Frisch auf dem Ikea-Gerüst
Philipp Beckers umtriebige Inszenierung von Max Frischs «Mein Name sei Gantenbein» für das Stadttheater Bern macht vor allem klar, wie schwer diesem ungewöhnlichen Buch von 1964 dramatisch beizukommen ist.
Auf einmal ist Max Frischs letzter Roman, der an Popularität lange hinter «Stiller» und «Homo faber» zurückstand, in den Vordergrund des Interesses gerückt. Moritz Leuenberger benützt ihn, um seine Bundesratskarriere zu hinterfragen, Kathrin Martelli, Kandidatin für das Zürcher Stadtpräsidium, zählt ihn zu ihren Lieblingsbüchern, «Condor Corporate» hat sich die Rechte für einen Spielfilm gesichert, und bereits zweimal ist er für die Bühne aufbereitet worden: 2007 in der Zürcher Gessnerallee, wo John Hardwick ihn von zwei Personen in einer zimmergrossen Kartonschachtel nachspielen liess, und jüngst nun auch in Bern, wo Philipp Becker ein Sechspersonenstück daraus gemacht hat.
Gantenbein mal fünf
Berner Spielplatz ist ein vom Ensemble auf alle mögliche Weisen beklettertes und begangenes, ebenso breites wie hoch aufragendes Gerüst von Beni Küng, das aus leergeräumten weissen Ikea-Büchergestellen besteht und dem Publikum nicht nur Gantenbeins verlassene Wohnung, sondern wohl ebenso das Komplexe, Konstruierte, Spielerische der Romanvorlage vor Augen führen soll. Denn dieser Text, der den «nouveau roman» an dekonstruktivistischer Radikalität in den Schatten stellte und Brechts Verfremdungstheater für die Prosa nutzbar machte, bedeutet für eine Dramatisierung eine fast nicht zu bewältigende Herausforderung. Der Roman besitzt nicht nur keine durchgehende Handlung, sondern findet als Anreihung immer neuer hypothetischer Varianten überhaupt nur in der Imagination des Erzählers statt.
Eine gewisse Linearität stellt Becker her, indem er sich in der Abfolge der Szenen eng an den Roman hält und die eigentliche Gantenbein-Geschichte ganz durchspielt. Die Struktur des Ganzen aber wird wesentlich durch die Aufteilung der Titelfigur auf fünf Schauspieler bestimmt, die Lila, der einzigen weiblichen Rolle, werbend und rivalisierend und gelegentlich auch als Verkörperungen der beiden anderen Romangestalten, Enderlin und Svoboda, gegenüberstehen. So schön das gelegentlich aufgeht: Auf die Länge hängt die Konstruktion durch und sieht man sich mit einer endlosen Debattier- und Argumentationskette konfrontiert, die aus Frischs leichtgewichtigem Parlando etwas Schweres, Thesenhaftes, ja gelegentlich Altbackenes und Verstaubtes macht.
Zu viel Aktivismus
«Nun bin ich hier, und es ist nicht wahr, dass ich hier bin», lautet einer der zentralen Sätze der Aufführung, und man wäre als Zuschauer dankbar, wenn dieses ununterbrochene existenzielle Infragestellen gelegentlich auch in Stille und Zurückhaltung umgesetzt wäre, statt dass man mittels eines schwer durchschaubaren choreografischen Aktivismus und einer lautstarken Dramatisierung genau das evozieren würde, was Frisch um jeden Preis vermeiden wollte: eine handfeste, unbezweifelbare Realität, wo es nur Vermutungen und Hypothesen zu vermelden gibt.
Virtuoses Spiel
Was Becker den Schauspielern zumutet, ist allerdings kein Pappenstiel, gibt er ihnen doch den Romantext selbst zu rezitieren. So dass sie sich gezwungen sehen, die Rolle, die sie spielen, laufend infrage zu stellen und damit blitzschnell zwischen zwei Perspektiven und Stilebenen hin- und herzuwechseln. Jürgen Hartmann, Joshua Monten, Andri Schenardi und Heiner Take zeigen sich dieser Anforderung durchaus gewachsen und tun auch sonst ihr Möglichstes, um der Umtriebigkeit des Konzepts gerecht zu werden. Michael Frei bringt sich tapfer als weiteren Mitspieler mit ein, schafft es mit seiner Musik und seinen eher lustlos gesungenen englischen Songs aber nicht, der Aufführung einen packenden Drive zu verleihen. Schlussendlich steht mit der temperamentvollen Lila von Henriette Cejpek pikanterweise jene Figur schrill und vital im Mittelpunkt der Bühnenadaption, die im Roman selbst nie zu Wort kommt und bloss aus der Perspektive ihrer Liebhaber zu erschliessen ist.
Was in Bern gezeigt wird und was vom Premierenpublikum mit freundlichem Applaus bedacht wurde, kann wohl kaum als geglückte Umsetzung von Frischs Roman gewertet werden, aber man muss der Inszenierung, der es weder an originellen Einfällen noch an schauspielerischem Können mangelt, zugute halten, dass sie sich etwas vorgenommen hat, an dem zu scheitern keine Schande ist.
Weitere Aufführungen: 21., 25., 31. März, 2. April.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch