Er war der Kumpel des Schweizervolks
In die Geschichte wird Polo Hofer als Erfinder des Mundartrock eingehen, doch er war so viel mehr – ein Nachruf.
Man solle ein Gebet auf ihn singen, wenn er gegangen sei. Mit dieser Aufforderung endet das letzte Album «Ändspurt» von Polo Hofer, das im Januar 2016 erschienen ist. Wie dieses letzte Gebet klingen solle, davon hatte der Erfinder des Mundartrocks auch schon klare Vorstellungen: «Es soll eine gewisse Lebensfreude aufweisen», erklärte er in einem Interview mit dieser Zeitung, er könnte sich einen feierlichen Gospel vorstellen. Nun ist also die Zeit gekommen für dieses letzte Gebet. Am Samstag ist Polo Hofer gestorben, «zfriede deheime ygschlafe», wie es in einer Todesanzeige heisst.
Es ist ein Tod, der niemanden wirklich überrascht. Es gab in der letzten Zeit viele Anstrengungen von oben, den Mann aus dem Leben zu reissen: Herzprobleme, Bauchspeicheldrüsenentzündungen, Diabetes, Stimmbandtumor, Schwächeanfälle.
Er trotzte allem mit Berner Oberländischer Zähigkeit. Und mit seinem knurrigen Humor. Er habe mittlerweile drei Ärzte, pflegte er zu erzählen, «einen fürs Herz, einen für die Stimme und einen fürs Allgemeinwohl». Alle würden auf ihn einreden, er solle mit dem Trinken aufhören. Doch lieber, als 87 zu werden, geniesse er sein Leben. Ein Genuss, das war das Leben des Urs Polo Hofer nicht immer.
Er hat die ganze Topografie des Daseins durchwandert. Aber es war ein Triumph. Ein Triumph im geografischen Mikrokosmos der Deutschschweiz (ohne Zürich, wo Polo Hofer stets einen schweren Stand hatte).
Anfänge mit Tücken
Dabei begann alles ganz unverdächtig. Aufgewachsen ist Polo Hofer, Jahrgang 1945, in Interlaken, diesem «weltoffenen Berglerdorf» wie er es einmal nannte. Sein Schulenglisch perfektionierte er im Gespräch mit den Touristen. Er absolvierte eine Lehre als Handlithograf in Meiringen, aus dieser Zeit wird auch von ersten Pfadi-Auftritten als Louis-Armstrong-Imitator berichtet.
Die Eltern führten einen Damenbekleidungsladen in Interlaken und waren eher unmusikalisch. Als Klein-Polo seiner Mutter eröffnete, er wolle Musiker werden, wenn er erwachsen sei, antwortete diese knapp: «Musiker und erwachsen, das geht beides zusammen nicht.» Sein Vater liess Polo Hofer von der Bühne weg verhaften, als er ihn in der Band einer Striptease-Bar entdeckte. Sie sprachen danach zehn Jahre kein Wort mehr miteinander.

Das Militär musterte den Artillerie-Übermittlungssoldaten Hofer bald aus – er sei als «neurotischer Sonderling» auffällig geworden, so die Begründung. 1968 gründete er die Band Polo's Pop Pales. Er war ihr singender Schlagzeuger, und das erklärte Ziel der Dancing Band war es, weltberühmt zu werden und möglichst viele Groupies abzuräumen.
Vorbild dafür waren die Dorados, welche in dieser Zeit das grosse Geld machten und sich mit den schönsten Frauen ablichten liessen. Polos Band tingelte durch die ganze Schweiz und brachte es immerhin auf einige Auftritte in Deutschland und einen in Paris, doch die honorigen Dancings lehnten sie ab.
Erleuchtung im Gefängnis
1969 sass Polo Hofer für einen Monat im Gefängnis von Witzwil. Haftgrund: «Sachentziehung». Er hatte ein Schlagzeug und eine Orgel verkauft, die ihm ein Kollege zur Aufbewahrung überlassen hatte. Witzwil könnte man denn auch als Geburtsstätte des Berner Rocks bezeichnen. Dort kam Polo beim Zwiebelsetzen die Idee, auf Berndeutsch zu texten. Ab 1970 begann er diese Idee, die später seinen ganzen Ruhm ausmachen sollte, mit seiner neuen Band Rumpelstilz in Bern umzusetzen.
