«Bund»-Essay-Wettbewerb: Platz 3Gehen wir dem Grundeinkommen mal wirklich auf den Grund
Gedanklich streng und doch humorvoll-nachsichtig zeigt Michael Sienhold auf, dass viele Wege zur Verteidigung oder Missbilligung des Grundeinkommens Irrwege sind.

Menschen im Bahnhof Bern: Der Grund des Grundeinkommens ist für den Essayisten etwas, was es in jeder denkbaren Menschengesellschaft gibt.
Im vergangenen Herbst hatte der 17. «Bund»-Essay-Wettbewerb die Frage gestellt: Kommen Sie, gibt es einen Grund für ein bedingungsloses Grundeinkommen?? 72 Autorinnen und Autoren aus der Schweiz, Deutschland und Österreich folgten dem Aufruf. Die drei von der Jury gewählten Finalistinnen trugen ihre Texte am 2. Mai in der Dampfzentrale vor. Dieser Text wurde vom Publikum auf Platz 3 gewählt. Hier gehts zum ersten Siegertext, und hier zum zweiten.
Gibt es den einen Grund für das Grundeinkommen? Ja, den gibt es. Wir kennen ihn alle. Wir sehen ihn tagtäglich. Was mag das wohl sein? Bis zur Antwort werde ich Sie eine Weile auf die Folter spannen – mit Dingen, die nicht der Grund des Grundeinkommens sind. Auf Abwegen wird das Wesentliche oft erst richtig klar. So wird es auch hier sein. Das verspreche ich Ihnen. Unsere Reise führt uns über acht verschiedene Abwege. Der erste hat es gleich in sich. Es geht ums Menschenbild.
Der Grund des Grundeinkommens sei ein positives Menschenbild. Ihm zufolge wollen wir von Natur aus tätig sein und uns in die Gemeinschaft einbringen. Deshalb gebe es keinen Anlass zur Sorge, dass wir uns mit dem Grundeinkommen in die Hängematte legen. Es mache nur den Weg frei für Tatendrang und Gemeinsinn. Sein Grund sei also, unsere positiven Seiten zu beflügeln. Das klingt doch vernünftig. Wo ist das Problem?
Das liegt tief verborgen. Läge der Grund darin, dass wir von Natur aus tätig sein und uns einbringen wollen, dann wäre er eine Konsequenz, die die Einführung des Grundeinkommens für unser Verhalten hätte. Weil wir auch mit Grundeinkommen tätig seien, wäre es richtig. Wären wir mit ihm nicht mehr tätig, wäre seine Einführung hingegen unbegründet. Sein Grund stände und fiele also damit, wie der Mensch tatsächlich ist – tätig und sozial oder faul und egoistisch. Das macht diesen ersten Pfad abwegig. Der Grund des Grundeinkommens ist nämlich von allen möglichen Unterschieden in der Natur des Menschen unabhängig. Über ihn verfügt jeder Mensch zeit seines Lebens.

Gehen wir weiter zum zweiten Abweg. Er wird auch häufig beschritten. Worum gehts? Stichwort Digitalisierung: Automatisierung und KI nehmen uns die Einkommensplätze weg. Alle brauchen ihr Leben lang ein Einkommen, über das sie ohne Grundeinkommen dann nicht mehr verfügen würden.
Was macht nun auch diese Argumentation abwegig? Ihre Implikation. Wäre sie schlüssig, dann hinge der Grund des Grundeinkommens an der Beschäftigungsquote. Bei Nullbeschäftigung wäre es geboten, bei Vollbeschäftigung nicht. Ich kann nun an dieser Stelle den Grund des Grundeinkommens nicht schon vorwegnehmen. Aber so viel kann ich sagen: Ihn gibt es in jeder möglichen Menschengesellschaft, eine niedrige Beschäftigungsquote dagegen nicht. Deshalb ist sie nicht der Grund des Grundeinkommens.
Zunächst einmal ist die Einführung des Grundeinkommens eine Entscheidung der politischen Gemeinschaft und nicht von Kapitalinteressen.
Auf den bisher genannten Abwegen – Menschenbild und Digitalisierung – trifft man fast nur Befürworter und Befürworterinnen des Grundeinkommens. Auf dem nun folgenden dritten Abweg trifft sich hingegen die Gegnerschaft. Für sie speise das Grundeinkommen Menschen ab, es lege sie ruhig oder still. Es prämiere ihr Stillhalten und Nichtstun. Was ist daran abwegig? Zweierlei.
