Eine unbequeme Saftwurzel
Er ist schonungslos ehrlich, provokant und unbequem gewesen: Der BFF-Direktor Niklaus Ludi ist in Pension gegangen. In der Zeit, die ihm noch bleibt, will der schwer kranke Ludi noch einige Ideen zu Papier bringen.
Schon vor einem Jahr hat Niklaus Ludi erfahren, dass er unheilbar krank ist. Dennoch ist er erst Ende Juli als Direktor der Berufs-, Fach- und Fortbildungsschule Bern (BFF) abgetreten, im regulären Pensionsalter. Nach 21 Jahren.
Über Niklaus Ludi kann man vieles sagen – und man hört vieles, wenn man sich in seinem Umfeld erkundigt, viel Unterschiedliches auch: Blitzgescheit sei er, ein brillanter Redner, ein Menschenfreund; andere nennen ihn autoritär, arrogant, nicht kritikfähig, wenig einfühlsam.
An ihm scheiden sich die Geister, aber in einem Punkt ist man sich einig: Dieser Niklaus Ludi, Jahrgang 1944, Pfarrerssohn aus Münchenbuchsee, gehört zu den Figuren, die von sich behaupten dürfen, diese Stadt ein bisschen mitgeprägt zu haben. Als Direktor einer der grossen bernischen Bildungsinstitutionen, früher als Stadtrat und «Bund»-Kolumnist, ein Leben lang als kritischer Bürger. Als einer, der sich einmischt, der mitgestalten will.
Anreisser und Duckmäuser
Wenn Ludi zu Hause im lichten Altbau in der Länggasse auf dem Sofa sitzt und beredt von der schweigenden Mehrheit spricht, dann schwingt da auch Spott mit. Zu dieser Art hat er nie gehört, nie gehören wollen. Immer seien es die Gestaltungswilligen, die Anreisser, die Provokateure, die in die Kritik gerieten, weil sie etwas bewegen wollten. Aber in Tat und Wahrheit seien es doch die Schweiger, jene, die nicht aufmuckten, die letztlich mit ihrer Passivität mehr mitbestimmen würden, sagt er und haut auf den Salontisch, nicht stark, aber effektvoll.
Die Lehrer und Lehrerinnen in der BFF hat Ludi nicht als Kollegen angesprochen, sondern als Mitarbeiter. Das Wort «Kollegen» schliesse andere Schul-Angestellte aus, die ebenso wichtig seien – das Büropersonal etwa. Ein kleines Beispiel, wie er als Schuldirektor gewirkt hat, aber ein exemplarisches: Ludi hat Gewohntes und Überliefertes stets hinterfragt, Veraltetes und Überholtes zu verändern versucht – und war dabei manchmal der Zeit voraus. So hat er sich zum Beispiel in den 1990er-Jahren dafür eingesetzt, dass die Ausbildung im Pflegebereich nicht erst nach 18 Jahren, sondern direkt nach der obligatorischen Schulzeit beginnt. Ebenso zog er gegen die einjährige Hauswirtschaftslehre ins Felde – sie habe für ihn eine Ausbeutung junger Frauen dargestellt. Bis in die Ostschweiz hätten ihn Bäuerinnen und Hauswirtschaftsleute ausgepfiffen, wenn er sich öffentlich für eine dreijährige Hauswirtschaftslehre eingesetzt habe, erzählt er. Aber das Engagement hat Früchte getragen: Ludis alte Forderungen sind heute eine Selbstverständlichkeit.
«Vieles habe ich gewollt.» So beginnt Ludis persönliche Bilanz im Brief, den er bei seinem Abschied an die Lehrerschaft verschickt hat. Nicht alles sei ihm gelungen, der Einsatz habe sich aber gelohnt, sagt er der Vater dreier Töchter und dreifache Grossvater.
«Er hat der Schule ein Profil gegeben – und ein Gesicht», sagt BFF-Vizedirektorin Susanne Fehr-Lüscher, die fünf Jahre unter Ludi gearbeitet hat. Ludi habe die BFF aus einem Gemischtwarenladen zu einem Bildungszentrum für Gesundheit und soziale Berufe gemacht. Heute hat die BFF ein Budget von 36 Millionen und bildet 5300 Lernende aus.
Späne und Tränen
Ludi sei immer voller Visionen und Ideen gewesen – und habe stets seinen Blick auf das Wohl der Lernenden gerichtet gehabt, sagt Fehr-Lüscher. Dass er gegenüber der Lehrerschaft fordernd war und sich nicht nur Freunde geschaffen hat, ist ein offenes Geheimnis. Bei seinem Führungsstil seien die Späne geflogen, heisst es, wenn man sich unter Lehrkräften in der BFF umhört. Kritiker habe er oftmals abgeputzt, es sei vorgekommen, dass Lehrer nach einer Unterredung mit Tränen aus seinem Büro gekommen seien. Vor einigen Jahren hat der BFF-Direktor bei der Schulkommission, eine Untersuchung gegen sich selbst verlangt. Ein Lehrer habe ihn gemobbt und als Diktatoren betitelt. Die Untersuchung sprach den streitbaren Schuldirektor aber von den Vorwürfen frei.
