«Fett, aber impotent»
Streit um das Bankgeheimnis gibt es nicht erst seit heute: 1934 wurde es im Gesetz verankert, und seither führt die Schweiz einen permanenten Abwehrkampf. 1984 scheiterte eine Volksinitiative, die es auf legale Geschäfte beschränken wollte, doch mittlerweile steht das Bankgeheimnis an neuen Fronten unter Druck. Wie es dazu kam und warum das Mauern nichts mehr nützt: eine Chronik.

Im Jahr 1934 beginnt alles ruhig. In einer Situation, die an heute erinnert. Die Volksbank, damals die zweitgrösste Schweizer Bank, steht vor dem Ruin, als Folge des Börsencrashs von 1929. Die Eidgenossenschaft steckt 100 Millionen in die Bank, einen Viertel ihrer damaligen Jahresausgaben. Und das Parlament verabschiedet ein Bankengesetz. Ziel: verbesserter Einlegerschutz. Der Bankgeheimnisartikel 47, der die Praxis der Banken fixiert, die sie seit dem Ersten Weltkrieg pflegten, rutscht dabei diskussionslos ins Gesetz. Erst in den Sechzigerjahren, als die Schweiz in Konflikten mit den USA etwas Heiligenschein nötig hatte, sollte die Legende entstehen, sie habe das Bankgeheimnis zum Schutz jüdischer Vermögen geschaffen.
SP verlangt Steuergerechtigkeit
Mit dem Kriegsende begann dann der Streit: 1945 verlangte eine SP-Motion die Aufhebung des Bankgeheimnisses. Mit Argumenten, die an die heutige Position der USA und der EU erinnern. Die Schweiz habe Kriegsschulden abzuzahlen; höhere Steuern brauchten Steuergerechtigkeit. Die Eidgenössische Finanzverwaltung lieferte Argumente: 30 Prozent der Wertschriften und Sparguthaben würden hinterzogen. An einer Veranstaltung der Uni Zürich plädierte ein Generaldirektor der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG, heute UBS) für Beibehaltung. Die Zeitung «Tat» berichtete zwar, die Gegner hätten mehr Applaus gehabt. Doch im Parlament wurde die Motion von der bürgerlichen Mehrheit klar verworfen.
Bald nach dem Krieg kamen in den USA Verdächtigungen auf, die Kriegsprofiteurin Schweiz verstecke hinter ihrem Bankgeheimnis Gelder von Nazis und horte Vermögen, die Erben von Nazi-Opfern gehörten. Amerikanische Behörden und Kommissionen setzten Schweizer Banken mit Forderungen nach rascher Einsicht in Kundenkonti unter Druck. Am 14. Februar 1948 stand in der «Basler Arbeiterzeitung» ein Satz, der von heute stammen könnte: «Schatzminister Snyder hat die Geduld verloren.» Das Bankgeheimnis blieb.
USA wollen Bankunterlagen
1955 sorgte ein Fall für Aufregung, in dem die Schweiz den USA Rechtshilfe verweigerte; es ging um die Abklärung von Bestechungsdelikten in der Versorgung ihrer Truppen in Deutschland. Eine Parlamentskommission verfolgte unter dem Einfluss des Kommunistenjägers McCarthy die These, sowjetische Subjekte kauften mit Geld aus Schweizer Bankkonten amerikanische Rüstungsfirmen auf. Die NZZ titelte am 11.April 1957: «Kampagne in Amerika gegen Schweizer Bankgeheimnis». In einem anderen Fall schrieb die «Tat»: Die USA hofften, «dass die Schweiz beunruhigt und alarmiert durch die heutige Situation zu einer vernünftigen Lösung Hand bieten wird».
1961 präsentierte der Bundesrat unter US-Druck den Bundesbeschluss über erblose Vermögen in der Schweiz, der den Streit um jüdische Gelder auf Schweizer Banken lösen sollte. Banken hatten behauptet, es gehe nur um wenige Hunderttausend Franken. Daten offenlegen wollten sie auf keinen Fall. Aufgrund eines Aufrufs, aber ohne Öffnung des Bankgeheimnisses wurden jetzt Ansprüche von 10 Millionen akzeptiert.