Ein Jahr darauf gründete er die Partei Härdlütli und posierte nackt auf deren Flugblatt. Die Partei hielt mit einem Sitz im Berner Stadtrat Einzug, zum damals reichlich revolutionären Parteiprogramm gehörten Forderungen wie: Abschaffung des motorisierten Privatverkehrs in der Berner Innenstadt, mehr Kinderkrippen, mehr Kunst und Künstler in Bern und die Errichtung von Eros-Centern für Senioren.
Die Geburt des Mundartrock
Immer wieder in seiner Musikerkarriere hat Polo Hofer gewerweisst, was wohl gewesen wäre, wäre er nicht in Interlaken, sondern in New York oder London auf die Welt gekommen. Wir werden es nie erfahren. Was wir wissen, ist, dass der Mundartrock vermutlich mit einigen Jahren Verzögerung erfunden worden wäre, und es wäre ihm weit weniger Erfolg vergönnt gewesen.
Matthias Kohli von der Gruppe Span beschrieb die Zeit in den frühen Siebzigerjahren einst folgendermassen: «Ich hatte das Schaffen von Polo Hofer schon länger verfolgt. Irgendwann spielte er im Gaskessel und hatte neben Songs von Santana auch drei berndeutsche Lieder im Repertoire. Das hat mir sehr imponiert.» Die Geburt des Mundartrocks wurde 1973 mit der wenig erfolgreichen Single «Warehuus Blues» der Rumpelstilz besiegelt.
Dem Hippierock der damaligen Zeit einen regionalen Anstrich zu verpassen, war freilich kein helvetisches, sondern ein europäisches Phänomen. In Deutschland begann ein gewisser Udo Lindenberg 1973 auf Deutsch zu singen, in Österreich waren Figuren wie Wolfgang Ambros oder Georg Danzer federführend.
In der Schweiz stiess die Musik von Rumpelstilz auf besonders fruchtbaren Boden. Man hatte genug von den Blödeleien eines Trio Eugster, von dieser «synthetischen Folklore», wie es Polo Hofer damals nannte. Rumpelstilz waren frisch, frech und furchtlos. Und sie waren auf gefährliche Weise unberechenbar.
«Alperose» war sein grösster Hit. (Video: Tamedia mit Material von SRF und 20 Minuten)
Hört man sich ihre frühen Alben an, dann kommt man der musikalischen Anziehungskraft des Polo Hofer am ehesten auf die Spur. Schöne Details sind da zu hören: Snare-Drum auf dem linken Kanal statt in der Mitte, psychedelische Effekte auf der Stimme, ein Schifer Schafer, der die tonalen Möglichkeiten der Stromgitarre auslotet, Tonmeister Eric Merz in exzessiver Experimentierlaune.
Man hat damals Wert gelegt auf ein eigenständiges, kontemporäres Sound-Bild. Man hat den Zeitgeist getroffen und ihn auf Berndeutsch übersetzt. «Potburri» auf dem 1975er-Album «Vogelfuetter», das ist Artrock-Mundart-Jazz, der noch heute das Bewusstsein erweitert. Und es erstaunt nicht, dass die Gruppe im selben Jahr ans Montreux Jazz Festival geladen wurde, das damals noch ein einigermassen reines Jazzfestival war.
Und Polo Hofer war angriffig, er mischte sich auch immer wieder ins politische Tagesgeschehen ein. 1977 zum Beispiel, als die Idee aufkam, die Militärmusik der Schweizer Armee wegzusparen, meldete sich Polo Hofer engagiert in der «Schweizer Illustrierten» zu Wort: «Ich finde es einen Horror, dass man eine Vernichtungsmaschinerie mit Musik verschönert.»
Mit Bierflaschen beworfen
Doch wie das so ist mit den Moden der Zeit: In den Achtzigerjahren wurde aus dem kämpferischen Hippie ein Feindbild der Punks und der Anarchos. Polo Hofer war für sie der behäbige ältere Herr, der mit vermeintlich gesellschaftskritischen Texten das grosse Geld machte (in Wirklichkeit konnte Polo Hofer erst ab 1982 von der Musik leben). Ein leicht ungeschickt formuliertes Statement zur Todesstrafe genügte, und schon flogen ihm am Gurtenfestival 1981 die Bierflaschen um die Ohren.