«Dass ich für manche Leute sehr unbequem war, gebe ich offen zu – denn Klarheit ist für viele Leute offenbar hart», sagt Ludi. Mit seiner Meinung hat er nie hinter dem Berg gehalten – und so hat er auch gewissen Lehrern ans Herz gelegt, die Schule zu verlassen. Dass manche der Lehrkräfte zwanzig Jahre unter ihm arbeiteten, obwohl sie nach eigenem Bekunden unter ihm litten, versteht Ludi nicht. Wer grundsätzlich missmutig und dem Leben gegenüber negativ eingestellt sei, werde seiner Lehrertätigkeit nicht gerecht, ist Ludi überzeugt. «Wir müssen den Jugendlichen vorleben, dass es sich lohnt, erwachsen zu werden.»
Videokameras und Kleiderregeln
In der Öffentlichkeit ist der BFF-Direktor in jüngster Zeit vor allem durch zwei Amtshandlungen aufgefallen: Er hat an der BFF eine Kleiderordnung und Videoüberwachung eingeführt. Die Überwachungskameras (die in zwei von 17 Schulhäusern installiert waren) mussten aber kürzlich auf Geheiss von Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (grüne) entfernt werden.
Ludi selber bezeichnete die Videoüberwachung als «Bankrotterklärung». Dennoch hält er beide Entscheide noch immer für richtig. Die Kleiderordnung sei ein Exportartikel geworden – bis in die Ostschweiz hätten Schulen angefragt, um das Reglement zu übernehmen. Jeder Kontext verlange eine angemessene Kleidung – im Spital trete der Arzt auch nicht in Badehosen auf. «Wenn es in der Schule wie am Badestrand zu- und hergeht, ist etwas nicht in Ordnung», sagt Ludi.
Kleiderordnung, Videoüberwachung – ist der Altachtundsechziger Ludi im Alter zum Konservativen geworden? «Nein, das ist typisch für ihn, obwohl er ein erzliberaler Typ ist», sagt einer, der Ludi noch als Politiker kennt: Heinz W. Müller war Stadtredaktor bei der «Berner Zeitung» und später beim «Bund», als Niklaus Ludi noch für das Junge Bern im Stadtrat sass und im «Bund» über Jahre provokante Kolumnen schrieb. Blockdenken sei Ludi seit je her zuwider gewesen. Ihm sei es als Politiker darum gegangen, Lösungen zu finden – nicht irgendwelchen Ideologien gerecht zu werden. «Solche Leute haben der Stadt Bern in den letzten Jahren gefehlt», sagt Müller.
Junges Bern und gute Redner
Von 1972 bis 1984 war Ludi Parlamentarier, 1980 gar Ratspräsident, zudem stand er dem Jungen Bern vor, das immer mehr Bewegung als Partei war. «Es war eine Zeit, in der die Stadtratsdebatten noch ein Genuss waren», sagt Ueli Gruner, Parteikollege von Ludi. Einige rhetorisch beschlagene Redner seien im Rat gesessen und hätten sich hochstehende Rededuelle geliefert: Die Sozialdemokraten Peter Vollmer und Alexander Tschäppät, die freisinnige Therese Giger, der SVPler Ueli Augsburger. «Ludi hat eine Viertelstunde lang frei argumentieren können – und das auf hohem Niveau.» Ludi habe so viel Souveränität ausgestrahlt, dass ihm dies auch fälschlicherweise als Arroganz ausgelegt wurde, sagt der Journalist Müller.
Die Stadtplanung sei ihm eines der wichtigsten Anliegen gewesen, dort habe er auch seine grössten politischen Verdienste, findet Gruner. Auch habe er massgeblich zur Schaffung des Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik beigetragen. Als Präsident der Baukommission gewann Ludi mit dem Siedlungsprojekt Oberes Murifeld, das er von Anfang an begleitete, eine Auszeichnung für nachhaltiges Bauen vom Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA). «Im Stadtplanungsbereich war er auch den damaligen Gemeinderäten überlegen», sagt der Geologe Gruner.
Kochbüchlein und Nichtwahl
Ludi habe aber auch die Tendenz gehabt, politische Probleme im Kopf lösen zu wollen – was dazu geführt habe, dass seine Vorschläge manchmal zu abgehoben, zu theoretisch dahergekommen seien, sagt Gruner, der parteiintern als Konkurrent von Ludi galt. Ludi habe 1984 als Gemeinderatskandidat ein Büchlein geschrieben, wie man die Stadt Bern weiterbringen könne – eine Art «politisches Kochbüchlein». «Es war zwar ein sehr durchdachtes Programm, aber auch sehr theoretisch.» Die Wahl in Berns Exekutive schaffte Ludi knapp nicht. «Das war eine grosse Enttäuschung für ihn, er hat stark für die Politik gelebt», erinnert sich Gruner. Und Müller meint: «Seine Nichtwahl war eine vertane Chance für Bern.»
Ideen und die Zeit, die bleibt
Als das Junge Bern 1991 in der Grünen Freien Liste aufging, trat Ludi nicht in die neue Partei ein. Die Unabhängigkeit, die er am Jungen Bern schätzte, war für ihn in der GFL, die sich RGM anschloss, nicht mehr gegeben. Auch wenn er der Politik den Rücken gekehrt hat, das politische Denken hat Ludi nie abgelegt. Und so ist er daran, einige politische Ideen zu Papier bringen, die er schon länger mit sich trägt – in der Zeit, die ihm noch bleibt.
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