Zum einen bekämen die Tätigen das Grundeinkommen nicht, wenn es Nichtstun prämieren würde. Die Tätigen bekommen es natürlich auch. Zum anderen widerspricht das Prämieren der Bedingungslosigkeit. Ist sie der Inbegriff von Unvoreingenommenheit, nimmt die Prämie die Gutheissung das Prämierten vorweg.

Es ist Zeit für ein erstes Zwischenfazit. Drei Abwege zum Grundeinkommen haben wir bis jetzt beschritten. Zum Grunde seines Wesens führt weder ein positives Menschenbild noch die Digitalisierung noch die Prämierung von Nichtstun. Der nun folgende vierte Abweg gehört zum Terrain der Gewerkschaften. Da überrascht es nicht, dass es um Löhne geht.
Das Grundeinkommen sei ein Kombilohn. Insbesondere sei es dazu da, geringe Löhne aufzustocken und Lohndumping zu legitimieren. Wenn es dumm laufe, erteile es Unternehmen einen Freibrief zum Lohndumping. Es bestehe die Gefahr, dass der Lohn zu einem mickrigen Zubrot verkomme. Was ist daran abwegig? Zunächst einmal zweierlei. Den ersten Punkt ahnen Sie vielleicht schon.
Das Grundeinkommen ist kein Kombilohn. Sonst bekämen es die nicht, die keinen Lohn erzielen. Die kriegen es natürlich auch.
Der zweite Punkt ist komplizierter. Schlüsseln wir ihn auf. Beim Kombilohn ist die staatliche Beteiligung am Sockeleinkommen die unerwünschte Ausnahme, beim Grundeinkommen die erwünschte Regel. Der Lohn kommt dann zum Grundeinkommen hinzu und nicht das Grundeinkommen zum Lohn. Davon will der Kombilohn-Frame nichts wissen. Er tut einfach so, als hätte der Lohn auch mit Grundeinkommen weiterhin Vorrang.
Und was ist mit der Ausbeutung dank Grundeinkommen? Legitimiert es Lohndumping? Zunächst einmal ist die Einführung des Grundeinkommens eine Entscheidung der politischen Gemeinschaft und nicht von Kapitalinteressen. Dass diese Interessen politische Entscheidungen oft beeinflussen, geschenkt. Doch macht dies das Grundeinkommen selbst nicht zum Instrument des Kapitals. Es ist ein Instrument des Souveräns. Er gibt sich selbst einen Schutzraum, einen Freiheitsraum, auf den Dritte nicht zugreifen können.
Schreiten wir fort zum nächsten Abweg. Es ist der fünfte. Er führt über den Klimawandel. Das Grundeinkommen sei dazu da, den Kampf gegen den Klimawandel zu erleichtern. Es erlaubt z. B., unser Mobilitätsaufkommen zu reduzieren. Schliesslich müsste dann keiner mehr von uns seinem Sockeleinkommen hinterherfahren. Es wäre dann immer schon bei uns. Ist das nicht der Grund des Grundeinkommens?
Eine Eremitin hat genauso Anspruch aufs Grundeinkommen wie eine zehnfache Mutter.
Nein. Den Grund des Grundeinkommens gibt es in jeder denkbaren Menschengesellschaft, den Klimawandel nicht. Hätte das Erdenklima keine lebensbedrohliche Entwicklung genommen, weil wir uns anders verhalten hätten, dann wäre das Grundeinkommen überflüssig. Das ist abwegig.
Weniger abwegig ist dafür der nun folgende sechste Nicht-Grund. Das Grundeinkommen sei dafür da, private Fürsorgeleistungen – Erziehung und Pflege – erbringen zu können, ohne die Trägerinnen und Träger dieser Leistungen an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Das Grundeinkommen ermöglicht diese Leistungen auf sozialverträgliche Weise, erkennt sie an und macht sie nicht zur Ware – im Unterschied zum Lohn. Familiale Fürsorge ist genauso kein Tauschverhältnis wie die Gewährung des Grundeinkommens. Was soll nun an der Anerkennung dieser Leistungen abwegig sein?
Sie ahnen es sicher schon. Die Bedingungslosigkeit macht auch diesem Argument einen Strich durch die Rechnung. Das Grundeinkommen bekommen nämlich auch diejenigen, die keine private Care-Arbeit leisten oder leisten wollen. Deshalb ist es im Grunde seines Wesens keine Ermöglichung oder Anerkennung dieser Leistungen. Eine Eremitin hat genauso Anspruch aufs Grundeinkommen wie eine zehnfache Mutter.