Im Februar 1962 gab es im Streit ums Bankgeheimnis einmal auch etwas zu lachen: Ein betrügerischer Waadtländer Unternehmer hatte bei den drei Grossbanken und der Kantonalbank mit gefälschten Bilanzen Millionenkredite bekommen. Jede Bank glaubte, sie sei allein angefragt worden. Als eine Bank den Mann einklagte, wurde er trotz Bankgeheimnis zur Aktenherausgabe gezwungen. «Vertauschte Rollen», schrieb die «Nationalzeitung» und fügte maliziös bei: «Zu den Eckpfeilern der Schweizer Wirtschaftsordnung gehört das Bankgeheimnis, dessen Zuverlässigkeit Weltruhm geniesst. Grundsätzlich gibt eine Bank nur mit Zustimmung der Kunden Auskunft. Anders liegen die Dinge, wenn eine Bank selbst zu Schaden kommt.»
Mehr Frust, mehr Druck
Zunehmend frustriert von der Schweizer Mauertaktik, erhöhten amerikanische Behörden in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre den Druck. In der Schweiz wurde man nervöser. Die «Nationalzeitung» meldete 1966 einen «neuen US-Fischzug gegen das Schweizer Bankgeheimnis». Ein Kongress-Hearing, in dem der Schweiz unter anderem vorgeworfen wurde, sie übernehme für Steuerflüchtlinge sogar den Transport des Gelds, beschrieb die NZZ als «Trauerspiel». Am 12. Dezember 1968 las man dort Sätze, die manche Schweizerinnen und Schweizer auch heute noch unterschreiben würden: «Es ist zu hoffen, dass die Vereinigten Staaten ihre beispielgebende Rolle als Demokratie und Rechtsstaat nicht durch die Missachtung der Souveränität eines anderen Staates beeinträchtigen und damit den Fluch des schlechten Beispiels auf sich laden werden.» Von einer «grotesken und primitiven Hetze» schrieb das «St. Galler Tagblatt».
Auf bessere Zeiten hoffen
Ab 1970 gab es zunehmend auch im Inland Stimmen, die vorschlugen, das Bankgeheimnis zu überdenken. So erklärte der spätere SP-Präsident Helmut Hubacher in einem Postulat, seine Partei sei nicht gegen das Bankgeheimnis, verlange aber Massnahmen, damit dieses nicht von «Gangstern, Schiebern und Potentaten» missbraucht werden könne. Die NZZ räsonierte, ein Rechtshilfeabkommen mit den USA könnte den Konflikt entschärfen, forderte aber sofort Zurückhaltung bei Konzessionen, «da wieder Zeiten kommen können, in denen die seriöse und korrekte Geschäftsführung und Diskretionswahrung seitens der Schweizer Banken vermehrt geschätzt werden könnte» (18. März 1970).
Bundesrat: «Kaum Schwierigkeiten»
In einer Parlamentsdebatte konnte der damalige FDP-Finanzminister Nello Celio noch unbeschwert sagen, das Bankgeheimnis sei im Verhältnis zum Ausland «kaum Ursache von Schwierigkeiten». Ein Vorstoss von SP-Nationalrat Jean Ziegler, der die Abschaffung der Institution verlangte, wurde auch von der Mehrheit seiner Fraktion abgelehnt. Der Anführer der Überfremdungsgegner, James Schwarzenbach, hatte Ziegler unterstützt. Die Linke war im Dilemma zwischen ihren Aversionen gegen die USA und gegen die Banken. Das Zürcher «Volksrecht» schrieb im Juli 1979 einen Satz, der bis vor Kurzem eine kluge Lösung hätte liefern können: «Die Schweiz muss die Frage des Bankgeheimnisses mit Anstand selber lösen, ohne ausländisches Diktat.»
