«Greift die Feinde an, wo immer sie sind»
Die Botschaften von Saif al-Islam und Saadi al-Ghadhafi kamen zur selben Zeit – ansonsten haben sie nichts gemeinsam. Der eine gibt die Kriegsgurgel, der andere will das Blutvergiessen beenden.
Zwei Söhne des ehemaligen libyschen Machthabers Muammar al-Ghadhafi haben am späten Abend widersprüchliche Stellungnahmen abgegeben. Ob die Wortmeldungen von tatsächlich von ihnen stammen und der Wahrheit entsprechen, ist nicht klar.
Mit Durchhalteparolen rief ein Mann, der behauptete Ghadhafis Sohn Saif al-Islam zu sein, per Audio-Botschaft die Ghadhafi-Anhänger zum Widerstand auf. «Greift die Feinde an, wo immer sie sind. Der Sieg ist nah», sagte der zweitälteste Sohn, wie CNN am berichtet. Die Gegner des Regimes nannte er «Verräter und Ratten.» In der laut CNN vom arabischen Fernsehsender Al-Rai TV ausgestrahlten Botschaft behauptet Saif al-Islam, er halte sich in einem Vorort der Hauptstadt Tripolis auf. Seinem Vater gehe es gut. «Wir trinken Tee und Kaffee.»
Verhandlungen um Sicherheitsgarantien
Kurz zuvor hatte ein weiterer Sohn Ghadhafis, Saadi, den Rebellen Gespräche angeboten, um die Gewalt zu beenden. «Das Wichtigste ist es, das Blutvergiessen zu stoppen», sagte Saadi dem arabischen Fernsehsender al-Arabiya.
Bereits zuvor hatte ein Kommandeur der Aufständischen in der Hauptstadt Tripolis, Abdel Hakim Belhaj, mitgeteilt, dass Saadi versucht habe, die Bedingungen für seine eigene Aufgabe zu verhandeln. Darauf angesprochen, sagte Saadi, er habe mit Belhaj und anderen Rebellen-Vertretern gesprochen, doch habe es Verwirrung um die Einzelheiten des Kapitulationsangebotes gegeben. Er sei bereit sich zu ergeben, aber nur, um das Blutvergiessen zu beenden.
Der Sender CNN berichtete dagegen, der drittälteste Ghadhafi-Sohn habe per Mail mitgeteilt, dass er nicht aufgeben wolle.
Ghadhafis Aussenminister gefasst
Die Rebellen haben laut Belhaj auch «unbestätigte Berichte, wo sich Ghadhafi aufhält». Arabische Medien spekulierten, dass er in Bani Walid südlich von Tripolis untergetaucht sei. Dagegen behauptete ein ehemaliger Leibwächter von Ghadhafis Sohn Khamis, der Ex-Diktator habe sich in die 770 Kilometer südlich von Tripolis gelegene Garnisonsstadt Sebha abgesetzt.
Weiter melden die Rebellen, Ghadhafis Aussenminister Abdelati el-Obeida sei gefasst worden. Dies sagte der Vize-Präsident des Militärrats der Rebellen, Mehdi Harati, am Abend vor Journalisten in Tripolis. Ein Mitarbeiter des Pressereferats der Rebellen, Mohammed Elkisch, sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie hätten Obeida heute Mittwoch in einem Vorort der Hauptstadt gefasst.
Nato will bleiben
Vertreter der 28 Nato-Mitgliedsstaaten haben heute in Brüssel über ihre zukünftige Libyen-Strategie beraten. Demnach will das Bündnis auch nach einem Ende des Militäreinsatzes weiter Flagge zeigen. Nato-Soldaten könnten für eine begrenzte Zeit den Luftraum überwachen und Schiffe vor der Küste Libyens kontrollieren. Eine Entsendung von Bodentruppen kommt dagegen nicht in Frage. Voraussetzung für eine Fortsetzung des Nato- Einsatzes sei, dass die künftige libysche Regierung dies wünsche. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein. «In unseren Gesprächen mit dem Übergangsrat wird ganz deutlich, dass die Libyer jede Art eines militärischen Einsatzes durch die UNO oder andere verhindern möchten», sagte der Libyen-Sondergesandte Ian Martin in New York.
Keine Anzeichen für Kapitulation
Nach dem Ultimatum der Rebellen gibt es in Sirte, der Heimatstadt Ghadhafis, bislang keine Anzeichen für eine Kapitulation. Die Bevölkerung in der rund 75'000 Einwohner zählenden Küstenstadt sei gespalten, berichtete der Nachrichtensender al-Jazeera. Eine Hälfte plädiere für Kampf, die andere Hälfte für Kapitulation.
Auch die in der Wüste gelegene Garnisonsstadt Sebha hat bislang das Ultimatum der Rebellen nicht akzeptiert. Die neuen Machthaber fordern, dass die letzten Ghadhafi-Getreuen ihre Waffen bis zur Nacht vom Freitag auf Samstag strecken.
Neue Freiheit gefeiert
Tausende Libyer haben derweil in Tripolis das Fest des Fastenbrechens und ihre neu gewonnene Freiheit nach dem Sturz von Ghadhafi gefeiert. Sie versammelten sich auf dem Märtyrer-Platz und beteten, während Kämpfer Freudenschüsse in die Luft abgaben. «Libyen ist frei» war in begeisterten Rufen auf dem Platz zu hören.
Der Ladenbesitzer Adel Taghidi kämpfte mit den Tränen und erklärte, er habe sich unter Ghadhafi in seinem eigenen Land nie zu Hause gefühlt. Jetzt sei er stolz auf die Libyer und auf sein Land. «Ich habe noch nie so empfunden», sagte der 47-Jährige. «Wir wollen einfach nur frei leben.»
Rasche Hilfe nötig
Die humanitäre Lage in Libyen bleibt kritisch. Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon bat in New York die internationale Gemeinschaft um schnelle Hilfe. Noch seien 60 Prozent der Einwohner von Tripolis ohne Wasserversorgung.
Frankreich setzte sich beim Uno-Sanktionsausschuss für die Freigabe von 1,5 Milliarden Euro aus gesperrten libyschen Konten ein. 73 der 193 UNO-Mitgliedsstaaten haben den Übergangsrat als rechtmässigen Vertreter des libyschen Volkes anerkannt. China gehört nicht dazu, will jedoch einen Beobachter zur internationalen Libyenkonferenz von morgen Donnerstag in Paris schicken. An der Konferenz nehmen auch der libysche Übergangsrat und Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey teil.
Die EU beginnt damit, erste Sanktionen gegen Libyen aufzuheben. Wie heute aus Diplomatenkreisen verlautete, will die Union «so schnell wie möglich» die Beschränkungen für eine «substanzielle Zahl» Unternehmen aufheben. Eine entsprechende Entscheidung auf Arbeitsebene sei gefallen, hiess es in Brüssel. Den Angaben zufolge sind davon sechs Häfen sowie mehr als 20 Unternehmen aus dem Öl-, Gas- und Finanzbereich betroffen.
Möglicherweise könnte die Aufhebung der Sanktionen für die betroffenen Unternehmen bereits morgen Donnerstag greifen, hiess es. Bedingung dafür wäre allerdings, dass die Entscheidung dann bereits im Amtsblatt der EU veröffentlicht wird. Ist die Entscheidung offiziell, können die betroffenen Unternehmen wieder auf ihre Gelder in Europa zugreifen, die in der Vergangenheit eingefroren waren. Insgesamt hatte EU Sanktionen gegen mehr als 40 Firmen und mehr als 20 Personen verhängt.
sda/dapd/ami
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