Literatur aus dem Automaten«Halt! Verlangen!»
Literatur zum Mitnehmen: Auf dem Helvetiaplatz gibt es bis in den November poetische Texte aus dem Billettautomaten. Die Tickets sind «Gültig für: immer».

Ja, da stehen wie gewohnt die drei braven Billettautomaten auf dem Helvetiaplatz, die nicht aus dem Rahmen fallen. Sie sind rot, mit einem Display versehen, und stehen entweder bei den Gleisen Richtung Ostring oder auf der anderen Seite neben der Strasse, wo der Bus Richtung Tierpark hält. Soweit ist alles in Ordnung. Aber es gibt da neuerdings noch einen anderen Automaten, der verführerisch silbern glänzt in der Nachmittagssonne. Er steht mitten auf dem Platz, neben dem Welttelegrafendenkmal.
Was ist denn das für eine kuriose ÖV-Verbindung. Kann man mit einem Ticket eintauchen in den Brunnen und durch Berns Unterwasserwelten an sein Ziel kommen? Umgeben ist er von mobilen Bänken auf Rädern, diversen Stühlen und einem roten Sonnenschirm. Das ist der «Autormat». Statt Fahrkarten spuckt der umprogrammierte Billettautomat für 50 Rappen literarische Texte aus. Die Billette – jeweils Halbtax/2. Klasse – sehen genauso aus, wie eine offizielle Fahrkarte von Bernmobil aussieht, allerdings mit einigen kleinen Unterschieden: Der Gültigkeitszeitraum ist grosszügig bemessen, nämlich für «immer». Und unten steht jeweils: «Für die Störung bitten wir Sie um Entschuldigung.»

Da ist zum Beispiel dieses Billett: «Outomate sy rot. Ou Tomate sy rot. ‹Ich weiss›, het my Fründ us Ghana gseit.» Der Verfasser ist der Berner Kinderbuchautor Lorenz Pauli. Er gehört zu den rund 30 Schweizer Autorinnen und Autoren, die sich an dieser charmanten poetischen Irritation des Berner Literaturvereins «Buchowski» beteiligen – darunter sind so bekannte Namen wie Pedro Lenz, Franz Hohler, Charles Lewinsky, Julia Weber, Nora Gomringer oder Laurence Bossier. Der Erlös geht an «Writers in Exile» des Deutschschweizer PEN-Zentrums. «Die Leute haben grosse Freude an diesem Automaten», zieht Benedikt Meyer von «Buchowski» nach einigen Tagen eine erste Bilanz. Manche würden sogar von «Suchtpotenzial» sprechen, «andere fordern bereits, dass der Automat künftig jedes Jahr auf dem Platz stehen soll». Es hätten sich zudem bereits Leute gemeldet, die diese Literatur zum Mitnehmen unbedingt auch in anderen Städten installieren wollten.
Reise mit dem Fallschirm
Auf Knopfdruck druckt die Maschine einen zufälligen Text aus sechs Kategorien aus – darunter etwa «Halt! Verlangen!», «Destination X», «Fundbüro» oder «Kindertexte». Neben den Autorinnen und Autoren haben auch sieben Museen aus der Umgebung und drei Primarschulklassen aus dem Quartier Texte beigesteuert. Benedikt Meyer schwärmt von der Zusammenarbeit: «Die Lehrerinnen haben selbstständig Schreiblabors eingerichtet und mit den Kindern Texte entwickelt. Diese Kurzgeschichten sind Geheimtipps; da hat es einige Perlen darunter.»

Der Verein «Buchowski» führt seit 2012 literarische Interventionen im Schnittbereich von Literatur und öffentlichem Verkehr durch – etwa im Marzilibähnli oder in einem Eisenbahnwagen, der zwischen Bern und den Solothurner Literaturtagen verkehrte. Die Tickets aus dem Literaturautomaten versprechen mitunter abenteuerliche Fahrten. Eine Information von Franz Hohler zum Zug nach Domodossola auf Gleis 6 etwa lautet: «Wegen einer Explosion im Blausee-Mitholz fällt der Zug nach Domodossola aus. Für Reisende nach Domodossola steht auf dem Flugplatz Bern-Belpmoos eine Chartermaschine bereit, die mit dem Shuttle auf dem Postautoplatz erreichbar ist. An Passagiere nach Brig werden Fallschirme abgegeben.» Da würden sogar die drei Bernmobil-Automaten rot vor Aufregung, wenn sie es nicht schon wären.
Der Literatur-Automat ist bis November auf dem Helvetiaplatz in Betrieb.
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