1973 wurde in Bern nach mühsamen Verhandlungen ein Rechtshilfeabkommen mit den USA unterzeichnet. Es erlaubte die Lieferung von Daten bei Betrug, nicht aber bei Steuerhinterziehung. Trotzdem redeten die Bankiervereinigung und der Wirtschaftsverband Vorort von Erpressung. Der führende Schweizer Wirtschaftsdiplomat Albert Weitnauer sprach gemäss «Tages-Anzeiger» vom 26. März von einem «Abkommen für den guten Ruf der Schweiz».
1976 läutete Jean Ziegler, der streitlustige linke Professor, mit seinem legendär gewordenen Buch «Eine Schweiz – über jeden Zweifel erhaben» stürmische Zeiten ein. Ein Jahr später überschlugen sich die Ereignisse: Am 29. Januar 1977 erschien in der NZZ ein langer Artikel eines jungen juristischen Mitarbeiters der Nationalbank (SNB) unter dem diskreten Titel: «Institutionelle Grundlagen des Finanzplatzes Schweiz». Peter Klauser, der bis 2007 als Direktor der SNB arbeitete, identifizierte vier kumulativ wirkende Merkmale des Bankgeheimnisses, mit denen «die Schweiz im Kreis der westlichen Industriestaaten allein auf weiter Flur» stehe: 1. Die Definition der Bankgeheimnisverletzung als «Offizialdelikt mit massiver Strafdrohung». 2. Die Geltung der Geheimhaltungspflicht auch bei Steuerhinterziehung. 3. Nummernkonten, die eine «besondere Aura der Diskretion» schüfen. 4. Die «restriktive Haltung» der Schweiz im internationalen Rechtshilfeverkehr.
Wie eine Bombe
Klausers Analyse widersprach diametral dem Bild, das die Bankiervereinigung regelmässig zeichnete: Das Schweizer Bankgeheimnis sei auf der Welt einfach eines von sehr vielen. Klauser stellte auch fest, das Bankgeheimnis habe, volkswirtschaftlich gesehen, nicht nur positive Wirkung für die Schweiz. Die Anziehungskraft des Finanzplatzes könne nämlich den Frankenkurs nach oben drücken, und das gefährde die Exportchancen der Industrie.
In Bankenkreisen und bei rechtsbürgerlichen Politikern schlug der in vielen Medien zitierte NZZ-Artikel wie eine Bombe ein. Man nahm zu Recht an, dass er mit Zustimmung von SNB-Chef Fritz Leutwyler publiziert wurde. Leutwyler selbst hatte in der Vergangenheit diskret vor einem grenzenlosen Wachstum des Finanzplatzes gewarnt. Mit diesem Artikel wurde eine bedeutende Meinungsverschiedenheit zwischen Geschäftsbanken und Nationalbank öffentlich.
Freisinn: «Falsche Vorstellungen»
In den folgenden Wochen bemühten sich Spitzenleute der Bankiervereinigung und von Grossbanken mit Repliken in allen möglichen Zeitungen und Zeitschriften um Schadensbegrenzung. Grundtenor: Die Schweiz stehe mit ihrem Bankgeheimnis bei weitem nicht allein. Eine freisinnige Interpellation mit fünfzig Unterschriften forderte den Bundesrat auf, «auch im Interesse des Ansehens unseres Landes die vielfach falschen Vorstellungen vom Bankgeheimnis zu korrigieren».
Aus Bankenkreisen wurde die Entfernung Klausers aus dem Rechtsdienst der SNB gefordert. Doch Leutwyler stand zu seinem Mitarbeiter und beförderte ihn fünf Jahre später zum Chef des Rechtsdiensts der Nationalbank.
Wenige Monate später setzte eine Affäre die Diskussion ums Bankgeheimnis erneut unter Strom. Es ging um Milliardenschiebereien der Kreditanstalts-Filiale Chiasso, und zum ersten Mal bekam dabei eine breite Öffentlichkeit im In- und Ausland Einblick in umfangreiche, über Jahre dauernde Missbrauchspraktiken mit aktiver Beihilfe zur Steuerflucht vor allem aus Italien. Das warf so hohe Wellen, weil Direktoren einer Respekt gewohnten Grossbank die Verantwortung für die Gaunereien trugen.
