Fingerabdrücke im weltweiten Netz
Dass ein Markenname zum Synonym für eine ganze Produktegruppe wird – «Nescafé» für alle sofort löslichen Kaffees zum Beispiel – ist ziemlich rar. Noch seltener mutiert ein Markenname zum Verb. Google hat das geschafft: Wer im Internet Informationen zusammensucht, der «googelt». Wer faul genug ist, kann bei Google praktisch eine Rundumversorgung bekommen: Suchmaschine, Mailbox, Supermarkt, Bibliothek, Ansichts- und Landkarte, Telefonbuch, Informationsquelle, Reisebüro. Der Internaut erhält Antworten auf all seine Fragen in Bruchteilen von Sekunden, und obendrein ist alles gratis. Zudem ist Google, wie man neulich im «Bund» lesen konnte, ein vorbildlicher Arbeitgeber. Die beste aller (virtuellen) Welten also. Google mit Hauptsitz in Mountain View, Kalifornien, hat im ersten Vierteljahr 2009 einen Umsatz von 5,5 Mrd Dollar und einen Reingewinn von 1,42 Mrd Dollar erzielt. Woher kommt all dies Geld, wenn doch die Benutzer gar nichts bezahlen? Die Antwort ist simpel: 90 Prozent der Einkünfte stammen aus Anzeigen auf den Google-Seiten.Wer zum Beispiel das Suchwort «Schweinegrippe» eingibt, stösst zuerst auf ein Inserat für Gesichtsmasken, und wer sich nach «Alternativmedizin» erkundigt, gerät an «die schärfste Akupunkturpraxis in Zürich». Die Inserate sehen aus wie normale Suchergebnisse; Ungeübte landen zuerst bei kommerziellen Anbietern. «Kontextuelle Werbung» nennt sich das.Für Inserenten sind diese Annoncen interessant, denn sie sind auf ihre Empfänger zugeschnitten. Google kennt die Klienten, die sich im Netz tummeln. Je mehr Aktivitäten ein User entfaltet, desto klarer wird sein Profil, und je klarer sein Profil, desto gezielter kann er mit Werbung eingedeckt werden. Diese Werbung hingegen kostet selbstverständlich, und nicht zu knapp. Das hat zur Folge, dass die Suchmaschine dort absahnt, wo früher klassische Medien ihren Haupterwerb hatten: im Werbemarkt. Wenn heute reihenweise amerikanische Zeitungen eingehen, haben sie das unter anderem dem Internet-Koloss aus Kalifornien und weiteren Anbietern im Web zuzuschreiben. Für die Schweizer ist Sicherheit eine Obsession. Anders ist die fast schon hysterische Opposition gegen die Einführung biometrischer Pässe und eines zentralen Registers für die Erfassung der Pass-Daten nicht erklärbar. Auch in dieser Zeitung konnte man Horrorszenarien lesen über all die theoretischen Möglichkeiten zum Missbrauch, welche die zentrale Datenbank eröffnet. Eine der schlimmsten ist die «Rasterfahndung». Was ist das eigentlich, Rasterfahndung? Gibt man den Ausdruck bei Google ein, stösst man – ausnahmsweise ohne vorgeschaltete Werbung – auf Wikipedia, und dort wird sie so definiert: «Die Rasterfahndung ist ein in den 1970er- Jahren infolge der vergeblichen Fahndung nach den RAF-Terroristen vom damaligen BKA-Präsidenten Horst Herold entwickeltes Verfahren zur vernetzten Durchsuchung von Datenbeständen. Dabei werden bestimmte Personengruppen aus öffentlichen oder privaten Datenbanken herausgefiltert, indem man nach Merkmalen sucht, von denen man annimmt, dass sie auch auf die gesuchte Person zutreffen. Ziel ist es, die Gruppe der zu überprüfenden Personen einzuschränken, da es im Gegensatz zu einer konventionellen Fahndung keine bekannte Zielperson gibt.»Das heisst, die Fahndung, die angeblich mithilfe der zentralen Pass-Datenbank betrieben werden könnte – praktisch wird diese Möglichkeit von der zuständigen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf ausgeschlossen –, würde der Suche nach Schwerverbrechern dienen. Was an der Suche nach Schwerverbrechern verwerflich sein soll, bleibt dabei rätselhaft.Man kann die Sorge um den Schutz der eigenen Daten verstehen. Niemand möchte in den Raster einer Fahndung geraten; jener nicht, der unschuldig ist, und erst recht nicht jener, der schuldig ist. Doch jemand, der mit Google surft, im Internet einkauft, sein Leben auf Facebook deponiert, ein Mobiltelefon benutzt, eine Coop-Supercard und die Cumulus-Karte verwendet und mit Visa und Mastercard bezahlt, überlässt diesen Instanzen – die sich seiner Kontrolle total entziehen und die, anders als das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), die Daten fast nach Belieben brauchen und missbrauchen können – sehr viel mehr, viel intimere, relevantere und damit heiklere Details aus seinem Leben, als das EJPD in der Pass-Datenbank jemals sammeln wird. Er hinterlässt, mit andern Worten, überall eine Menge digitaler Fingerabdrücke. Seine Opposition gegen den biometrischen Pass wird in diesem Fall absolut unglaubwürdig. Äussern Sie Ihre Meinung zu diesem Artikel im Internet:bundblog.derbund.ch>
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