Warum gewisse Helden toxisch sind«Eine gewaltvolle Tat macht ihn zum Mann»
Die Berner Regisseurin Nora Steiner durchleuchtet für ein Theaterprojekt den Heldenmythos von Perseus. Und sagt, wie sich unsere Gesellschaft entgiften liesse.

Nora Steiner, für Ihr Theaterprojekt «Perseus, der Mann» untersuchten Sie, wie unsere Gesellschaft toxische Männlichkeit hervorbringt – also eine dominante, oft auch gewalttätige Verhaltensweise. Kurz umrissen: Wo liegt das Problem?
Das Problem, dem ich zusammen mit meiner Gruppe nachgehe, ist, dass toxische Männlichkeit nicht nur die Öffentlichkeit betrifft, sondern auch im Privaten sichtbar wird – aber sehr subtil. Wir wollen zeigen, dass gesellschaftliche Strukturen unser persönliches Verhalten etwa in intimen Beziehungen massiv prägen. Dies den Leuten bewusst zu machen, ist extrem anspruchsvoll.
Welche Rolle spielen Figuren der griechischen Mythologie wie Perseus, wenn es um Männerbilder geht?
Es sind Heldengeschichten, die wieder und wieder erzählt wurden – und immer noch erzählt werden. Sie zementieren oft unbewusst ein Bild von toxischer Männlichkeit. Dabei wird selten reflektiert, warum alle Helden Männer sind oder warum Männer meistens Monster umbringen müssen. Bei Perseus ist es Medusa, eine weiblich gelesene Figur und ein Opfer von massivem Victim Blaming, also der Täter-Opfer-Umkehr.
«Es steckt so viel Ungerechtigkeit in der Geschichte von Perseus, dass es sich anbietet, sie zu dekonstruieren.»
Inwiefern?
Sie wurde vergewaltigt und zur Strafe von Athene in ein Monster verwandelt. Und Perseus muss jetzt quasi die Welt retten vor der bösen Medusa, die Menschen mit ihrem Blick in Stein verwandeln kann. Es steckt so viel Ungerechtigkeit in dieser Geschichte, dass es sich anbietet, sie zu dekonstruieren.
Wir sind so beeindruckt von Perseus’ Heldentat, dass wir uns gar nicht fragen, was eigentlich Medusas Schicksal ist?
Genau. Und erst eine gewaltvolle Tat macht Perseus letztlich zum Helden und darum zum Mann.
Was ist denn heute noch männlich?
Ich denke, es geht darum, aufzuzeigen, dass Kategorien wie männlich und weiblich ein Konstrukt sind – und deshalb veränderbar. Und auch darum, neue Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit und allem dazwischen zu zeichnen.
Wie könnten solche neuen Geschlechterbilder aussehen?
Man sollte von diesem Reproduzieren der Kategorien Mann und Frau wegkommen, denen ganz klare Verhaltensweisen zugeschrieben werden und bei denen alle Menschen, die diesem Bild nicht entsprechen, marginalisiert oder unterdrückt werden. Es geht stark um eine Öffnung.
Geschlechterkategorien sollten sich also auflösen?
Da gibt es sehr viele unterschiedliche Meinungen in der Queer-Community. Manche finden, die Kategorien sollten sich auflösen, anderen ist es wichtig, ein Gender zu haben – einfach eines, das sie auch wollen.
Wie lässt sich das männliche Rollenverständnis im Alltag entgiften?
Ich denke, übers Zuhören und den Versuch, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und sie ernst zu nehmen. Und auch, indem man ihnen Raum lässt und nicht aus Angst vor dem eigenen Machtverlust in dieses dominante, toxische oder hegemoniale Verhalten zurückfällt.
«Uns war wichtig, das Theater inklusiver zu gestalten.»
Zurück zu Ihrer Inszenierung: Darin stehen 14 Personen auf der Bühne. Warum so viele?
Es ist eine Koproduktion der Gruppen Edith Theateremulsion und Projekt 210, ein Laientheaterverein. Dieser hat mich angefragt, ob ich mit ihnen ein Stück realisiere, und ich wollte möglichst vielen Leuten Platz zum Spielen geben. Gleichzeitig ist es ein chorisches Stück: Der Chor als Gesellschaft beeinflusst auf der Bühne das individuelle Handeln. Es geht um die Fragen: Wie fest muss ich mich gegen das Kollektiv stellen, um Veränderung zu bewirken? Und wie wird eine Welt von Menschen konstruiert?
Sie bieten neben einer Vorstellung mit Übersetzung in Gebärdensprache auch eine taktile Einführung an. Wie muss man sich das vorstellen?
Die taktile Einführung gibt es zusammen mit der Audiodeskription. Sie ist eine Möglichkeit für blinde oder sehbehinderte Menschen, vor der Aufführung auf die Bühne geführt zu werden, wo sie das Bühnenbild ertasten können. Uns war wichtig, eine Barrierearmut von Anfang an mitzudenken, Zugänglichkeit zu ermöglichen und das Theater dadurch inklusiver zu gestalten. Es ist längst überfällig, dass sich freie Theatergruppen für kulturelle Teilhabe einsetzen, und wir wollen zeigen, dass es möglich ist.
«Perseus, der Mann» läuft im Tojo-Theater der Reitschule Bern, 6.4. bis 15.4.
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