Jetzt schritt die bisher brave Linke sofort zur Vorbereitung einer Volksinitiative. Das Bankgeheimnis sollte eingeschränkt werden – im Interesse der Steuergerechtigkeit im Inland und mit dem Ziel, Drogenkriminalität, Geldwäsche und den Transfer von Geldern aus armen Drittweltländern in die Schweiz zu verhindern. Politischer Initiator war SP-Nationalrat Helmut Hubacher. Die Hauptarbeit leistete der damalige Leiter der Entwicklungsorganisation «Erklärung von Bern», Rudolf Strahm, der später Zentralsekretär der SPS, Nationalrat und Preisüberwacher wurde und in der heutigen Debatte zu den wenigen fachkundigen politischen Köpfen zählt.
Verletzlicher geworden
Per 1. Juli vereinbarten Banken und Nationalbank freiwillige Sorgfaltspflichten der Finanzinstitute bei der Entgegennahme von Geldern. Mit internen Sanktionsdrohungen sollte erreicht werden, dass alle Banken die Identität von Kontoinhabern einwandfrei prüfen. Mit der Vereinbarung wollte die Bankiervereinigung vor allem auch eine drohende gesetzliche Regelung verhindern.
Die Achtzigerjahre brachten nochmals eine Verschärfung der Konfrontation, im Inland wie im Ausland. In den USA stiegen Schweizer Banken immer mehr in den Wertpapierhandel ein. Damit wurden sie verletzlicher für amerikanische Sanktionsdrohungen. Im Vordergrund stand für die USA zunächst die Rechtshilfe bei Insiderdelikten an der Börse, die damals in der Schweiz nicht strafbar waren. Ein Beispiel, das heute wieder brandaktuell erscheint: 1981 verlangte die US-Finanzaufsichtsbehörde (SEC) von der Banca della Svizzera Italiana (BSI) Konteneinsicht im Fall von Millionengewinnen aus einer Firmenübernahme. Sie setzte eine Frist von zehn Tagen. Pro Verspätungstag wurde eine Busse von 50 000 Dollar angedroht, zudem der Ausschluss vom Handel an US-Börsen, die Blockierung sämtlicher Vermögenswerte der Bank und nach zwanzig Tagen ein Verbot aller Geschäfte in den USA.
Die BSI lieferte die Informationen. Und zwar – anders als heute im Fall UBS – ohne sichtbare Mithilfe der Schweizer Bankenaufsicht. Um den Imageschaden fürs Bankgeheimnis zu minimieren, erklärte die Bank, der Kunde habe zugestimmt. Die NZZ berichtete, die SEC sei «höchst erfreut, dass sie die BSI dazu zwingen konnte, zu kooperieren». Sie sehe «eine bedeutende Präzedenz für andere Fälle».
NZZ: «Ventil weiter öffnen»
Die damals noch sehr einflussreiche NZZ machte konkrete Vorschläge, über deren Aktualität man heute gleichfalls staunt: Ziel müsste es sein, das Bankgeheimnis «im Lichte der Erfahrung zu überdenken». Ein Beharren auf dem Status quo bringe keine Lösung. Auch eine Verschärfung der Vereinbarung über die Sorgfaltspflichten nicht. Eine Revision des Bankgeheimnisartikels stiesse aber auf schwer überwindbare Tabus; es gelte deshalb, «das Ventil der Rechtshilfe weiter zu öffnen, wenn das Bankgeheimnis nicht ein Streitobjekt bleiben soll, das je länger, je mehr auf dem Schweizer Finanzplatz lastet».
