Grosszügige Ausnahmen für Eltern
Die Harmonisierung der Volksschule steht auf der Kippe: Um das Projekt Harmos zu retten, planen drei Innerschweizer Kantone grosszügige Ausnahmeregelungen beim Kindergarten-Obligatorium für Vierjährige. Die Gegner sprechen von einer Mogelpackung.
Am obligatorischen zweijährigen Kindergarten und dem frühen Eintrittstermin nach Vollendung des vierten Lebensjahrs entzünden sich die meisten Diskussionen um das umstrittene Schulkonkordat Harmos. Es harmonisiert die wichtigsten Eckwerte der obligatorischen Schule schweizweit. Acht Kantone haben inzwischen den Beitritt definitiv beschlossen. Im Kanton Bern sammeln die Harmos-Gegner Unterschriften für eine Volksabstimmung, und im Kanton Genf läuft nach dem positiven Parlamentsentscheid von vergangenem Donnerstag die Referendumsfrist. In Luzern, Thurgau und Graubünden hat das Stimmvolk Harmos indessen eine Abfuhr erteilt – die entscheidende Rolle dürfte dabei die Frage des obligatorischen Kindergartens für die Vierjährigen gespielt haben.
Drohende Nein-Mehrheiten
2009 stehen die Beitrittsentscheide weiterer Kantonsparlamente an – und in mehreren Kantonen wollen die Harmos-Gegner Volksabstimmungen erzwingen. Besonders schwer haben dürfte es das Schulkonkordat dabei in der Innerschweiz. Deshalb wollen nun drei Innerschweizer Kantone das Konkordat entschärfen und so mehrheitsfähig machen: Die Regierungen der Kantone Uri, Schwyz und Nidwalden haben in den vergangenen Tagen grosszügige Ausnahmeregelungen bei der umstrittenen Frage des Eintrittsalters angekündigt.
Am weitesten gehen die Regierungen von Schwyz und Uri: In ihrem Antrag an die kantonalen Parlamente wollen sie den Eltern das Recht geben, den Kindergarteneintritt der Vierjährigen um ein Jahr zu verschieben. Voraussetzung ist einzig, dass die Eltern ihre Beweggründe für die Rückstellung gegenüber den Schulbehörden begründen. Sind sich Behörden und Eltern nicht einig, liegt der abschliessende Entscheid bei den Eltern. In Nidwalden, wo am 8. Februar nächsten Jahres über Harmos abgestimmt wird, will die Regierung mit einer bereits in Kraft gesetzten Änderung der Volksschulverordnung die Mitsprache der Eltern beim Kindergarteneintritt stärken und damit die Voraussetzungen für ein Ja in der Volksabstimmung schaffen. Neu kann ein Aufschub auf ein schriftlich begründetes Gesuch der Eltern sowie nach einem Gespräch mit den Schulbehörden gewährt werden, ein Antrag des schulpsychologischen Dienstes ist nicht mehr notwendig. Im Konfliktfall bleibt der Entscheid indessen bei den Schulbehörden.
An der Dauer des zweijährigen Kindergartens ändert sich aufgrund der neuen Ausnahmeregelungen der drei Kantone nichts, auch nicht an der Gesamtdauer der obligatorischen Kindergarten- und Schulzeit von elf Jahren.
«Sand in die Augen gestreut»
Die Harmos-Gegner kritisieren indessen das Vorgehen der drei Kantonsregierungen: «Das ist eine Mogelpackung, den Bürgern wird Sand in die Augen gestreut», sagt der Zürcher SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer, der den Widerstand der Harmos-Gegner national koordiniert. Für Schlüer stellt sich die Frage, warum die Kantone Harmos beitreten, um dann auf dem Weg von Ausnahmeregelungen ein Hauptanliegen des Konkordats zu umgehen. Statt liberaler Ausnahmeregelungen fordert Schlüer, die Bestimmungen zum Kindergartenobligatorium aus dem Konkordat zu streichen.
Kein Problem im Vorgehen der drei Kantone sieht die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK). Bereits bisher seien die Kantone für die Ausnahmeregelungen zuständig und bereits heute seien diese unterschiedlich ausgestaltet, sagt EDK-Sprecherin Susanne Hardmeier. Von einer Aufweichung des Konkordats könne keine Rede sein, bleibe doch in allen Kantonen «der Schuleintritt nach vollendetem vierten Altersjahr der Regelfall».
«Ad absurdum geführt»
Als «geschicktes Entgegenkommen» an die Harmos-Gegner bezeichnet der Luzerner SP-Nationalrat Hans Widmer das Vorgehen der Kantone. «Allerdings würde das Ziel von Harmos ad absurdum geführt, wenn das Konkordat über weitere exzessive Ausnahmeregelungen zerfransen würde», warnt der Luzerner Bildungspolitiker.
Nach dem Volks-Nein in Luzern, Thurgau und Graubünden stehe ohnehin in absehbarer Zeit ein Eingriff des Bundes bevor, sagt Widmer. Er verweist auf den Bildungsartikel in der Bundesverfassung, der von den Kantonen eine minimale Harmonisierung im Volksschulbereich fordert. Zusammen mit 13 weiteren SP-Vertretern hat Widmer deshalb vorsorglich eine Interpellation eingereicht, die vom Bundesrat Auskunft zur Vorbereitung «der sich abzeichnenden nationalen Bildungsdebatte» fordert.
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