheater und langjährige Messen ihre Koffer packen, boomt das Geschäft an der Schweizer Comicmesse. Von Donnerstag bis Samstag ist Basel «the place to be», der angesagte Ort – zumindest für Touristen.
In Basel selbst hingegen hört man nur allzu oft den Satz: «Damit kann ich nichts anfangen.» Während selbst Kulturuninteressierte Mitte Juni an die Art Basel pilgern, scheint das Interesse an der Comicmesse beim Durchschnittsbasler nicht besonders gross zu sein.
«Im echten Leben ein Niemand, an der Comic Convention der coole Superheld.»
Herr und Frau Basler können sich nicht mit ihrer Vorstellung der Fantasy-Besucher identifizieren. Sie stellen sich eine Messe vor, welche überrannt wird von Sonderlingen, zwischenmenschlich Unbeholfenen und sozial Abgekapselten. Nerds eben. Nerds, die ihre Tage damit verbringen, Videospiele zu zocken, und sich als fiktive Charaktere verkleiden, um ihrem sonst so drögen Alltag zu entfliehen. Im echten Leben ein Niemand, an der Comic Convention der coole Superheld.
Kurz: Die Fantasy Basel wird noch immer von vielen als Nischenveranstaltung für eine Randgruppe wahrgenommen.
Diese Sichtweise ist aber längst überholt. Seit der Gründung vor acht Jahren ist die Messe fast fünfmal grösser geworden, und die Eintrittszahlen haben sich verdreifacht: Letztes Jahr besuchten 62’000 Personen den dreitägigen Event. Zum Vergleich: An den VIP- und Publikumstagen der Art Basel wurden 2022 insgesamt 70'000 Besucherinnen und Besucher gezählt.
Der Nerd wird Mainstream
Eines muss man also einsehen, ob man selbst ein Fantasy-, Game-, Comicliebhaber ist oder nicht: Was einst Nische war, ist heute Mainstream. Gemäss dem «Newzoo Global Games Market Report» gibt es weltweit 430 Millionen Gamerinnen und Gamer. Gemäss jüngsten Daten erwirtschaftet die Game-Industrie inzwischen mehr Geld als die Musik- und die Filmindustrie zusammen.
In der Schweiz zockt, das zeigt eine Studie von My Entertainment und dem Marktforschungsinstitut Link, gut jeder Zweite im Alter von 15 bis 79 Jahren mindestens einmal pro Jahr ein Videospiel. Der durchschnittliche Schweizer Gamer ist gemäss Erhebungen 39 Jahre alt und spielt sechs Stunden pro Woche aktiv.
Gemäss der Streamingplattform Netflix haben sich 2020 über 100 Millionen Haushalte weltweit mindestens einen Anime-Titel auf Netflix angeschaut. Und Fantasyfilme und -serien wie «Harry Potter», «Herr der Ringe» und «Game of Thrones» feiern weltweit Erfolg.
Dabei handelt es sich um einen wachsenden Trend. Vor allem die Generationen Y und Z, die «digital natives», sorgen für die grosse Nachfrage nach «nerdigen» Veranstaltungen, Freizeitaktivitäten und Produkten. Sie sind mit Fernsehsendungen aus Japan und Amerika aufgewachsen und verbrachten mit zunehmender Bedeutung des Internets immer mehr Zeit online. Seit die «digital natives» nun erwachsen sind, beteiligen sie sich aktiv selbst an der Weiterentwicklung der Nerd-Kultur.
Cosplay als Aushängeschild der Szene
Mit dem Aufschwung von Videospielen, Science-Fiction-Filmen und Animationsserien wurde ein neues Hobby ins Leben gerufen: Cosplay.
«Cosplay hat doch voll mit Sexfantasien zu tun, oder?»
Events wie die Fantasy Basel wären nichts ohne die kostümierten Besucherinnen und Besucher, die gleichzeitig zahlende Besucher und Hauptattraktion sind. Als bunte Aushängeschilder der Szene sind sie häufig Zielscheibe für Kritik und treffen bei der Bevölkerung auf Unverständnis.
Oft wird ihnen Realitätsflucht und Übersexualisierung vorgeworfen. Gegen letzteren Vorwurf kämpft die Szene seit Jahren. 2015 schrieb SRF online: «Jetzt mal Hand aufs Herz: Cosplay hat doch voll mit Sexfantasien zu tun, oder?»

Immer wieder werden gerade weibliche Cosplayerinnen in die Schmuddelecke gestellt und dadurch diskreditiert. Die männlichen Verkleidungskünstler hingegen gelten als eine Art Hochstapler: Wer es im echten Leben zu nichts bringt, verkleidet sich eben als starker Mann.
Lässt man die Vorurteile weg, entdeckt man allerdings kaum leicht bekleidete Frauen und realitätsfremde Männer, sondern vor allem eine Gruppe begeisterter Bastler und Näherinnen. Monatelang widmen sich die Cosplayer der Herstellung ihrer Kostüme, erlernen ein neues Handwerk, machen aus Fiktion Realität. Immer wieder setzen sie sich an ein Projekt, das ihnen weder soziales Ansehen noch Geld einbringen wird. Einfach weil es ihnen Spass macht.
Warum stossen viele Cosplayer, nach eigener Aussage, also selbst im näheren Umfeld auf so viel Kritik? Lieber gar kein Hobby als ein eigenartiges, schien lange die Devise zu sein. Trotzdem hat sich die Community, gegen jegliche Kritik von aussen, durchgesetzt.
Heute ist der Nerd nicht mehr am Rand der Gesellschaft zu finden. Sondern mitten in Basel, unter Zehntausenden Gleichgesinnten.
Nerd-Kultur ist auch Kultur
Wer ein Event wie die Fantasy Basel also nach wie vor als Nischenveranstaltung wahrnimmt und belächelt, ruht sich auf einer bequemen «Früher war alles besser»-Haltung aus. Ist man nicht bereit dazu, seinen Kulturbegriff zu überdenken, wird die Kultur unweigerlich aussterben.
Denn die Kulturlandschaft ist im Wandel. Das war sie schon immer. Sie muss sich unseren Interessen anpassen, nicht umgekehrt. Ja, bei der Schliessung eines Traditionskinos darf man sentimental werden. Aber man kann die Leute nun mal nicht dazu zwingen, ins Kino zu gehen.
Basel als Hotspot
Die Amazing Event AG, das kleine Zürcher Team hinter der Fantasy Basel, hat den Trend alles Nerdigen hin zum Mainstream früh erkannt und in Basel eine der bedeutendsten Nerd-Conventions Europas geschaffen. Das macht unsere Stadt zum jährlichen Mittelpunkt einer rasant wachsenden Szene. Seien wir stolz darauf!
Möglicherweise kann man etwas vom Mainstream lernen, sich aus seiner Komfortzone begeben und sich einen unvoreingenommen Eindruck davon verschaffen, was Tausende begeistert.
Gehen Sie also an die Fantasy Basel, und machen Sie sich selbst einen Eindruck. Unvoreingenommen. Wenn es an der Ausstellung auf 77’000 Quadratmetern tatsächlich gar nichts gibt, was Sie interessiert, dann seien Sie doch immerhin glücklich um die Chance für Basel. Zu bedauern gibt es schon genug. Freuen wir uns doch auch einmal für unsere Stadt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Leitartikel zur Fantasy Basel – Hören Sie endlich auf mit den Vorurteilen!
Zehntausende pilgern an die Basler Comicmesse. Der Durchschnittsbasler nimmt die Convention trotzdem als Nischenveranstaltung wahr. Das muss sich ändern.