Bankenkreise führten in dieser Zeit einen beinharten Kampf gegen die Bankeninitiative. Überall erschienen Artikel von Bankiers, die das Bankgeheimnis als legitimes Schutzinstrument für Bürger und als Garant des Schweizer Wohlstands priesen. Eine führende Rolle spielte Rainer Gut, Präsident der Kreditanstalt, der die Initiative als marxistisches Manöver bezeichnete und zum Thema Steuerhinterziehung den Satz formulierte: «Als mündiger Bürger meldet bei uns jeder sein Einkommen dem Staat.» Auch im Detaillisten-Heftli «Pro» fand sich ein Text der Gegner, der den Bürgernutzen des Bankgeheimnisses so erklärte: Es erlaube der Ehefrau eines verschwendungssüchtigen Manns, das Familieneinkommen zu schützen.
Für die Bankeninitiative machte sich eine breite Koalition von Vereinigungen und Parteien stark. Die Volksabstimmung vom Mai 1984 war dann mit nur 27 Prozent Ja ein Riesenschock für die Linke. Und ein nachhaltiger Rückschlag für jene Bürgerliche, die das Bankgeheimnis differenziert öffnen wollten. Die Bankiervereinigung andererseits stützt ihre harte Haltung heute noch auf dieses Volksvotum.
Zweite Front: OECD
Ab 1985 sah sich die Schweiz an einer zweiten Front mit scharfer Kritik konfrontiert. Einen ersten Anlauf der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa (OECD), ihren Mitgliedern Rechtshilfe auch für Steuerhinterziehung zu empfehlen, konnte die Schweiz noch verhindern. 1986 wurden die Regeln aber doch genehmigt. Seither haben OECD-Gremien wiederholt gegen unlauteren Steuerwettbewerb argumentiert.
Bis heute bewegte sich die Schweiz unter dem Druck der USA nach der Doktrin: «So weit wie unbedingt nötig, so wenig wie möglich». 1983 erlaubte das neue Rechtshilfegesetz eine erleichterte Aufhebung des Bankgeheimnisses in Fällen von organisiertem Verbrechen. 1988 stellte Artikel 161 des Strafgesetzes die Verwendung von Insiderwissen bei Börsengeschäften unter Strafe und ermöglichte so Rechtshilfe für Fälle im Ausland. Seit 1998 legt ein Geldwäschereigesetz für diesen Bereich spezielle Sorgfaltspflichten und Rechtshilfe fest. Ebenfalls seit 1998 gilt das neue Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA, das Rechtshilfe bei Betrugs- «und ähnlichen Fällen» vorsieht. Bis zur spektakulären Datenlieferung im Fall UBS hat die Schweiz diese schwammige Formel im Unterschied zur weiten amerikanischen Rechtsauffassung stets so eng interpretiert, dass Hinterziehung ohne Dokumentenfälschung nicht unter die Informationspflicht fällt.
2001 legten die USA im Kampf gegen Steuerhinterziehung einen Zacken zu. Schweizer Banken, die in den USA geschäften wollen, sind seither gezwungen, sogenannte Qualified-Intermediary-Abkommen abzuschliessen. Sie verpflichten sich, die Identität von Empfängern von Zinsen auf US-Wertpapieren, die in den USA wohnen, bekannt zu geben. Das ist eine teilweise Aufhebung des Bankgeheimnisses.
Die Holocaust-Debatte
In den Neunzigerjahren wurde die Schweiz zum zweiten Mal von der Nazizeit eingeholt. Jüdische Organisationen, die US-Regierung und Erben von Holocaust-Opfern mit rabiater Unterstützung von Anwälten bezeichneten die 10 Millionen Franken, die 1961 ausbezahlt worden waren, als völlig ungenügend. Schweizer Banken mauerten erneut gegen Versuche, das Bankgeheimnis jener Zeit zu öffnen. Mit möglichen Sanktionen von Seiten der USA konfrontiert, willigten Schweizer Finanzinstitute schliesslich in eine Globalzahlung von 1,5 Milliarden Dollar ein. Im Juli 1997 traf der damalige Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfman, mit einer Aussage die blank liegenden Nerven in diesem Land: «Wir werden das Schweizer Bankgeheimnis fallen sehen, wenn die Banken die Namen der 20 000 nachrichtenlosen Konten publizieren.»