Jetzt ist wieder Zeit für ein Zwischenfazit. Rekapitulieren wir die Abwege vier bis sechs. Das Grundeinkommen ist kein Kombilohn, kein Mittel zur Bekämpfung des Klimawandels und keine Anerkennung von nicht lohnförmiger Care-Arbeit. Es warten noch zwei weitere Nicht Gründe auf uns – die Nicht-Gründe sieben und acht.

Grund zum Grundeinkommen gibt es jedoch in jeder denkbaren Gesellschaft. Also ist Armutsbekämpfung nicht sein Grund: Obdachloser auf einer Bank in Zürich.
Abweg sieben ist die Bekämpfung von Armut. Zu meinen, sie sei der Grund des Grundeinkommens, scheint nicht abwegig zu sein. Warum täuscht auch dieser Eindruck? Würde er nicht täuschen, dann gäbe es in einer Gesellschaft ohne Armut keinen Grund für ein Grundeinkommen. Denn in ihr gäbe es keine Armutsbekämpfung und damit auch keinen Grund für ein Grundeinkommen, wenn sie sein Grund wäre. Grund zum Grundeinkommen gibt es jedoch in jeder denkbaren Gesellschaft. Also ist Armutsbekämpfung nicht sein Grund.
Im Übrigen bekämen es nur Arme, wenn es Armutsbekämpfung wäre. Es bekommen aber alle, von der Obdachlosen bis zur Milliardärin. Es adressiert die Armen nicht als Arme und die Reichen nicht als Reiche. Es adressiert sie als Menschen.
Jetzt stehen wir vor dem achten und letzten Abweg zum Grundeinkommen. Mit dem Grundeinkommen kaufe sich der Staat von seiner sozialpolitischen Verantwortung frei. Nicht monetäre öffentliche Daseinsvorsorge brauche es dann nicht mehr. Schliesslich haben wir alle unser Grundeinkommen, mit dem wir uns z. B. Leistungen des Gesundheits- und Bildungswesens selbst am Markt kaufen können. Was macht auch diese Argumentation abwegig?
Denken wir an einen Staat mit einer idealen öffentlichen Daseinsvorsorge, der sich in seiner Verfassung dazu verpflichtet hat, an ihr festzuhalten. Wenn das Grundeinkommen ein Freibrief für den Abbau öffentlicher Daseinsvorsorge wäre, dann hätte dieser Staat keinen Grund zu seiner Einführung. Denn er könnte sich durch nichts – auch nicht durch ein Grundeinkommen – aus seiner staatlichen Verantwortung freikaufen. Das Grundeinkommen hätte aber auch in diesem Staat seinen Grund. Welcher das ist, sehen wir gleich. Also ist es im Grunde seines Wesens kein Freikauf aus staatlicher Verantwortung.
Warum genügt allein unsere Existenz? Weil jeder und jede von uns ein Selbstzweck ist. Selbstzwecke haben absoluten Wert.
Jetzt ist die Odyssee aber nun wirklich vorbei. Acht Abwege haben wir beschritten. Zu welcher Erkenntnis sollten wir dabei gelangt sein? Was ist nun der Grund des Grundeinkommens? Wir selbst. Wir sind der Grund des Grundeinkommens – jeder und jede Einzelne. Unsere Existenz allein ist es, die zählt. Erinnern Sie sich daran, wie ich auf fast jedem Abweg sagte, dass der Grund des Grundeinkommens etwas sei, was es in jeder denkbaren Menschengesellschaft gebe. Das ist der Mensch.
Warum genügt allein unsere Existenz? Weil jeder und jede von uns ein Selbstzweck ist. Selbstzwecke haben absoluten Wert. Ihr Wert ist unbedingt, losgelöst von allem anderen. Selbstzwecke haben kein Äquivalent. Deshalb entzieht sich ihre Wertigkeit dem Vergleich. Zwei Menschen sind weder gleich viel wert noch verschieden viel wert. Deshalb kann ein Menschenleben durch nichts aufgewogen werden.
Das Grundeinkommen ist eigentlich eine ganz einfache Sache. Es ist Existenzgeld. Es erkennt den Menschen um seiner selbst, um seiner Existenz willen an. Es prämiert kein Tun. Es prämiert kein Nichtstun. Es begünstigt kein Verhalten. Es repariert nichts. Es kauft nicht frei. Und sein Grund hat auch nichts damit zu tun, ob wir von Natur aus gut oder schlecht sind.
Damit ist unsere Reise am Ende. Der Grund des Grundeinkommens ist der Mensch selbst. Er ist der archimedische Punkt, der Fixstern – der uns die ganze Reise über begleitet hat.
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