«Es regnete Granaten über die Stadt»
Im Morgengrauen haben syrische Truppen mit Panzern die Oppositionshochburg Hama eingenommen. Fast 140 Menschen kamen ums Lebens.
Das syrische Regime hat nach fast einmonatiger Belagerung in der Oppositionshochburg Hama hart durchgegriffen: Kurz vor Beginn des Fastenmonats Ramadan stürmte die Armee mit Panzern die Stadt. Das blutige Vorgehen syrischer Sicherheitskräfte gegen Regimegegner hat Schätzungen von Aktivisten zufolge fast 140 Menschen das Leben gekostet. Allein in der Protesthochburg Hama seien mehr als 100 Menschen getötet worden, erklärten der Leiter der Menschenrechtsgruppe SHRL, Abdul Karim Rihawi, und der Aktivist Mustafa Osso unter Berufung auf Augenzeugen.
Ein Bewohner der 700'000-Einwohner-Stadt sagte, es lägen noch viele Leichen in den Strassen, deswegen dürften die Opferzahlen noch deutlich steigen. Beobachter sprachen von einer Eskalation des Machtkampfs zwischen Präsident Bashar al-Assad und der Bevölkerung, die seit März gegen seine Herrschaft aufbegehrt.
Auch in anderen Landesteilen liess das Regime die Waffen sprechen. Gepanzerte Armeeverbände rückten in die Ortschaft Harak in der südlichen Provinz Daraa, in die nordöstliche Stadt Deir al-Zor und in den Vorort Al-Moadamija bei Damaskus ein.
Panzer feuerten wahllos um sich
Im Morgengrauen seien die Panzer nach Hama gerollt, berichteten die Augenzeugen am Telefon. «Panzer greifen aus vier Richtungen an», sagte ein Arzt, der aus Angst vor einer Festnahme seinen Namen nicht nennen wollte. Die Panzer feuerten wahllos um sich und überrollten Barrikaden, die von den Bewohnern errichtet worden seien. Scharfschützen der Armee sollen sich auf den Dächern einiger Gebäude postiert haben. Die Strom- und Wasserversorgung wurde unterbrochen - eine Taktik, die das Militär wiederholt vor der Erstürmung von Städten angewandt hat.
«Es regnete Granaten über die Stadt, die Soldaten schossen auf alles, was sich bewegte», schilderte ein syrischer Aktivist aus Beirut die Lage. Die Truppen würden inzwischen das Spital umstellen und die Menschen daran hindern, ihre Verwundeten dorthin zu bringen. Die Berichte konnten von unabhängiger Seite nicht überprüft werden. Vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Tätigkeit können diese Quellen jedoch als glaubwürdig betrachtet werden. Das Regime in Damaskus lässt ausländische Journalisten praktisch nicht im Land arbeiten.
Neuauflage von Massaker befürchtet
Viele Menschen in Hama fürchten eine Neuauflage des Massakers von 1982. Damals unterdrückte Assads Vater und Amtsvorgänger Hafes mit Hilfe des Militärs einen Aufstand von Islamisten. Bis zu 30'000 Menschen wurden getötet, ganze Stadtviertel zerstört. Die Niederschlagung der Erhebung gilt als die gewalttätigste Episode in der syrischen Geschichte.
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan, einst einer der engsten Verbündeten Assads, hatte den syrischen Staatschef eindringlich zur Zurückhaltung ermahnt: «Wir wollen nicht noch ein Massaker von Hama erleben.» Die syrische Regierung sieht nach eigenem Bekunden «bewaffnete terroristische Gruppen» hinter den tödlichen Zwischenfällen während der Revolte.
EU plant weitere Strafmassnahmen
Die EU plane angesichts des neuerlichen Blutvergiessens, die Strafmassnahmen gegen die syrische Führung erneut auszuweiten, erklärte der deutsche Aussenminister Guido Westerwelle in Berlin. Die EU hat bislang 30 Vertreter des Regimes mit einem Einreiseverbot belegt, darunter Assad selbst. Zudem wurden deren Vermögenswerte eingefroren. Aus Hama hatten sich Assads Sicherheitskräfte vor mehreren Wochen völlig zurückgezogen. Seitdem fanden dort regelmässig stark besuchte Demonstrationen gegen das Assad-Regime statt.
An diesem Montag beginnt in den meisten arabischen Ländern, so auch in Syrien, der Fastenmonat Ramadan. Syrische Aktivisten hatten für den heiligen Monat tägliche Proteste gegen das Assad-Regime angekündigt. Bisher fanden diese vor allem freitags statt. Im Ramadan besuchen die Gläubigen oft jeden Abend ihre Moscheen. In Syrien sind diese häufig Ausgangspunkte der Proteste.
Auch US-Präsident Barack Obama zeigte sich entsetzt über die Gewaltexzesse des syrischen Regimes. «Die Berichte aus Hama sind schrecklich und sie zeigen den wahren Charakter des syrischen Regimes», sagte Obama nach Angaben des Weissen Hauses in Washington. Die USA arbeiteten mit anderen Staaten weiter daran, dass Regime von Präsident Bashar al-Assad international zu isolieren. «Ich bin entsetzt darüber, wie brutal die syrische Regierung gegen ihre eigenen Leute vorgeht», sagte der US-Präsident.
UNO verurteilt die Gewalt
UNO- Generalsekretär Ban Ki Moon hat das Vorgehen der syrischen Truppen mit Entsetzen aufgenommen. Er verurteilte die Gewalt gegen friedliche Demonstranten scharf. Der Einsatz des Militärs gegen die Zivilisten müsse sofort gestoppt werden, sagte der Koreaner in New York. Die syrischen Behörden hätten die Pflicht, die Menschenrechte zu achten - auch das Recht auf friedliche Versammlung und Meinungsfreiheit. Ban verlangte vom Regime, auf die Sorgen seines Volkes zu hören. «Die syrischen Behörden sind verantwortlich für ihr Handeln und können nach internationalem Recht für alle Gewaltakte gegen ihr Volk zur Rechenschaft gezogen werden», sagte Ban.
sda/dapd/wid, jak
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