In die Kritik geriet die Schweiz in dieser Zeit auch an einer Anti-Korruptions-Konferenz. Am 7. November 1997 berichtete der «Tages-Anzeiger», der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara habe in kleinem Kreis erklärt, das Schweizer Bankgeheimnis sei «ein Weltproblem».
Bei wachsenden Milliardengewinnen der Grossbanken war das Bankgeheimnis in den letzten Jahren innenpolitisch praktisch kein Thema mehr. Als der Privatbankier Hans W. Bär 2004 in seinen Memoiren erklärte, das Bankgeheimnis mache «fett, aber impotent», und die Unterscheidung zwischen straffreier Hinterziehung und Steuerbetrug sei unethisch, wischte das die Branche als Nestbeschmutzung vom Tisch.
Dritte Front: EU
In den Verhandlungen über die zweite Staffel der bilateralen Verträge sah sich die Schweiz plötzlich auch von der EU herausgefordert. Die 2004 abgeschlossenen Abkommen über Betrugsbekämpfung und den Beitritt der Schweiz zum Schengenverbund sehen erweiterte Rechtshilfe vor. Im Bereich der direkten Steuern aber noch immer nur in Betrugsfällen. Die NZZ titelte: «Bankgeheimnis im Kern gesichert».
Stolz war der Bundesrat auf das Zinsbesteuerungsabkommen von 2005. Die Schweiz verpflichtet sich darin, auf Kapitalzinsen von EU-Bürgern eine Quellensteuer zu erheben und den Heimatländern einen Teil zu überlassen. Damit schienen viel weiter gehende Forderungen nach einem Austausch von Bankdaten längerfristig vom Tisch. Seither trommelte die Schweiz den Slogan: «Das Bankgeheimnis ist nicht verhandelbar.»
Im letzten Moment geliefert
2008 spitzte sich die Konfrontation plötzlich dramatisch zu. Der im Januar in Boston verhaftete Ex-UBS-Mitarbeiter Bradley Birkenfeld schloss einen Deal mit den US-Behörden und beschrieb der Justiz im Detail, wie seine Bank reiche Kunden zur Steuerhinterziehung animiert habe. Die USA verlangten Bankinformationen. Als diese Informationen in einem langwierigen Rechtshilfeverfahren nicht kamen, setzte man einen Termin auf den 18. Februar – unter Androhung von Strafen, die für die UBS lebensbedrohlich wären. Im letzten Moment lieferte die Bank die Daten. Auf Aufforderung der vom Bundesrat gedeckten Bankenaufsicht. Das sei kein Bruch des Bankgeheimnisses, verwedeln heute UBS und Schweizer Behörden: Es handle sich um Daten von Steuerbetrügern, die ohnehin ausgeliefert worden wären. In der Not hielt man sich jetzt an jene weite Interpretation des Rechtshilfeabkommens, das die USA verwenden.
«Dicke Post» sah die NZZ im Herbst 2008 auch aus der EU kommen. Im Oktober hatte der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück erklärt, die EU müsse «Steueroasen» endlich wirksam bekämpfen. Damals sah man das vielerorts noch als innerdeutsches Wahlkampfsüppchen. Europas politische Eliten rechts wie links hatten Schweizer Bankkonten immer gern genutzt; das hatte jahrzehntelang garantiert, dass die Schweiz zwar hie und da kritisiert, aber nie zum Handeln gezwungen wurde.
Inzwischen hat die EU unter der Last wachsender Schulden in der Wirtschaftskrise ihre Drohungen gegen Steuerparadiese massiv verstärkt. Das Fürstentum Liechtenstein, mit dem sich die Schweiz in Sachen Transparenz und Rechtshilfe immer positiv vergleichen konnte, hat Ende 2008 mit den USA ein Informationsabkommen in Steuersachen unterzeichnet und der EU parallele Zugeständnisse zugesichert. Es sieht ganz so aus, als ob in der unendlichen Auseinandersetzung um das Schweizer Bankgeheimnis die Methode «Mauern» ausgedient hat.
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