
Jetzt wollen sie also ganze Stadtquartiere abspalten! Der wahltaktisch durchsichtige Feldzug von rechts gegen die Städte füllte bereits im Sommerloch die Zeitungen, kulminiert jetzt aber in Forderungen, die an Absurdität kaum zu überbieten sind. Glaubt man den Exponenten der SVP, so könnte man meinen, die Schweiz werde von rot-grünen Städtern regiert, die den Menschen auf dem Land ihre Politik aufdrücken wollen.
Schaut man sich die politischen Realitäten aber nüchtern an, wird klar: In der föderalistischen Schweiz wird die Politik nicht von den Städten und Gemeinden gemacht, sondern in Bundesbern und in den Kantonen. Dort aber sind SP und Grüne in der Minderheit: In keinem einzigen Kantonsparlament, geschweige denn in den eidgenössischen Räten, haben linke Parteien eine Mehrheit. Der Normalfall ist vielmehr, dass Regierungen und Parlamente fest in bürgerlicher Hand sind, zumeist mit rechtskonservativen Mehrheiten.
Mit diesen doppelten Mehrheiten drücken namentlich FDP und SVP ihr politisches Programm nicht besonders zimperlich durch: zuletzt bei der schrittweisen Abschaffung der Stempelsteuer, die einmal mehr Grosskonzernen Steuererleichterungen in Milliardenhöhe verschafft; bei der geplanten Erhöhung des Rentenalters; und bei verschiedenen Vorstössen, mit denen Immobilienkonzernen noch unanständigere Renditen bei Wohnungsmieten ermöglicht werden sollen.
«Progressive Städte werden als Bedrohung wahrgenommen.»
Es sind also die rechtskonservativen Kräfte, die ihre Übermacht immer häufiger dazu einsetzen, die Städte zu bevormunden und demokratische Entscheide der Stadtbevölkerung zu übersteuern: So haben sie der Stadt Zürich die Kompetenz entzogen, ohne Zustimmung des Kantons Velowege zu realisieren.
Der Grund dafür ist schnell gefunden: Progressive Städte werden von den politischen Mehrheiten als Bedrohung wahrgenommen. Mit der erfolgreichen (und populären) Förderung von bezahlbaren Wohnungen beweist die Linke, dass es Alternativen dazu gibt, als Mieterin primär die Gewinne der Immobilienkonzerne finanzieren zu müssen. Und wenn die Städte mit fortschrittlichen Ansätzen beweisen, dass eine menschlichere Sozialpolitik möglich ist, so stellt dies manchenorts Feindbilder infrage.
Die städtefeindliche Rhetorik verkennt aber auch völlig, dass eine verstärkte Zentrumsleistung der Städte von der Politik und der Bevölkerung in der Schweiz explizit gewünscht ist: um die weitere Zersiedelung der Landschaft zu verhindern und damit auch das zu bewahren, was den ländlichen Raum lebenswert macht. Ein prominenter Vertreter einer solchen Politik war beispielsweise Markus Kägi, bezeichnenderweise Mitglied der SVP, der von 2007 bis 2019 Baudirektor im Kanton Zürich war.
Zutiefst unschweizerisch
Wer sich aus ideologischen Gründen daran stört, dass die Städte dem Verkehrslärm den Kampf ansagen und Wohnbaugenossenschaften fördern, und wer es jenseits findet, dass eine Stadt wie Zürich mit dem Projekt «wirtschaftliche Basishilfe» pragmatische Nothilfe für Sans-Papiers leistet, sollte sich daran erinnern, dass der Föderalismus nicht nur gepredigt, sondern auch tatsächlich gelebt werden soll.
Gelingt es, sich in der tatsächlich wichtigen Debatte über Stadt und Land in der kleinen Schweiz diesem eigentlich selbstverständlichen Grundsatz wieder bewusst zu werden, ist schon vieles gewonnen. Die Menschen am einen gegen jene am anderen Ort auszuspielen, ist dagegen als das zu benennen, was es ist: zutiefst unschweizerisch.
Oliver Heimgartner ist Co-Präsident der SP der Stadt Zürich, Jean-Daniel Strub ist Mitinitiant der sozialdemokratischen Städtekonferenz.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Gastkommentar zum Städtebashing der SVP – Föderalismus nicht nur predigen, sondern auch leben!
Die Behauptung der SVP, das Land werde durch die Städte bevormundet, läuft angesichts der herrschenden Mehrheitsverhältnisse ins Leere.