
Haltung zeigen – das wird immer wichtiger. Einmal erschöpft an den Kaffeeautomaten geschmiegt, schon wird einem mangelndes Engagement unterstellt. Abhilfe schaffen Workshops, in denen man die Kunst der Körpersprache erlernt. Wer tatendurstig und agil rüberkommen will, wählt den aufrechten Stand, die Füsse etwas geöffnet, mit erhobenem Kopf und leicht nach oben gerecktem Kinn.
Nun kann man aber nicht pausenlos herumstehen und eine gute Figur machen. Schliesslich soll der Mensch etwas bewegen, zuallererst sich selbst, und das möglichst dynamisch. Die Lösung rollt heran: Neuerdings cruisen auffallend viele selbstbewusst wirkende Personen durch die Städte. Sie strahlen Zuversicht aus – und sie fahren E-Scooter.
Unwahrscheinlich, dass sie alle kürzlich befördert wurden, im Lotto gewonnen oder sich verliebt haben. Vielmehr ist es die Wirkung ihrer Körperhaltung, die sie dabei einnehmen. Aufsteigen, anschieben, und sssssssssssst! Schon geht es dahin: Schneidig und smart wie Helios, der in seinem goldenen Triumphwagen über das Himmelsgewölbe fährt, zischt man durch die Strassen. Kerzengerader Stand, durchgedrücktes Kreuz, den Blick nach vorn gerichtet – dazu zwingt einen das Gefährt nämlich.
Fels in der Brandung dank Trittbrett
Das Geheimnis liegt im schmalen Trittbrett, das jede Fahrt zum Balanceakt macht. Auf dem elektrogetriebenen Trottinett ist für beide Füsse kein Platz, man muss sie hintereinander abstellen. Allerdings nicht wie auf einem Skateboard (zu instabil!), eher wie eine Ballerina: Standbein vorne, Anschiebe-Bein hinten, Gewicht auf beide Füsse verteilt, die Zehen des hinteren nach aussen gedreht.
Schon mal versucht, dabei wie ein aufgestellter Lauch durchzuhängen? Keine Chance. So wird auf dem E-Scooter der urbane Mensch zu einer besseren Version seiner selbst. Ein rollender Fels in der Brandung. Ein aufrechter Bürger.
Eine Erfindung der Krankenkassen?
Wer weiss, am Ende macht der E-Roller sogar noch die Krankenkassen glücklich. Immerhin gehen nach Statistik mehr als drei Fehltage pro Kopf auf Beschwerden des Muskel-Skelett-Apparates zurück. Was das kostet! Dabei wäre es so einfach, der Volkskrankheit Rückenschmerz vorzubeugen. Physiotherapeuten empfehlen, die Tiefenmuskulatur zu trainieren, durch Kraft- und Balanceübungen auf instabiler Unterlage. Balanceübung, instabile Unterlage – na, klingelts?
Ist der E-Scooter womöglich gar nicht gesundheitsgefährdend, sondern im Gegenteil eine Erfindung der Krankenkassen? Gibt es ihn schon bald auf Rezept, weil er den Menschen über seinen Spieltrieb zum Rückentraining zwingt? Zwar würden die Menschen dann noch weniger zu Fuss gehen. Aber zumindest stehen sie dabei gerade und machen eine gute Figur. Gezwungenermassen.
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Gleiten wie eine Ballerina
Der E-Scooter führt zu aufrechten Bürgern: Eine Haltungskritik des neuen Verkehrswesens.