Der PollerErdmanns Zimmerpflanze
«Poller»-Kolumnist Martin Erdmann hat sich aus Ideenlosigkeit eine Pflanze gekauft. Ihre Überlebenschancen sind ungewiss.

Die Zeit drängt. Die Lage ist ernst. In wenigen Stunden ist Deadline. Bis dann muss diese Kolumne fertig sein. Das Problem: Ich habe keine Ahnung, worüber ich schreiben soll. Es ist nicht meine Schuld. Es ist wegen der Pandemie. Wenn das öffentliche Leben ruht, widerfährt mir nicht viel, worüber ich an dieser Stelle berichten kann. Und es kommt noch schlimmer. Durch meine Ideenlosigkeit droht sich der Feierabend der Abendredaktion schmerzlich nach hinten zu verschieben. Je länger ich kein Thema finde, desto später ist die Kolumne fertig. Desto später durchläuft sie die Qualitätskontrolle, wo darüber entschieden wird, ob der Text der Leserschaft zugemutet werden kann oder ich entlassen werden muss. Desto später befreit das Korrektorat die Kolumne von all den orthografischen Sünden, die ich begangen habe. Und erst recht viel später kann das fertige Produkt in das Zeitungslayout eingefüllt werden.
Kurz: Das Schicksal meiner Kolleginnen und Kollegen liegt in meinen Händen. Das fordert drastische Massnahmen. Also habe ich mich dazu entschlossen, das Verrückteste zu tun, was die momentane Situation zulässt: Ich ging eine Zimmerpflanze kaufen. Wenn es mir nicht gelingen wird, aus diesem Erlebnis 3200 Zeichen herauszupressen, wird es für die Abendredaktion ein langer Arbeitstag. Ich habe keine Ahnung von Pflanzen. Das wurde mir bewusst, kurz nachdem ich ein Blumengeschäft im Breitenrain betreten hatte. Mir wurden Fragen gestellt, über die ich mir bis dahin nie Gedanken gemacht hatte. Es ging um Lichtverhältnisse, Zimmertemperatur, Ausrichtung der Einrichtungsgegenstände und Zeit, die ich in die Pflanze investieren will. Leichte Panik stieg in mir hoch. Mir war nicht bewusst, dass ich mich durch den Kauf einer Zimmerpflanze von meinem bisherigen Leben verabschieden muss.
Blumenläden sind so eine Art botanische Viehschau. Allerlei Pflanzen stehen für die fachkundige Begutachtung bereit. Meine Expertise: Die meisten von ihnen haben grüne Blätter. Es gibt aber auch solche, deren Blätter farbig sind. Die brauchen aber viel Licht. Weil ich nicht so genau weiss, ob meine Wohnbegebenheiten über viel Licht im botanischen Sinne verfügen, habe ich mich für etwas entschieden, was im Schatten nicht gleich umkippt. Sobald mir die Verkäuferin den Namen der Pflanze gesagt hatte, vergass ich ihn wieder. Auch, was ich tun muss, damit sie nicht stirbt, ist mir sofort entglitten. Schliesslich war es mein erster Pflanzenkauf, und es war mir nicht möglich, die nötige Geistesgegenwart aufzubringen, die dieses Ereignis mir abverlangt hätte.
Diese Überforderung wurde zu Hause noch grösser. Ich konnte es kaum glauben, dass mir gänzlich ohne Background-Check die Verantwortung über ein heranwachsendes Lebewesen übergeben wurde. Die Pflanze steht hier nun auf einem Tisch, und ich weiss nicht so recht, was ich mit ihr anfangen soll. Gibt es eine Art Heim, wo ich sie abgeben könnte, falls ich merke, dass ich ihr Überleben nicht garantieren kann? Oder setze ich sie dann einfach an einer Autobahnraststätte aus, wie man es mit handelsüblichen Haustieren macht? Vielleicht reisse ich mich aber auch zusammen und bewahre sie von einem baldigen Ende. Schliesslich hat sie mir nun dabei geholfen, diese Kolumne rechtzeitig abzugeben.
Der «Bund»-Redaktor fragt sich, ob er die 50 Franken, die er für die Pflanze bezahlt hat, als Spesen verrechnen kann.
Fehler gefunden?Jetzt melden.