
Nach zweieinhalb Stunden Medienkonferenz mit Wladimir Putin stellt ein Journalist eine Frage, die sich offensichtlich aus dem Tag heraus entwickelt hatte. Sie drehte sich nicht um einen möglichen Krieg mit der Ukraine, nicht um Corona, nicht einmal um Nord Stream 2. Sondern um den russischen Weihnachtsmann.
Wie der Präsident es mit «Ded Moros» halte, mit Väterchen Frost, fragte der Journalist. Woraufhin Putin erklärte, er sei dem Weihnachtsmann dankbar dafür, dass er den Posten habe, den er nun mal habe. Daraufhin explodierte das soziale Netz vor Lachen, wobei ein Russe eine harte Antwort auf Santa Claus forderte, der mit seinem Schlitten den russischen Luftraum überfliege.
Putins Medienkonferenz, die diesmal mit etwas mehr als vier Stunden das langjährige Mittel kaum überschritt, wäre albern, ein Karneval – mit all den Kleinstbetrachtungen zum Kunsthandwerk in der Republik Mari El und zu Stromausfällen in Burjatien –, wäre dies nicht der Auftritt eines Präsidenten, der vielleicht bald mit einem Nachbarland im Krieg liegt. (Lesen Sie zum Thema den Artikel «Europa droht ein grosser Krieg».)
«Die Osterweiterung der Nato ist für Russland nicht hinnehmbar.»
Dabei bewegte sich Putin in der Ukraine-Frage innerhalb seines aktuellen Drohniveaus. Nicht Russland müsse der Ukraine Sicherheitsgarantien geben, sondern die Vereinigten Staaten Russland, «und zwar sofort». Schliesslich stationiere Russland auch keine Raketen an der US-mexikanischen Grenze, obwohl es dort ebenfalls territoriale Konflikte gegeben habe, man denke an Texas oder an Kalifornien. (Lesen Sie auch den Artikel «Putin fordert Garantien der Nato – und zwar sofort».)
Russland sei von der Nato «dreist getäuscht» worden: «Die Osterweiterung der Nato ist für Russland nicht hinnehmbar.» Dass er zwischendurch beruhigende Töne einflocht, Gespräche mit den USA in Genf zu Jahresbeginn in Aussicht stellte, was er als «insgesamt durchaus positiv» beschrieb, verstärkte den Eindruck: Noch ist nichts entschieden, noch weiss wohl nicht einmal Putin selbst, was in der Ukraine passieren wird.
Nüchtern betrachtet ist die gewaltsame Durchsetzung von Sicherheitsinteressen für eine Grossmacht nicht unüblich. Die wenigsten Grossmächte verzichten in dieser Frage auf Zwang. In den wenigsten Fällen genügt Zwang allein. Gerade deshalb fällt auf, wie isoliert, einsam, ja glanzlos jenes Russland war, das Wladimir Putin in diesen vier Stunden erstehen liess.
Die westliche Genderdebatte breite sich in Russland so unaufhaltsam aus wie Corona, meint Putin.
Besiegen lasse sich Russland nicht, so eines seiner zahlreichen Zitate, es könne nur von innen zersetzt werden. Aus Europa, aus dem Westen erwartet er nichts Gutes mehr. Aber wer sind dann Russlands Partner? Was hat es ihnen zu bieten?
In den wenigen kritischeren Fragen der Journalisten spürte man die Spannung zwischen dem Fortschrittsbedarf eines globalisierten Landes und der Unmöglichkeit, diesem unter den gegebenen politischen Umständen gerecht zu werden.
Theaterleute fürchteten um die Freiheit der Kunst? Künstler müssten ihre Grenzen kennen, antwortete Putin, man wolle schliesslich keine Anschläge wie denjenigen auf die französische Karikaturenzeitschrift «Charlie Hebdo». In Russlands Gefängnissen werde systematisch gefoltert? Das sei bedauerlicherweise in vielen Ländern der Fall, sagte der Kreml-Chef. Dass sich die westliche Genderdebatte in Russland so unaufhaltsam ausbreite wie Corona, war schliesslich eine seiner krasseren Pointen.
Putins jährliche Show ist immer grosses Kino. Aber sie zeigt, dass man selbst in vier Stunden die Antwort auf die wichtigste Frage schuldig bleiben kann.
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Analyse zur alljährlichen Putin-Show – Grosses Kino – aber ohne Antwort auf wichtigste Frage
Vier Stunden lang stellte sich der Kreml-Chef den Fragen von Journalisten. Es ging um die Ukraine-Frage, aber auch um den russischen Weihnachtsmann.