«Es hat auch Betrug gegeben»
Der Schweizer Nationalrat Pierre-Alain Fridez beobachtete für den Europarat das Verfassungsreferendum in der Türkei. Er äussert deutliche Kritik.
Der knappe Sieg des Ja-Lagers von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist nach Ansicht von Pierre-Alain Fridez auf fragwürdige Art zustande gekommen. Nachdem schon die Bedingungen für den Abstimmungskampf alles andere als optimal gewesen seien, sei es beim Urnengang auch zu Unregelmässigkeiten gekommen. Fridez, SP-Nationalrat aus dem Jura, gehörte einer Delegation des Europarats an, die in den letzten Tagen in der Türkei weilte, um das Verfassungsreferendum zu beobachten.
Fridez selber war in Istanbul, einer Hochburg des Nein-Lagers. In den Istanbuler Abstimmungslokalen seien alle Parteien vertreten gewesen und hätten sich damit gegenseitig kontrolliert. Die Urnengänge seien ruhig verlaufen, es habe keine Hinweise auf Unregelmässigkeiten gegeben. Die Behörden Istanbuls hätten die Arbeit der internationalen Abstimmungsbeobachter nicht behindert, sagte Fridez am Montag im Gespräch mit Redaktion Tamedia. Was für Istanbul gilt, gilt aber nicht für die ganze Türkei. Fridez hat Informationen, wonach es in Anatolien und anderen Gebieten, wo die Regierungspartei AKP stark ist, zu Unregelmässigkeiten gekommen sein soll.
Stimmzettel ohne Amtssiegel ebenfalls gültig
Dabei gehts um die erst am Abstimmungsabend getroffene Entscheidung der obersten Wahlkommission, auch Stimmzettel ohne Amtssiegel gelten zu lassen. Und davon soll das Ja-Lager profitiert haben. «Dieses Vorgehen ist schon speziell», sagte Fridez. «Es hat also auch Betrug gegeben.» Über das Ausmass solcher Unregelmässigkeiten konnte er keine Angaben machen. Die beiden grössten Oppositionsparteien CHP und HDP beklagten solche Unregelmässigkeiten und forderten eine Neuauszählung eines Teils der Stimmen. Gleichzeitig verlangten Oppositionspolitiker eine Annullierung des Referendums. Europaratsmitglied Fridez geht davon aus, dass Beschwerden gegen das Abstimmungsergebnis keinen Erfolg haben werden. Das Regierungslager habe schon im Abstimmungskampf dafür gesorgt, dass die Erdogan-Reform durchkommen wird.

«Die Bedingungen für einen fairen Abstimmungskampf waren nicht gegeben», erklärte Fridez. Die Türkei befinde sich in einem Ausnahmezustand. Oppositionelle und Journalisten sässen im Gefängnis. Erdogans Machtapparat habe alles getan, um den Referendumssieg zu erringen. «Uns hat verblüfft, dass das öffentliche Fernsehen fast ausnahmslos zugunsten des Ja-Lagers berichtete.» Erdogans Seite habe auch deutlich mehr finanzielle Mittel im Abstimmungskampf zur Verfügung gehabt.
Als weiteres grosses Problem bezeichnet Fridez den Umstand, dass andauernde Kämpfe in kurdischen Gebieten im Südosten des Landes Hunderttausende Menschen an der Stimmabgabe gehindert hätten. «Das alles ist gravierend angesichts der Knappheit des Abstimmungsergebnisses», betont der Nationalrat aus dem Jura.
Europarat könnte Türkei unter Beobachtung stellen
Der Europarat, der zwei Dutzend Mitglieder als Abstimmungsbeobachter in die Türkei entsandt hatte, wird in der kommenden Woche zu seiner Frühlingssession in Strassburg zusammenkommen. Auf der Traktandenliste steht auch die Türkei. Dabei wird das sogenannte Monitoring-Komitee entscheiden müssen, ob die Türkei unter Beobachtung gestellt werden soll. Die Türkei ist seit 1949 Mitglied des Europarats, das gemäss seiner Satzung für Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie einsteht. Der Türkei werde es missfallen, wenn sie unter Beobachtung des Europarats gestellt werde, sagte Fridez. Dies sei aber notwendig angesichts der Entwicklungen in der Türkei.
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