FAZ kritisiert Schweizer Abstimmung
Dass in der Schweiz das Volk über Kunstprojekte abstimmen könne, sei fragwürdig, meint ein deutscher Kunsthistoriker in der FAZ. Am Beispiel des Zürcher Nagelhauses kritisiert er «doppelbödige» Volksentscheide.
SVP-Plakate sind für ausländische Medien dankbare Sujets. Schäfchen-, Minarett- oder Messerstecherinserate haben schon prominente Plätze in Weltblättern erhalten. Jetzt kommt auch einem vergleichsweise harmlosen Plakat diese Ehre zu: Jenem mit einer goldenen Toilette aus dem Abstimmungskampf um das Zürcher Nagelhaus, über das die Stimmbürger dieses Wochenende entscheiden. Es prangte gestern auf der Frontseite der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) umrahmt von einem Artikel von Peter Geimer, Professor für Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin.
Geimer war zuvor als Assistent an der ETH Zürich tätig, er kennt also das Schweizer System der direkten Demokratie. Dass ein Kunstwerk öffentlich diskutiert wird und das Volk darüber bestimmen kann, befremdet ihn trotzdem. «In dieser Debatte geht es nicht einfach um ein Ja oder Nein. Die Diskussion um das Dafür oder Dagegen verdeckt die grundsätzliche Frage, ob in einem demokratischen System Kunstwerke abwählbar sein sollen», schreibt er. Dass wie beim Nagelhaus ein einzelnes Werk zur Abstimmung kommt, ist tatsächlich selten. Beim Nagelhaus ist dies insbesondere auch darum der Fall, weil es sich auch um ein Gebäude handelt.
«Kunst darf nicht kollektiv zu Fall gebracht werden»
Öfters kommt es dagegen in der Schweiz zu Volksabstimmungen über Kredite für Kulturinstitutionen, zum Beispiel dieses Wochenende in Bern die Abstimmung über die Reitschule. Ob auch dies Peter Geimer missfällt, steht in dem Artikel nicht, auch konnte er gegenüber Redaktion Tamedia keine Stellungnahme abgeben, er weilt in den Ferien. Tatsache aber ist, dass sich ausländische Beobachter immer wieder darüber wundern, dass in der Schweiz über kulturelle Belange abgestimmt wird – und ebenso wundern sie sich in der Regel über das Resultat. Das Zürcher Stimmvolk sagte Ja zu höheren Subventionen im Schauspielhaus, als das Theater wegen Christoph Marthalers angeblichem «Unterhosentheater» in den Schlagzeilen stand. Auch zum Cabaret Voltaire sagte das Volk Ja, trotz «Sex-Casting» und «Graffiti-Workshop». Auch in Bern und Basel kam es bereits zu ähnlichen Abstimmungsresultaten.
Dass Volksentscheide die Diskussion um und das Verständnis für Kunst fördern könnten, zieht Geimer nicht in Betracht: «Eine Gesellschaft, die sich darauf geeinigt hat, Kunst als integralen Teil ihrer Kultur zu akzeptieren, kann diese Akzeptanz nicht bei Bedarf aus den Angeln heben, die Arbeit von Jurys annullieren und Kunst mal durchwinken, mal im Kollektiv zu Fall bringen. Künstlerische Projekte, ganz gleich ob man sie im Einzelfall schätzt oder nicht, lassen sich nicht taxieren wie eine lokale Umgehungsstrasse oder ein Flächennutzungsplan.»
Tatsächlich gibt es in der Kunstgeschichte viele Werke, deren Bedeutung anfangs weit unterschätzt wurde. Zudem ist Kunst auch dazu da, um zu stören, um unbequem zu sein. Ist dem Volk nicht zuzutrauen, dies in der Entscheidung mit einzubeziehen? Peter Geimer meint: «Die Zürcher Eidgenossen sind an diesem Sonntag um ihre Wahlfreiheit nicht zu beneiden. Denn diese Freiheit ist doppelbödig, und die Entscheidung kann nur fragwürdig sein.»
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