Arbeiterbewegung in den USAGewerkschaften nisten sich bei Tech-Riesen ein
Zwanzig Jahre standen Arbeiterorganisationen im Silicon Valley auf verlorenem Posten. Doch jetzt sind bei Apple, Amazon, Facebook, Google und Microsoft plötzlich andere Töne zu hören.

Ohne die Stimmen von Jeff Bezos als grossem Aktionär hätte Amazon an der Aktionärsversammlung im Mai eine harsche Niederlage eingefahren. 44 Prozent der Aktionäre unterstützten Forderungen der Gewerkschaften, wonach die Arbeitsbedingungen in den Verteilzentren dringend zu verbessern seien. Ebenfalls 44 Prozent wiesen ein Lohnpaket von 212 Millionen Dollar für Geschäftsführer Andy Jassy als überrissen zurück.
Das sind mehr als nur Achtungserfolge. Da Firmengründer Bezos 12,7 Prozent der Stimmen kontrolliert, ist anzunehmen, dass die Gewerkschaften zum ersten Mal eine Mehrheit der unabhängigen Aktionäre hinter ihre Forderungen bringen konnten.
Noch überraschender ist, dass selbst eine offizielle Anerkennung der Gewerkschaften durch den Konzern, den zweitgrössten privaten Arbeitgeber der Welt, mehrheitsfähig war. 39 Prozent der Aktionäre unterstützten das Recht der in den Lagerhäusern und Verteilzentren tätigen Angestellten, sich zu organisieren. Amazon beschäftigt weltweit 1,6 Millionen Angestellte, der grösste Teil sind Blue-Collar-Arbeiter mit gesetzlichen Mindestlöhnen.
Ein Weckruf für die Arbeiterbewegung
Verglichen mit früheren Aktionärsversammlungen erreichten die Gewerkschaften deutlich mehr Stimmen, auch dank der Tatsache, dass sich die grossen Aktionärsberater-Firmen Glass Lewis und ISS auf ihre Seite geschlagen hatten.
Der Erfolg sei überraschend und ein Weckruf für die ganze Arbeiterbewegung, sagt Mark Dimondstein, Präsident der American Postal Worker Union. «Wir haben gesehen, dass wir direkt mit den Angestellten arbeiten müssen, um eine echte Chance zu haben.»
Tatsächlich ist der Erfolg aber nicht einer der etablierten Gewerkschaften zuzuschreiben, sondern einer kleinen, erst 18 Monate alten Arbeitnehmervereinigung. Anders als traditionelle Gewerkschaften, die mit professionellen Aktivisten und Aufpeitschern arbeiten, stützt sich die Amazon Labor Union ausschliesslich auf frühere und aktive Angestellte.
Diese Arbeit an und mit der Basis verschaffte ihr diesen Frühling den ersten grossen Erfolg: Es gelang ihr, die Belegschaft in einem Warenlager in New York zu organisieren, obwohl Amazon mit allen Mitteln der Verwirrung und Einschüchterung operierte.

Das Muster dazu stammt von Starbucks, wo sich in den vergangenen sechs Monaten die Beschäftigten von zehn Coffee-Shops gegen den Widerstand der Konzernleitung organisieren konnten. Federführend waren nicht die mächtige Service Employees International Union, sondern lokale Aktivisten, die wiederholt eingeschüchtert und von Firmenboss und Gewerkschaftsgegner Howard Schultz persönlich bearbeitet wurden.
So weit ging Amazon nicht. Bezos hielt sich aus dem Kampf heraus, dafür liess sein Konzern Aktivsten durch die bekannte Detektei Pinkerton überwachen, wie das Online-Magazin «Vice» berichtete. 2004 und 2016 war es Amazon durch Druckversuche noch gelungen, gewerkschaftsfreundliche Bewegungen auszubremsen. 2018 wurden diese Anstrengungen noch durch interne Antigewerkschaftsvideos verstärkt.
Hauptargument der Amazon-Führung: Mit dem Einzug von Gewerkschaften werde das Geschäftsklima gestört. Die Arbeiter verlören ihre Mitspracherechte an aussenstehende Funktionäre, so die Scharfmacherei, denen es mehr um ihre Macht als um das Wohlergehen der Angestellten gehe.
Big Tech hat nicht mehr die gleiche Verhandlungsmacht wie noch vor zwei Jahren.
Solche Abschreckmanöver haben aber offensichtlich an Kraft verloren, wie aktuelle gewerkschaftliche Organisierungskampagnen bei Apple und Google zeigen. Beide Unternehmen konnten sich bis vor kurzem aus dem Gewerkschaftskampf heraushalten, indem sie sich als verständnisvolle Arbeitgeber präsentierten und Löhne über dem Minimum zahlten.
Nun formiert sich aber Widerstand in einzelnen Apple-Geschäften, unter anderem wegen des Lohns, der Corona-Einschränkungen und der hohen Zahl von Teilzeitangestellten. Eine Abstimmung über die Bildung einer Gewerkschaft in Atlanta vergangene Woche allerdings wurde vorerst abgesetzt, da Apple «ein Klima der Angst und der Einschüchterung» geschaffen habe. Aufgeben wollen die Aktivisten deswegen nicht.
Sicher ist, dass Big Tech nicht mehr die gleiche Verhandlungsmacht hat wie noch vor zwei Jahren. Amazon, Facebook, Google, Apple und Microsoft wurden an der Börse deutlich zurückgestutzt, da den Anlegern langsam klar wird, dass die Phase des rasanten Wachstums vorbei ist.
Sie werden auch von Stellensuchenden kritischer bewertet denn je. Für viele Hochschulabgänger sind Big-Tech-Firmen nicht mehr die attraktiven Arbeitgeber von früher. Zwar stimmt der Lohn, aber sie gelten als zu bürokratisch und zu festgefahren. Arbeiter haben keine Angst, ihren Job zu verlieren. Der gesättigte Arbeitsmarkt gibt ihnen genug andere Anstellungsoptionen.
Ausländische Investoren setzen den Ton
Solange hohe Profite flossen, hatten auch institutionelle Investoren wenig zu bemängeln. Doch sie stehen ebenfalls vor einer neuen Realität. Der Regulierungsdruck in den USA ist stark gestiegen – und damit der Zwang von institutionellen Anlegern, sich gegenüber den Anlegern zu rechtfertigen. Es ist nicht mehr der blockierte US-Kongress, der Big Tech an die Kandare nehmen wird, es sind einzelne Bundesstaaten wie Illinois und Massachusetts, die sich an die strikteren EU-Regeln anlehnen und sie eigenständig auf Big Tech anwenden.
Als Folge dieser Trends hat die Unterstützung gewerkschaftlicher Forderungen in den vergangenen zwei Jahren – parallel zur Covid-Krise – messbar zugenommen. Anliegen, die vor zwei Jahren an den Aktionärsversammlungen nur 20 Prozent Stimmen machten, erzielen nun mehr als 40 Prozent der Stimmen.
Es ist bemerkenswert, dass ausländische Grossinvestoren diese Bewegung anführen. An der Amazon-Versammlung war es die kanadische Catherine-Donnelly-Stiftung, die den Gewerkschaftsforderungen Gewicht verlieh. Unterstützt wurde sie durch den 1,2 Billionen Dollar schweren Anlagefonds der norwegischen Zentralbank und durch die öffentlichen Pensionskassen in New York, Florida und Kalifornien.
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