Eine Ablehnung, die Polo Hofer sehr getroffen hat. Er machte unverdrossen weiter. Doch auch wenn er circa alle vier Jahre seine Band auswechselte – «damit es mir und dem Publikum nicht langweilig wird», wie er sagte – den Zeitgeist traf Polo Hofer nie mehr. Irgendwann muss auch das Interesse an den Möglichkeiten des Klangs verloren gegangen sein. Polo hat es sich gemütlich gemacht in einer Rock-'n'-Roll-1.0-Schunkeligkeit, der er bis zu seinem Karriereende treu geblieben ist.
Zwischendurch wurde ein sonniger Reggae eingestreut, und auch der gute alte Blues war eine Art Evergreen im Polo-Hofer-Universum. Damit ist er zwar zum nationalen Alpenrock-Doyen mit 1,5 Millionen verkauften Tonträgereinheiten geworden, die künstlerische Brisanz kam ihm allerdings abhanden.
Hymnen für die Ewigkeit
Auch originell war seine Musik irgendwann nicht mehr, doch das waren Hymnen noch nie. Von denen hat Polo Hofer in seinen über 50 Entertainment-Jahren bekanntlich einige in die Welt gesetzt. Oder er hat sie aus der Welt gepflückt und für den Heimmarkt zurechtgeorgelt. Das «Meitschi vom Wyssebüehl» hat er zum Beispiel aus Tom Waits «Jersey Girl» geschnitzt, den «Kiosk» hat er bei Little Feats «Dixie Chicken» abgeguckt, auch Bob Dylan ist ihm öfter als Ideengeber erschienen. Und für seinen bekanntesten Hit «Alperose» hat er sich im Liedkatalog seines Kollegen Hanery Ammann umgesehen.
Polo Hofer vertrat stets die Meinung, dass dies in Ordnung gehe: «Alle Popmusik funktioniert so. Es gibt nichts wirklich Neues. Auch der grosse Bob Dylan hat viel Traditionelles übernommen», sagte er, als er sich mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert sah.
Hofers allerletzter Auftritt war diese TV-Aufzeichnung aus dem El Lokal in Zürich fürs SRF zum 75. Geburtstag von Bob Dylan. (Video: Youtube/SRF/Jam Burger)
So sehr die Moden auch änderten, eines ist geblieben. Die Treue seiner Fans. Das hat Polo Hofer mit einem fast schon fulminanten und generationenübergreifenden Rollenmix bewerkstelligt. Er war Kühlerfigur der Hippies, «Schweizer des Jahres» für die Fernsehsesselschweiz, er war Philosoph und Clown, König der Kiffer, Übervater der zweiten und dritten Mundartrockgeneration, Bürgerschreck der Anständigen. Und irgendwie schaffte er es, trotz all seiner Widersprüchlichkeit, der Kumpel des Schweizervolks zu bleiben.
Linke Gesinnung
Sein Leben als von allen geduzter Polo National war eine schaukelige Hochseilnummer, die aber weitestgehend unfallfrei verlief. Der gemeine Polo-Fan war längst kein freigeistiger Kiffer mehr. Sein Publikum bestand mehrheitlich aus Menschen, denen das Altvertraute heilig war und denen ein gewisser Argwohn gegen die politischen und intellektuellen Eliten eigen war. Ein latenter Faust-im-Sack-Furor war da auszumachen.
Dabei war es nicht einmal so, dass Polo Hofer, der schon in den Neunzigerjahren vor der SVP warnte, diesen über Gebühr befeuert hätte. Der Sänger aus Oberhofen am Thunersee bekannte sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu seiner linken Gesinnung.
Im Weltbild seiner Fans bekleidete er indes eher die Rolle des furchtlosen Stammtischsprücheklopfers als die des sozialdemokratischen Politagitators. Er war für sie einer, der die in Bern oben lehrt, was in einem harten, bockigen Oberländerkopf so vorgeht.
Ein kunstsinniger Mensch
Was Polo Hofer seine ganze Karriere lang begleitete, war die Angst, allzu «nett und spassig» zu werden, zu einem «Rock-'n'-Roll-Clown» zu verkommen. 1982, nach der Auflösung von Schmätterding, kündigte er an, künftig bissiger sein zu wollen, Zeitkritik zu üben. Eine Karriere in Deutschland liess er nach anfänglichem Liebäugeln bleiben, aus Angst, als eine Art rockender Emil für Belustigung zu sorgen.
