Ernsthafte Ironie
Das Berner Sinfonieorchester präsentierte mit Werken von Bernstein, Barber und Schostakowitsch sein drittes Symphoniekonzert dieser Saison: mit staunenswerter Hingabe.

Wenn man im Voraus einen Blick auf das Programm geworfen hatte, dann schien die Dramaturgie klar: Von Leonard Bernsteins unverstellt fröhlich-schwärmerischer «Candide»-Ouvertüre würde der Abend seinen Ausgang nehmen, und mit der ironisch verschlüsselten, falschen Jubel vorschützenden fünften Sinfonie von Dimitri Schostakowitsch würde er enden. Bernstein komponierte «Candide» schliesslich als Broadway-Musical, während sich Schostakowitsch mit seiner Fünften – zumindest äusserlich – dem in der Sowjetunion vorgeschriebenen Geschmack anpassen und den Vorwurf entkräften musste, seine Musik sei verworren und staatsfeindlich. Doch im Lauf des Abends machte das Berner Symphonieorchester deutlich, dass damit die Möglichkeiten, diese Stücke zu interpretieren, keineswegs erschöpft sind.
Spuren einer politischen Hetze
Die ursprünglich als Dirigentin vorgesehene Xian Zhang war aus gesundheitlichen Gründen verhindert, als Ersatz konnte – erst kurz vor der Generalprobe – Michael Sanderling gewonnen werden. Der Chefdirigent der Dresdner Philharmonie hatte mit dem BSO in diesem Frühjahr bereits Mahlers sechste Sinfonie gespielt.
In der «Candide»-Ouvertüre brachte er die Kontraste klar zum Ausdruck, die sowohl in den abrupten dynamischen Steigerungen als auch in der Orchestrierung des Werks angelegt sind. Die hinreissende Sextenmelodie in der Mitte bekam nur wenig Raum, um sich zu entfalten, und die Betonung des sprunghaften, hektischen Elements brachte etwas Hysterisches inmitten aller Verspieltheit der Schlusssteigerung zutage. Die Interpretation eröffnete den Blick darauf, dass auch die «Candide»-Ouvertüre in einem politisch aufgeheizten Klima entstanden ist – nämlich in der McCarthy-Ära, als in den USA vermeintliche Kommunisten verfolgt wurden. Bernstein war selber betroffen, und auch die Handlung seines Musicals spielt darauf an.
Das Einfache zeigt das Erzwungene
Über die Hingabe und die Genauigkeit, mit der Sanderling und das BSO dann trotz verminderter gemeinsamer Probezeit Schostakowitschs fünfte Sinfonie darboten, konnte man nur staunen. Das Streicherpianissimo, etwa im Largo, war kaum vernehmlich und dennoch atmend gleichmässig. Die vielstimmigen Verläufe waren stets klar durchhörbar, die Tempi trotz anfänglicher Gelassenheit zielstrebig und linear. Vor
diesem Hintergrund wirkte der traditionellere Stil der Sinfonie weniger ironisiert als ernst genommen – übersichtlich, direkt und zupackend. Die Akzentuierung der scheinbaren Einfachheit dieser Musik, so könnte man diskutieren, beleuchtete damit erst recht das Erzwungene an ihr.
Vor der Pause interpretierte Christian Poltéra das Cellokonzert von Samuel Barber. Souverän bot er die vertrackten rhythmischen Verläufe des hoch virtuosen Soloparts, beschenkte das Publikum zusätzlich aber auch noch mit einer berührend stillen Wiedergabe der Sarabande aus J. S. Bachs G-Dur-Cellosuite.
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