«Er hätte die Kinder in andere Anstalten überweisen können»
Der Wiener Historiker Herwig Czech über die Kollaboration von Hans Asperger mit dem NS-Regime.

Warum blieb Hans Aspergers offensichtliche Kollaboration mit dem Nazi-Regime so lange unerkannt?
Die NS-Medizinverbrechen wurden insgesamt erst spät aufgearbeitet, in Österreich verstärkt seit den 90er-Jahren. Insgesamt spielte Asperger im Kontext des Massenmordes an Zehntausenden Psychiatriepatienten nur eine sehr marginale Rolle, auch im Licht der neuen Erkenntnisse. Die Quellen dazu sind auch ziemlich verstreut, waren noch in den 90er-Jahren nur teilweise zugänglich. Die unkritische bis apologetische Asperger-Rezeption vor allem im englischsprachigen Raum hatte zusätzlich noch mit der Sprachbarriere zu kämpfen.
Wurde er zu Lebzeiten je direkt mit seiner Rolle während der NS-Zeit konfrontiert?
Meines Wissens nicht, zumindest nicht öffentlich.
Hätte er überhaupt die Möglichkeit gehabt, sich dem Euthanasie-Programm oder den Kontakten zur Spiegelgrund-Klinik zu entziehen, wo Kinder umgebracht wurden, die nicht als lebenswert galten?
In den beiden Fällen einer direkten Überweisung auf den Spiegelgrund hätte er die Kinder ohne Weiteres in andere Anstalten überweisen können. Sie wären natürlich immer noch in Gefahr gewesen, von anderen Kollegen überwiesen zu werden, aber er hätte sich nicht direkt beteiligen müssen.
Wie war es denn in der Klinik Gugging, wo Patienten ebenfalls für medizinische Experimente missbraucht und oft ermordet wurden? Asperger sass in einer Kommission der Klinik.
Die Angelegenheit mit der Kommission in Gugging ist etwas komplizierter, hier ist die Verantwortung mittelbarer und auf mehrere Personen aufgeteilt. Für die Kommission wurde er aufgrund einer Nebenbeschäftigung als fachärztlicher Berater der Stadt Wien nominiert. Aber auch diese Beschäftigung hätte er ohne Folgen für seine eigentliche akademische Karriere beenden können.
Sie hätten acht Jahre lang den Fall recherchiert, sagen Sie. Warum dauerte diese Arbeit so lange? Wurden Sie an der Recherche gehindert? Waren Dokumente verschwunden?
Die Überlieferung ist sicher nicht vollständig, aber inzwischen sind die Bedingungen für eine solche Arbeit sehr gut. Der Grund für die lange Dauer besteht darin, dass Asperger zu keinem Zeitpunkt mein hauptsächliches Forschungsprojekt war. Es handelte sich vielmehr um ein Nebenprojekt, das ich, so gut es ging, neben meinen sonstigen Forschungen vorantrieb. Die letzten 14 Monate hat das Paper in Begutachtung und der Produktion verbracht, das muss man auch berücksichtigen.
War Asperger selbst von der sogenannten Rassenhygiene überzeugt?
Seine Prioritäten waren sicher andere als jene der offiziellen Rassenhygiene, vermutlich dieselben wie vor 1938 - und auch nach 1945: seine Patienten.»
Herwig Czech, Jahrgang 1974, arbeitet als Medizinalhistoriker an der Medizinischen Universtität Wien.
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