Fake-Kinderpornos als Eintrittsgeld
Verdeckte Ermittler sollen künftig künstlich hergestellte kinderpornografische Abbildungen anbieten dürfen. Diese Forderung der Polizei ist umstritten.

Das Ansinnen des bernischen Kripo-Chefs klingt zunächst befremdlich: Verdeckten Ermittlern soll es künftig erlaubt sein, selber kinderpornografisches Material im Netz hochzuladen und zu tauschen. Obwohl dabei ausschliesslich rein fiktives, mit dem Computer hergestelltes Material zum Einsatz kommen soll, wirft die Forderung Fragen auf. Denn auch der Besitz und die Verbreitung von künstlich hergestellter, täuschend echt aussehender Kinderpornografie ist heute verboten – das gilt auch für die Polizei. Kripo-Chef Thomas Sollberger fordert nun eine Änderung der Schweizerischen Strafprozessordnung. Zudem möchte er, dass künftig auch das Verschicken von verbotener Pornografie beispielsweise via Whatsapp in den Katalog der Delikte aufgenommen wird, bei der verdeckt ermittelt werden darf.
Der Plan, mit Fake-Kinderpornos das Vertrauen von Pädokriminellen zu gewinnen, wirft ein Licht auf das Dilemma der Cyberpolizisten: Denn um in die geschlossenen Internetplattformen zu gelangen, verlangen die Administratoren eine sogenannte Keuschheitsprobe. Will ein verdeckter Ermittler einem Forum beitreten, muss er Bilder hochladen. «Das neue ‹Material› gilt quasi als Eintrittsgeld», sagt der Darknet-Experte und «Beobachter»-Journalist Otto Hostettler, der monatelang für ein Buch über Cyberkriminalität recherchiert hat.
Zunahme um 24 Prozent
Trotz grosser Dunkelziffer zeugen die neuesten Zahlen der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) von der Dringlichkeit des Problems: Schweizweit wurden letztes Jahr im Bereich sexuelle Handlung mit Kindern 1303 Straftaten registriert. Gegenüber dem Vorjahr entspricht dies einer Zunahme um 24 Prozent. Zwar unterscheidet die Kriminalstatistik nach wie vor nicht zwischen Delikten im virtuellen oder realen Raum. Eine solche Verschiebung sei jedoch auch bei den Sexualstraftaten «zu vermuten», so die Polizeikommandanten. «Wir müssen alles daran setzen, die schutzbedürftigsten Mitglieder unserer Gesellschaft noch besser zu schützen», sagte KKPKS-Präsident Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei Bern.
Dass die Polizei selber kinderpornografische Fotos anbieten soll, ist umstritten. «Für uns geht das auf gar keinen Fall», sagt Xenia Schlegel, Chefin der Stiftung Kinderschutz Schweiz. Obwohl bei der Herstellung von Fake-Kinderpornos keine Kinder zu Schaden kommen, lehnt Schlegel den Einsatz von solchem Material bei Ermittlungen ab: «Auch der Konsum solcher Erzeugnisse weckt bei den Konsumenten die Nachfrage.» Denn auch bei künstlichen Kinderpornos werde die Nachricht verbreitet, dass Sex mit Kindern okay sei. Wenn es der Polizei künftig erlaubt sei, solche Bilder in Umlauf zu bringen, könnte dies zudem bei den Konsumenten zur Annahme führen, dass dies gar nicht so schlimm sei. «Das ist ganz gefährlich», warnt Schlegel. Um Pädokriminalität im Internet zu bekämpfen, schlägt sie stattdessen vor, die Internetprovider in die Pflicht zu nehmen: In den USA habe man gute Erfahrungen mit entsprechenden Filtern und Meldestellen gemacht.
«Extrem fragwürdig»
Beim Chaos Computer Club kommt dieser Vorschlag weniger gut an. Man wehre sich gegen jede Art von Zensur, sagt Pressesprecher Hernâni Marques. «Auch wenn man das ganze Internet abstellte, wäre das Problemen nicht gelöst», sagt Marques. Die meisten Missbräuche fänden zudem in der Familie statt: «Für Kindesmissbrauch gibt es keine technische Lösung.» Natürlich habe niemand etwas dagegen, wenn gegen Händler und Produzenten von Kinderpornografie vorgegangen werde. Doch wenn Ermittler selber anfingen, Kinderpornos zu verbreiten, sei dies ein zweischneidiges Schwert: Zu Ende gedacht führten mehr Befugnisse der Polizei in diesem Bereich letztlich dazu, dass der Staat selber Pädophilen-Plattformen betreibe. «Das ist extrem fragwürdig», sagt Marques.
Darknet-Experte Hostettler hat hingegen durchaus Verständnis für die Forderung, künftig mit Fake-Pornos Zugang zu geschlossen Foren zu erlangen und damit Pädokriminalität zu bekämpfen. Schliesslich gehe es um den Schutz von Kindern. Trotzdem sieht er das eigentliche Problem woanders: Die Reorganisation der eidgenössischen Koordinationsstelle Internetkriminalität (Kobik). «Es ist ein offenes Geheimnnis, dass es die Kobik so, wie sie einmal funktionierte, heute de facto nicht mehr gibt.» Dort liege einiges im Argen, so Hostettler. Davon zeuge auch, dass nun wieder die Kantone bei der Cyberkriminaltät aktiver würden. «Wirklich Sinn ergibt jedoch nur eine Lösung auf Bundesebene», ist Hostettler überzeugt.
Kein strukturelles Problem
Beim Bundesamt für Polizei (Fedpol) will man von strukturellen Problemen nichts wissen. Die Zusammenarbeit mit den Kantonen laufe gut, so Sprecherin Cathy Maret. «Unsere Cybercrime-Abteilung kann die Zunahme der Fälle von Pädokriminalität gut bewältigen, indem wir wichtige Koordinationsarbeit und Unterstützung leisten.» Die Strafverfolgung wiederum falle in die Kompetenz der Kantone.
Das Interview mit Kripo-Chef Thomas Sollberger: sollberger.derbund.ch
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