Auch wenn es in seiner Musik nicht immer erkennbar war: Polo Hofer war ein durchaus kunstsinniger und sehr belesener Mensch. Er interessierte sich für Religionen, für die Kunst des Ostens, für die Musik der Schwarzen (seine erste Platte war Louis Armstrongs «New Orleans Function», sein konzertanter Schlüsselmoment Harry Belafontes Auftritt im Kursaal Interlaken).
Und hinter der Fassade des polternden Sprücheklopfers verbarg sich ein hochsensibler Mensch. 1996 starb seine langjährige Partnerin Isabelle Hediger an Krebs. Polo Hofer pflegte sie bis zu ihrem Tod aufopferungsvoll und gab in dieser Zeit – fast eineinhalb Jahre lang – das Musikmachen gänzlich auf. Es sei die schlimmste Zeit seines Lebens gewesen, sagte er rückblickend in mehreren Interviews.
Mit jedem Leben abgleichbar
Auch vielseitig war er: Er arbeitete (kurz) als Kulturjournalist, hat drei Spielfilme gedreht, einen Gedichtband geschrieben, Bilder gemalt. Doch richtigen Ehrgeiz entwickelte er nur auf der Konzertbühne. Etwas über 2850 Konzerte hat er – laut eigener Zählung – gespielt. Er selber erklärte sich seinen Erfolg so: «Mein Schaffen pendelt zwischen Hoffnungen und Ängsten, zwischen Spott und Spiritualität. Dieses Spektrum also, das mit jedem Leben abgleichbar ist.»
Polo Hofer war zwar immer erfolgreich, ein kommerzieller Selbstläufer war er aber nicht. Das hing damit zusammen, dass er sich nie eine Auszeit nehmen wollte. Anders als Büne oder Kuno, die auch schon mal ein, zwei Jahre von der Bühne verschwanden und sich rar machten, war Polo eigentlich immer unterwegs (ausser es gab irgendwelche Nahtoderlebnisse).
Hinter seinem Erfolg stand eine ausgeklügelte Strategie. Früher wurden die Konzerte kraft eines vieltausendfachen Newsletter-Versands beworben (postalisch, nicht etwa online), und es wurde grosser Wert darauf gelegt, eine Region nicht mit Polo Hofer zu überfüttern oder zu grosse Säle anzusteuern. Es gäbe im helvetischen Mundartrockbusiness nichts Schädlicheres als einen Veranstalter, der wegen eines Künstlers Geld verliert, hat sein langjähriger Booker Daniel Stöckli einmal erklärt.
Das spreche sich schnell herum. Und hätte jemals die Meldung die Runde gemacht, Polo ziehe nicht mehr wie früher, es wäre in diesem kleinen Markt schwierig geworden, dieses Image wieder aufzudonnern. So weit ist es mit Polo Hofer nie gekommen.
Popmusik war für ihn mit Kompromissen verbunden, die er aber pragmatisch einging. «Es ist mir doch schon längst verleidet, jeden Abend den ‹Kiosk› oder die ‹Alperose› zu singen», sagte er kürzlich. «Aber die Leute zahlen Eintritt dafür, dass sie das zu hören bekommen. Sie haben ein Recht darauf.»
Geschichten, die Heimat bieten
Es gab eine lustige Szene während der ersten Blues- und Rock-Cruise im Jahr 2006. Eine indonesische Serviceangestellte schaute sich das Konzert von Polo Hofer an, wippte ein bisschen mit und fragte dann einen Schiffsbesucher, ob das tatsächlich «typical Swiss music» sei. Der Gast bejahte, worauf die Indonesierin behauptete, es gebe «this kind of music» in Indonesien nämlich auch.
Vermutlich hat jedes Land seinen Polo Hofer. Einen, der Geschichten erzählt, die Heimat bieten. Und der zur Vertonung diese universale Wohlfühl-Rockigkeit wählt. Trotzdem: Zu ersetzen ist dieser eigensinnige, schlaue, polarisierende und doch einende Herr aus dem Berner Oberland nicht.
«Er hätte auch ein Vogel sein können. Er sang, um sich bemerkbar zu machen», das solle einst auf seinem Grabstein stehen, hat er einmal gesagt. Im eingangs erwähnten Finale seines letzten Albums klingt es ein bisschen subtiler: «Ha versuecht im Fyschtere heiter z sy», singt Polo Hofer in seinem letzten Lied. Diese Heiterkeit wird schmerzlich fehlen.
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