Eine Chronik des Versagens
«Ein beispielloses Desaster» oder «eine beschämende Niederlage»: Das Zeugnis des Untersuchungsausschusses für die Behörden im NSU-Prozess ist vernichtend. In 47 Fällen gibt es Potenzial für Verbesserung.

Der NSU-Untersuchungsausschuss hat den Behörden ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt und zugleich umfangreiche Reformvorschläge unterbreitet. Bei der Vorstellung des Abschlussberichts heute in Berlin bezeichnete der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) die zahlreichen Ermittlungspannen als «historisch beispielloses Desaster». In dem Text werden die Versäumnisse der Ermittler als «beschämende Niederlage» bezeichnet. Vorgeschlagen werden 47 Massnahmen für Verbesserungen.
Die Ermittler seien zu sehr auf Tatmotive aus der organisierten Kriminalität fixiert gewesen, alternative Ermittlungsansätze seien vernachlässigt worden, heisst es in dem über 1300 Seiten starken Bericht. Ausserdem seien Durchsuchungsfunde nicht in ausreichendem Masse ausgewertet und Ermittlungsverfahren verfrüht eingestellt worden. Die früheren Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) hätten kaum Interesse an den Ermittlungen gezeigt.
Hürden des Föderalismus nicht überwunden
Die Polizei solle mögliche rassistische Hintergründe einer Tat künftig immer überprüfen müssen, diese Prüfung soll ausserdem nachvollziehbar dokumentiert werden. Die Ausbildung der Polizei müsse auch «interkulturelle Kompetenz» vermitteln. Es müsse die Möglichkeit geschaffen werden, dass eine Polizeibehörde die zentrale Ermittlungsfunktion mit Weisungsbefugnis übernimmt. Ferner dringt der Ausschuss auf einheitliche Vorgaben für den Einsatz von V-Leuten. Es sei notwendig, «dass der Staat sich Grenzen gibt, wann er nicht mehr mit V-Leuten zusammenarbeitet», sagte der CDU-Obmann im Ausschuss, Clemens Binninger.
«Die Gefährlichkeit militanter Neonazis darf nie wieder unterschätzt werden», sagte Edathy. Zuweilen sei diese Gefahr «bagatellisiert» worden. Edathys Stellvertreter Stephan Stracke (CSU) sprach von einer «beschämenden Niederlage» für die deutschen Sicherheitsbehörden. Die «Hürden des Föderalismus» seien bei den Ermittlungen oft nicht überwunden worden, sagte er mit Blick auf die Mängel der Kooperation der Landespolizeibehörden.
Der FDP-Vertreter Hartfrid Wolff wiederholte die Forderung seiner Partei, den Untersuchungsausschuss in der neuen Legislaturperiode wieder zu konstituieren. Nach der bisherigen Arbeit blieben mehr Fragen offen, als beantwortet worden seien, sagte er zur Begründung. Die Linken-Vertreterin Petra Pau bekräftigte die Forderung ihrer Partei, den Verfassungsschutz als Geheimdienst aufzulösen. Die «Versager» dürften nicht auch noch aufgerüstet werden.
Ein Teil des Problems
Die Grünen plädierten demgegenüber dafür, den Verfassungsschutz in seiner bisherigen Form aufzulösen, um ihn dann neu aufzubauen. Ihr Vertreter Wolfgang Wieland ging hart mit den zum Zeitpunkt der Taten amtierenden Innenministern ins Gericht. Sie seien eher Teil des Problems als Teil der Lösung gewesen.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) würdigte die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschuss als «wertvolle und wichtige Aufklärungsarbeit». Er verwies darauf, dass der Ausschuss keine Anhaltspunkte dafür fand, dass der NSU von den Behörden gedeckt oder unterstützt wurde. «Der Bericht bestätigt ausdrücklich, dass deutsche Sicherheitsbehörden die Mordserie des NSU nicht gedeckt haben oder gar in diese verwickelt waren.» Dem NSU wird der Mord an neun Migranten und einer Polizistin zur Last gelegt.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) lobte die überparteiliche Zusammenarbeit im Ausschuss. Was die Substanz eines lebendigen demokratischen Gemeinwesens auszeichne, sei die «Überzeugung, dass Minderheiten eigene Rechtsansprüche haben, über die Mehrheiten nicht verfügen können», betonte er in seinem Geleitwort für den Abschlussbericht.
AFP/wid
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